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The Amazing Spider-Man: Test: Alte Spinne in neuen Schläuchen

"Alles auf Anfang!" lautete der Leitspruch für den gleichnamigen Neuanfang des Filmfranchises, der gegen Ende Juni auch hierzulande in den Kinos an den Start ging. Das kann natürlich schlecht ohne ein dazugehöriges Videospiel geschehen, schließlich war es doch Spider-Man 2: The Game, das 2004 den Standard für qualitativ hochwertige Filmumsetzungen festlegte. Eine schwere Hürde für den Entwickler Beenox, der uns zuletzt das nicht gerade atemberaubende Spider-Man: Edge of Time vorsetzte. Ob man die Kurve gekriegt hat und endlich an frühere Erfolgszeiten anknüpft, wollen wir euch in unserem Test der XBOX 360-Version natürlich nicht vorenthalten.

Nach dem Film ist vor dem Spiel

Das Spiel erzählt nicht etwa die Handlung des Films nach, sondern ist vielmehr ein Epilog, der mehrere Monate an das Ende der Vorlage und den Zwischenfall mit der Echse anknüpft. Dr. Connors wurde in einer Nervenheilanstalt untergebracht und seine freie Stelle bei Oscorp wurde von Alistair Smythe gefüllt, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Nanotechnologie. Peter Parker wird von seiner Freundin Gwen Stacy dazu überredet heimlich in die Bereiche mit beschränkter Zugangsberechtigung einzudringen, da sie befürchtet, dass Oscorp die von Dr. Connors begonnenen Experimente basierend auf der Vermischung von menschlicher und tierischer DNS fortgesetzt werden könnten. Darunter auch Neuinterpretationen klassischer Schurken wie Rhino, Scorpion, Iguana und Vermin. Bei einer Führung durch die Laboratorien, die in Form einer mehrminütigen Cutscene aus der Ego-Perspektive abläuft, wird schnell klar, dass dies tatsächlich der Fall war. Leider reagieren die Testsubjekte, sogenannte Cross-Species, auf Peters Anwesenheit und brechen aus. Und als wäre das noch nicht genug verbreiten sie damit den Cross-Species-Virus, der arglose Bürger leider nicht in Superhelden mit großer Kraft und großer Verantwortung verwandelt, sondern in groteske Mutanten mit animalischen Instinkten. Da Oscorp mit halbherzigen Quarantäne-Maßnahmen und einer groß angelegten Vertuschungsaktion keine große Hilfe ist, braucht Spider-Man die Unterstützung der einzigen Person, welche die Stadt jetzt noch retten kann: Curt Connors.

Nach einem kurzen Tutorial in den Laboratorien wird Spidey in Manhattan aus heiterem Himmel von einem gigantischen Roboter angegriffen, den ihr umgehend abwracken solltet. Derartige Bosskämpfe kommen im Verlauf des Spiels häufiger vor, Smythe hetzt euch nach und nach mächtigere Spider Slayer auf den Hals. Wie in früheren Spielen steht euch wieder ganz Manhattan als Open-World-Kulisse zur Verfügung, die fast schon zum vergnügten Netzschwingen einlädt. Mit RT verschießt Spider-Man eine Netzleine, wenn ihr den Trigger gedrückt haltet lässt er von selbst den Faden los und webt einen neuen. Im Grunde müsst ihr nur RT gedrückt halten um durch Manhattan zu manövrieren. Der Netzkopf schwingt dann automatisch und wenn eine Wand im Weg sein sollte, sprintet er sie nach oben. Neben den Kapiteln der Kampagne gibt es auch zahlreiche Nebenmissionen, in denen ihr einzelne Verbrechen wie Diebstähle oder Schießereien mit der Polizei aufhaltet oder euch an den Xtreme Challenges eines dezent durchgeknallten Reporters, gesprochen von Bruce Campbell, versucht. Kampagnenmissionen finden in der Regel in geschlossenen Umgebungen Stadt, in denen diverse Goodies wie Tonbänder versteckt wurden. Frei betretbare Shops wie in Spider-Man 2 gibt es keine. Ein bei Oscorp eingesacktes Smartphone dient als Minimap und lässt euch Upgrades und Mails von Verbündeten verwalten. Das Hauptspiel veranschlagt etwa zehn bis elf Stunden, bis ihr die Wehwechen aller Bürger Manhattans beseitigt habt, dürften weitere acht Stunden vergangen sein. Auf einen Superhelden in spé wartet also eine ganze Menge Arbeit.

Alles, was eine Spinne kann

War das Kampfsystem in Edge of Time noch einer unserer Hauptkritikpunkte, gehen die zahlreichen Kloppereien mit Gangstern, Mutanten und Robotern in The Amazing Spider-Man dankenswerterweise ebenso intuitiv wie hübsch anzusehen von der Hand. Kein Wunder, schließlich hat man fast eins zu eins bis hin zur Button-Belegung das Freeflow-Kampfsystem aus Rocksteadys Batman-Spielen kopiert. Endlich fühlen sich die Kämpfe wieder kontrolliert an und setzen dabei die Agilität von Marvels Netzschwinger in Szene. Einen Vorwurf wollen wir da natürlich nicht erheben, besser gut kopiert als schlecht erfunden. Die gesammelten Erfahrungspunkte bzw. von Robotern gewonnenen High-Tech-Teile investiert ihr in Upgrades in Gestalt von Statusverbesserungen wie erhöhter Widerstandskraft gegen Säure und Kugeln oder neuen Moves. Mit diesen könnt ihr z.B. einzelne Gegner direkt an eine Wand kleistern und die Feuerrate der Netzschüsse erhöhen. Spidey lädt die Netzdüsen selbstständig mit einem unendlichen Vorrat an Ersatzpatronen nach, ihr müsst also nicht sparsam mit dem Gebrauch des Netzes umgehen.

Natürlich besteht der Spielablauf nicht nur aus Gekloppe. Vielerorts ist lautloses Vorgehen vorgeschrieben, da euch ansonsten die bis an die Zähne bewaffneten Oscorp-Söldner ein paar zusätzliche Atemlöcher verschaffen. Dafür verfügt ihr über Stealth-Takedowns, mit denen ihr die bösen Buben lautlos und effektiv unschädlich macht, solange sie euch noch nicht erspäht haben. Sollte es einmal doch dazu kommen, kann Spidey sich mit LB automatisch in eine ruhige Ecke zurückziehen, sodass ihr einen neuen Versuch bekommt, sobald sich die Aufregung gelegt hat und ihr dem Licht der Taschenlampen eurer Gegner fern bleibt. Außerdem bekommt ihr von der Reporterin Whitney Chang eine Kamera, mit der ihr entweder spezielle Motive für Fotomissionen schießt oder in einem der Hauptkapitel vorgegebene Objekte abfotografiert, um belastendes Material gegen Oscorp zu sammeln und eine Verschwörung aufzudecken. Einen tatsächlichen Einfluss auf die Story hat das zwar nicht, dafür lassen sich aber mit den Schnappschüssen Artworks und Informationen über Gegner freischalten. The Amazing Spider-Man verfügt über eine üppige Ausstattung an Bonusmaterialien. Neben der obligatorischen Artwork-Galerie, Alternativkostümen sowie Charaktersteckbriefen und -figuren warten außerdem Scans klassischer Spider-Man-Comics darauf von euch aus den Tiefen der Software gelockt zu werden. Dazu müsst ihr die in Manhattan verteilten Comicseiten einsacken, insgesamt hat man 700 Stück der Sammelobjekte versteckt. Als Belohnung dürft ihr dann in ausgewählten Stories in englischer Originalfassung inklusive Zoomfunktion schmökern, darunter auch Spideys Debüt in Amazing Fantasy #15 oder das Finale von Kraven's Last Hunt.

Autopilot für Superhelden gefällig?

Als Kernstück des Gameplays hat Beenox den Web Rush-Modus hervorgehoben, der das Gefühl erwecken soll, dass ihr tatsächlich im Kostüm von Spider-Man steckt. Haltet ihr RB gedrückt wechselt das Spiel in Zeitlupe und euch werden die Ankerpunkte in eurer Umgebung angezeigt, die ihr dann auswählt und binnen weniger Sekunden erreicht. Besonders eindrucksvoll kommt das in Manhattan zur Geltung. Tippt ihr RB nur an wird der Punkt markiert, den ihr mit dem Cursor anvisiert habt. Spidey benutzt auf dem Weg dahin in einer flüssigen Bewegung umliegende Objekte, in dem er von einem Flaggenmast abspringt oder einen kurzen Wandsprind hinlegt. Das sieht dann vergleichbar mit den akrobatischen Glanzleistungen in der Filmvorlage aus und Manhattan lädt dazu ein mit dieser Fähigkeit herumzuspielen. Müsst ihr in einem Labor eine Schaltkonsole aktivieren, könnt ihr das Gerät einfach mit dem Web Rush auswählen und der Netzschwinger positioniert sich automatisch davor und führt die nötige Aktion aus. Weiterhin kommt der Web Rush bei kleineren Rätseln zum Einsatz, das Netz lässt sich auch als Leiter zwischen zwei losen Kabelenden einsetzen, um den Stromkreis zu schließen. Kurzum, Web Rush erleichtert die Arbeit ungemein.

Der Web Rush ist nicht ganz unbeteiligt daran, dass The Amazing Spider-Man auf dem normalen Schwierigkeitsgrad etwas zu leicht wirkt. Gerade die Wettrennen des Xtreme Reporters verlieren durch den Web Rush jeglichen Anspruch. Kämpfe sind in der Regel keine große Herausforderung, wenn ihr einigermaßen präzise das Pad bedient und nicht regelmäßig den falschen Knopf zur falschen Zeit drückt. Der Vorteil durch die Superkräfte gegenüber Durchschnittshalunken ist so groß, dass ihr zeitweise fast Mitleid mit euren Gegnern bekommt. Die freischaltbaren Moves sind eher ein optionales Zierwerk als dass ihr auf sie angewiesen seid, wenn ihr schon frühere Spider-Man-Titel oder die beiden Arkham-Titel gespielt haben solltet, könnt ihr guten Gewissens ein Spiel auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad beginnen. Bosskämpfe sind stärker auf cineastische Inszenierung als spielerischen Anspruch bedacht, wodurch die Fights über weite Strecken wie eine interaktive Zwischensequenz wirken, in der ihr lediglich den eingeblendeten Knopf drückt und Spidey dann zu einem wohlgemerkt nett anzusehenden Angriff ansetzt. Überhaupt wirkt das Geschehen deutlich immersiver als zuvor, da die Kamera nun deutlich näher an dem Marvel-Superhelden positioniert ist als sonst üblich. Ungünstige Kamerapositionen gibt es eher selten, lediglich beim Wandkrabbeln und vor allem wenn ihr an der Decke hängt muss die Kamera oft mit dem rechten Analogstick korrigiert werden.

Kein Arkham City, aber immerhin auf dem richtigen Weg

Grafisch kämpft man nicht an vorderster Front mit, Texturen sehen oft aus als wäre das Objekt aus Plastik geformt und die Bewegungen der NPCs wirken recht staksig. Spidey ist deutlich besser davongekommen, seine Moves wirken akkurat und je mehr Schaden ihr nehmt, desto stärker wird auch sein Kostüm in Mitleideschaft gezogen. Nach Bosskämpfen besteht das Kostüm meist fast nur noch aus Fetzen. Auch bei der Gestaltung der Locations hat man sich Mühe gegeben, im Spielverlauf streift ihr sowohl durch sauber geleckte Oscorp-Einrichtungen als auch durch vemoderte Abwasserkanäle, in denen die Cross-Species-Mutanten lauern. Designschwächen gibt es in erster Linie bei Manhattan selbst. Auch wenn man sich Mühe gegeben hat, den Stadtteil der US-Metropole NYC mit zahlreichen Passanten auf den Straßen und Tweets während der Ladebildschirme mit den Gedanken der New Yorker zu den aktuellen Ereignissen lebhafter erscheinen zu lassen, kommt eure Umgebung für ein Open-World-Setting eher dröge daher. Es gibt keinen dynamischen Tag- und Nacht-Wechsel und nach Abschluss aller Missionen verkommt Manhattan zur Geisterstadt, da es für euch nichts mehr zu tun gibt. Zwar lassen sich Kapitel und Nebenmissionen nach einmaligem Bestehen jederzeit erneut anwählen, dennoch hätte man mit zufällig geschehenden Verbrechen zumindest halbwegs den Spielfluss am Leben erhalten können.

Manche Zocker können sich daran stören, dass für das Netzschwingen keine Ankerpunkte notwendig sind und die Fäden auch in der Luft befestigt werden können, aber in einem Superheldenspiel dürfte kaum jemand eine realistische Physik-Engine erwarten. Der Score scheint nach wenigen Spielstunden in Dauerschleife zu laufen und drängt sich nicht unbedingt in den Vordergrund. Auf Originalsprecher müsst ihr sowohl mit der deutschen als auch der englischen Sprachausgabe verzichten, die Ersatzsprecher leisten jedoch mehr als überzeugende Arbeit. Wie man es von dem Charakter erwartet, hat Spider-Man zu jedem Zeitpunkt den passenden Spruch parat und sorgt für Schmunzler. Weniger erfreulich ist der auf Dauer monoton werdende Spielablauf. Obwohl es ein paar coole Einfälle gibt, wie z.B. bei der Jagd nach Vermin durch die Kanalisation das Netz als Bewegungsmelder zu verwenden oder die Flucht mit einem kräftelosen Spidey im Rahmen einer Geschicklichkeitseinlage aus dem Oscorp-Komplex, werden diese Ideen durch den teilweise gestreckten Missionablauf noch in dem selben Kapitel schon wieder vollkommen abgenutzt. Bugs sind uns nicht übermäßig aufgefallen. Zwar verfing sich Spidey in der ersten Spielstunde in einer Antenne und der Speicherstand musste neu geladen werden, der Rest des Spiels verlief aber ohne derartige Zwischenfälle. Das Spiel leidet darunter, dass es pünktlich zum Film fertig sein musste. Etwas mehr Entwicklungszeit und die Arkham-Reihe hätte einen ernst zu nehmenden Konkurrenten.

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