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Marvel vs. Capcom Origins: Retro-Gekloppe im Doppelpack

Anfang der 90er Jahre machte Street Fighter II (Vanilla, Turbo, Super, Super Turbo etc. pp.) das Genre der Beat'em-Ups salonfähig. Die Prügler von Capcom erfreuten sich derart großer Beliebtheit, dass es 1994 erstmals zu einer Kooperation zwischen dem japanischen Entwickler und Marvel Comics kam, aus der dann das Prügelspiel X-Men: Children of the Atom hervorging. Von da an war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die beiden Entertainment-Größen sich im virtuellen Ring gegenüber stehen würden. Im Jahre 2012 wird uns mit Marvel vs. Capcom Origins für Xbox LIVE Arcade und das PlayStation Network ins Gedächtnis gerufen, wie die Anfänge dieser Elefantenhochzeit aussehen.

Blast From The Past

Faktisch gesehen ist das nicht ganz richtig. Da Activision der momentane Videospiel-Lizenzinhaber der Marke X-Men ist, sind die beiden Titel X-Men: Children of the Atom und X-Men vs. Street Fighter nicht verfügbar. Und weil Marvel Super Heroes vs. Street Fighter in der Community kein allzu hohes Ansehen genießt, beinhaltet Marvel vs. Capcom Origins die beiden Klassiker Marvel Super Heroes und Marvel vs. Capcom 1, zwischen denen ihr im Menü mit Back/Select wechselt. Als Vorbild für die Umsetzungen hat das Studio Iron Galaxy die originalen Arcade-Fassungen genommen, um die Automatenfassungen möglichst detailgetreu abzubilden. Damit ihr beim Spielen auf einem HD-Fernseher keinen Augenkrebs bekommt, stehen euch diverse Anzeige-Typen und Grafikfilter zur Verfügung. Standardmäßig wird die Action in 4:3 dargestellt, alternativ könnt ihr das Bild auch auf Widescreen-Ausmaße strecken, für das volle Retro-Flair gibt es sogar einen Rahmen, mit dem der Bildschirm eines Arcade-Cabinets simuliert wird. Wahlweise auch mit flimmerndem Bild oder in einer Über-die-Schulter-Perspektive. Am linken Bildschirmrand werden euch dynamische Challenges angezeigt, zum Beispiel müsst ihr eine bestimmte Anzahl von Siegen durch Time Outs erzielen oder Hyper Combos ausführen, für die ihr mit Erfahrungspunkten belohnt werdet. Diese lassen sich dann in einem umfangreichen Extras-Menü gegen Concept Art, Endsequenzen und geheime Charaktere eintauschen. Solltet ihr noch eine Tastenkombination zum Freischalten der Geheimcharaktere im Hinterkopf haben, könnt ihr die Codes immer noch benutzen. Sie funktionieren. Wirklich. Falls euer Punktekonto zu knapp für eine dauerhafte Freischaltung der Bonuscharaktere ist, lassen sich zu günstigeren Preisen die Codes kaufen. Im Gegensatz zu dem HD-Port von Street Fighter III: Third Strike kann die Anzeige der Challenges auch ausgeblendet werden, sodass ihr im Kampf nicht abgelenkt werdet.

Sammle die Edelsteine, mach den Gegner platt!

Marvel Super Heroes verfügt über einen 13 Köpfe starken Cast, bestehend aus zwölf Superhelden und -schurken von Marvel, darunter auch Spider-Man, Captain America und Tentakelmonster Shuma-Gorath sowie ein Gastcharakter aus der Darkstalkers-Reihe. Die Story des Arcade-Modes ist eine grobe Adaption der Infinity Gauntlet-Storyline, in deren Verlauf der Schurke Thanos mithilfe der sechs Infinity Gems einen Großteil des Universums ausradieren will. Um das zu verhindern kämpft ihr euch mit einem Charakter eurer Wahl durch acht Best Of 3-Matches, um nach dem Kampf gegen Thanos eine kurze Endsequenz angezeigt zu bekommen. Durch gewonnene Kämpfe sammelt ihr die besagten Klunker ein, die ihr mit einer Tastenkombination aktiviert und somit für kurze Zeit eure Stärke erhöht oder eure Meterleiste auffüllt. Gezieltes Einsetzen der Gems ist wichtiges Strategieelement, ebenso wie die Air Combos, mit denen ihr den Gegner nach einem Launcher in der Luft mit weiteren Angriffen eindeckt. Beachtlich ist vor allem, wie gelungen die Comic-Charaktere in ein 2D-Kampsystem umgesetzt wurden. Das gilt nicht nur für Animationen, Leveldesign und Movepalette, sondern auch für diverse kleinere Details. Wolverine kann dank seiner Heilfähigkeiten einen Teil seiner Lebensenergie regenerieren, wegen seines Adamantium-Skeletts verursachen Magnetos Angriffe bei ihm jedoch mehr Schaden als bei anderen. Während Captain Americas Siegespose kommt selbst in Blackhearts Unterwelt ein Schwarm weißer Tauben angeflogen und in zahlreichen Levels nimmt der Hintergrund im Laufe des Kampfes Schaden, so treibt in Wolverines Stage die eingerissene Holzbrücke einen Wasserfall hinunter.

Doppelt prügelt sich besser

In Marvel vs. Capcom 1 wird mit Tag Teams zu je zwei Charakteren gespielt. Die Infinity Gems gehören der Vergangenheit an, stattdessen wird euch vor jedem Kampf per Zufall noch ein Assistent zugewiesen, den ihr im Laufe des Kampfes ein paar Mal zur Unterstützung rufen dürft. Mit 21 spielbaren Fightern wirkt der Cast gemessen am Umfang aktueller Crossover-Prügelspiele und vor allem der Nachfolger etwas schmächtig, dafür hat man bei der Auswahl Sorgfalt walten lassen und nur wenige Charaktere spielen sich ähnlich. Wo sonst bekommt man ein Gefecht mit den Teams Strider Hiryu/Venom gegen Gambit/Captain Commando zu sehen? Mit außreichend Meter lassen sich die Hyper Combos beider Kämpfer zusammen ausführen, was entsprechend viel Schaden verursacht. Noch heftiger ist die Duo Team Attack, die eure Meterleiste in einen Timer verwandelt. In dieser Zeit kontrolliert ihr beide Teammitglieder gleichzeitig und verfügt über unendlich Meter, womit reihenweise Hyper Combos vorprogrammiert sind. Die Dreamcast-Umsetzung von MvC1 bot das sogenannte Cross Fever-Feature, mit dessen Hilfe in solchen Situationen bis zu vier Spieler gleichzeitig zum Pad oder Arcade Stick greifen durften. In MvC Origins fehlt dieses Feature, weil die Umsetzung auf dem Code der Arcade-Fassung basiert. Dafür sind die beiden enthaltenen Spiele mit dem bewährten GGPO-Netcode über das Netzwerk inklusive Replay-Funktion spielbar, was bei Matches gegen europäische Gegner zumeist ohne spürbaren Lag läuft. Bei schlechterer Verbindung schaltet die Spielgeschwindigkeit selbstständig von Turbo auf Normal herunter, euch werden auch diverse Hinweise gezeigt, wie ihr die Online-Performance optimieren könnt. Der ebenfalls integrierte Traningsmodus wartet mit wenigen Optionen auf, aber immerhin hat man überhaupt Sparring ermöglicht, in den Automaten-Versionen fehlte diese Möglichkeit.

Fight Like A Hero, Play Like A Legend

Die Preisfrage bei solchen Rereleases ist immer, wie gut sich die Spiele nach all den Jahren gehalten haben. Zugegeben, die von Hand gezeichneten Sprites besitzen auch heute noch einen nicht verkennbaren Charme, trotzdem lässt sich die Grafik auch bei eingeschalteten HD-Grafikfiltern mit einer großen Portion Nostalgie deutlich besser ertragen. Zu hören bekommt ihr fröhliches MIDI-Gedudel mit ein paar echten Ohrwürmern, dazu gibt es die für ein Prügelspiel üblichen Sprachsamples. Auch wenn Marvel vs. Capcom Origins aus technischer Sicht nicht gnadenlos hinterherhinkt, machen sich bei heutiger Betrachtung vor allem beim Gameplay Abnutzungserscheinungen bemerkbar. Einerseits hätten sowohl MSH als auch MvC1 dringend ein Rebalancing nötig. Die Bossgegner Thanos und Onslaught würden euch in der Spielhalle vermutlich das Kleingeld reihenweise aus der Tasche ziehen, vor allem hat die Community über die Jahre hinweg herausgefunden, wie man die Schwächen des Balancings präzise ausnutzt. Mit sogenannten Infinite Combos wird der Gegner solange in einer fortlaufenden Combo malträtiert, bis seine Energieleiste vollständig geleert ist. Online trefft ihr häufig auf "unfaire" Teamkombinationen wie Gold War Machine/Red Venom, mit denen insbesondere Neulinge in die Verzweiflung getrieben werden. Es war Capcoms Intention, die beiden Marvel-Prügler "arcade-perfect" ohne unmittelbare Veränderungen zu porten, also steht ein Rebalancing außer Frage. Neu, aber nicht gerade als Feature zu bezeichnen, sind diverse Bugs, die euch vereinzelt begegnen werden. Dann und wann verstummt die Hintergrundmusik und in seltenen Fällen kann es zu Disconnetcts kommen, bei Capcom wird bereits jetzt Feedback gesammelt, um es in einem möglichen Patch anzuwenden.

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