Wenn mit dem Marvel Cinematic Universe (kurz: MCU) das erfolgreichste Filmfranchise aller Zeiten und den ewig beliebten LEGO-Bausätzen zwei Marken der Extraklasse aufeinandertreffen, bleibt natürlich kein Stein auf dem anderen. Wir haben LEGO Marvel's Avengers in der PlayStation 4-Fassung getestet und Seite an Seite mit Captain America, Iron Man & Co. die Welt gerettet. Und zwar mehrmals.
Mächtige Helden, kolossale Bedrohungen
Nach dem Titelbildschirm geht es sofort mit der Anfangssequenz aus Avengers: Age of Ultron los, in der das aus Captain America, Iron Man, Thor, Hulk, Black Widow und Hawkeye bestehende Superhelden-Team eine Festung der Nazi-Organisation HYDRA stürmt. Einstellung für Einstellung hat man die ersten Minuten des Films als Zwischensequenz mit LEGO-Figuren nachgestellt, bevor ihr selbst die Kontrolle über Black Widow und Hawkeye übernehmt. Der folgende Spielabschnitt dient als ein Tutorial, in dem ihr zwischen den einzelnen Avengers wechselt und euch ihre Spezialfähigkeiten vermittelt. Iron Man kann zum Beispiel mit seinem Laser goldene LEGO-Objekte schmelzen, der Hulk ist hingegen das Monster fürs Grobe und stemmt dank seiner unglaublichen Stärke auch Felsbrocken und ähnliche Hindernisse.
Etwa eine Viertelstunde dauert die Einführung, bis Tony Stark wie in der Vorlage Lokis Zepter ergreift, was zu einem ganzen Haufen an Schwierigkeiten führen soll. Doch das bleibt vorerst eine andere Geschichte, denn nach dem Tutorial spielt ihr zunächst die Handlung des ersten Avengers-Kinofilms nach. Die Kampagne des Spiels umfasst sowohl die Story des 2012 veröffentlichten Erstlings, als auch von Avengers: Age of Ultron. Darin dürft ihr alle Schlüsselszenen aus den beiden Blockbustern nachspielen, indem ihr unter anderem New York City gegen eine Alien-Invasion verteidigt, einen außer Kontrolle geratenen Hulk mit Iron Mans Hulkbuster-Rüstung stoppt und euch schließlich in einem Showdown dem Roboter Ultron und seiner Armee aus Drohnen stellt. Habt ihr die Story des ersten Avengers-Films abgeschlossen, schaltet ihr außerdem Nebenmissionen basierend auf den Storylines von Iron Man 3, Thor: The Dark World und Captain America: The Winter Soldier frei.
Wer bereits LEGO Marvel Super Heroes oder andere Spiele der LEGO-Reihe gespielt hat, dürfte mit dem Gameplay vertraut sein. Viel hat sich nicht verändert, ihr lauft und springt auch in dem neuesten Action-Adventure von Entwickler TT Games immer noch mit mindestens zwei Charakteren durch abwechslungsreiche Settings, prügelt Gegner zu Klump und setzt einzelne Bauteile zu neuen Gegenständen zusammen. Selbstverständlich kann jederzeit ein zweiter Spieler beitreten, Koop ist aber nur lokal und nicht online möglich. Hin und wieder werden Bosskämpfe und kleinere Rätsel eingestreut, um etwas Abwechslung in den Spielverlauf zu bringen. Sehr oft müsst ihr mit einem Scanner bestimmte Punkte auf dem Bildschirm absuchen, um versteckte Objekte ausfindig zu machen oder aus einer Reihe von Doppelgängern die Trugbilder von der echten Figur zu unterscheiden. Obwohl anfangs noch eine nette Idee, kommt dieses Gimmick mit der Zeit etwas zu häufig zum Einsatz.
United We Stand, Divided We Fall
Neu ist außerdem eine kreisförmige Leiste, die sich an eurem Charakter-Icon befindet. Mit jedem besiegten Feind füllt sich diese Leiste ein Stück, einen Teil davon dürft ihr für spezielle Wurfangriffe verbrauchen. Ist sie komplett gefüllt, könnt ihr mit einem Partner eine Teamattacke ausführen, die besonders viel Schaden anrichtet. So reflektiert Captain America den Laser von Iron Man einmal im Kreis oder Thor lässt Hawkeyes Pfeile auf Gegner herabregnen. Diese Partner-Moves gibt es in jeweils zwei verschiedenen Ausführungen, abhängig davon welcher der beiden Charaktere sie startet. An bestimmten Punkten müsst ihr diese Aktionen auch mithilfe spezieller Bodenpanels ausführen. Euch werden dabei die Symbole der benötigten Figuren angezeigt, damit ihr sie in der richtigen Konstellation auf dem Feld platziert.
Die bereits erwähnte Detailtreue bei der Umsetzung der Filmvorlage in den Cutscenes ist eine klare Stärke von LEGO Marvel's Avengers. Auch wenn die Szenen jetzt mit dem typischen LEGO-Humor daherkommen, mit zusätzlichen Cameos von Stan Lee sowie 90 Prozent mehr Milchshakes und Pümpeln, als man es aus der Vorlage kennt. Im O-Ton wurden die Dialoge der Protagonisten mit Samples aus den Filmen vertont, was ein großes Stück zur dichten Atmosphäre beiträgt. Dasselbe gilt auch für die Verwendung der Originalsoundtracks. Einzelne Schauspieler, darunter Clark Gregg (Agent Coulson), Hayley Atwell (Peggy Carter) und Cobie Smulders (Maria Hill) haben sogar extra für das Spiel neue Zeilen aufgenommen. Robert Downey Jr. für zusätzliche Aufnahmen ins Studio zu holen, hätte vermutlich das Budget der Entwickler restlos vernichtet. Diese Samples sind leider hörbar als solche zu erkennen und stechen im qualitativen Vergleich mit den Neuaufnahmen hervor. Die deutsche Vertonung besteht nicht nur fast vollständig aus Neubesetzungen, sondern klingt auch noch recht lustlos. Für Quicksilver und Scarlet Witch hat man sich nicht einmal um osteuropäische Akzente bemüht.
Ist die acht bis neun Stunden dauernde Kampagne erst einmal abgeschlossen, habt ihr trotzdem nur einen Bruchteil des Spiels gesehen. Wer wirklich alle Inhalte freischalten will, wird deutlich mehr Zeit investieren müssen. Neben den bereits erwähnten, jeweils etwa eine halbe Stunde langen Bonusmissionen, habt ihr außerdem die Möglichkeit, bereits erledigte Kapitel noch einmal im Freeplay-Modus zu spielen. Darin dürft ihr selbst wählen, mit welchen Charakteren ihr die Segmente noch einmal in Angriff nehmt und könnt nach versteckten Goodies suchen. Beim erstmaligen Durchspielen stoßt ihr immer wieder auf Hindernisse und Bereiche, auf die ihr ohne die passenden Spezialfähigkeiten keinen Zugriff habt und später dorthin zurückkehren müsst. So schaltet ihr Stan Lee erst als spielbaren Charakter frei, wenn ihr ihn in allen Missionen und Locations gerettet habt. Neben MCU-Figuren gibt es auch zahlreiche Charaktere aus Comics und TV-Serien, darunter Doctor Strange, die Young Avengers und Fin Fang Foom.
"Avengers…"
Der Umfang des spielbaren Rosters kommt zum Teil auch dadurch zu Stande, dass besonders die Protagonisten in zahlreichen verschiedenen Ausführungen enthalten sind: Captain America im Look des ersten Films, Captain America als Steve Rogers, Captain America ohne Helm, Captain America auf Toast mit Shrimps und so weiter. Dafür fehlen Fan-Favoriten wie Spider-Man, die X-Men oder Deadpool, die Guardians of the Galaxy glänzen ebenfalls mit Abwesenheit. Immerhin war im Cast noch Platz für Charaktere wie Squirrel Girl, Butterball und Egghead. Als Hub dient eine Weltkarte, von der aus ihr neben den Missionen auch Open-World-Areale betretet. In diesen hat man zahlreiche Sidequests in Form von Wettrennen oder Bürgern in Not sowie freischaltbare Charaktere und Fahrzeuge versteckt. Der aufwändigste Bereich dieser Art ist Manhattan, die restlichen Gebiete wie Washington DC, die S.H.I.E.L.D.-Basis Project Pegasus und Sokovia in Osteuropa sind ein ganzes Stück kleiner und engen euch mit unsichtbaren Wänden ein.
Angesichts der nur geringfügigen Änderungen im Vergleich zu LEGO Marvel Super Heroes könnte man behaupten, dass man wieder einmal auf die bewährte LEGO-Formel gesetzt hätte. Das wäre eine sehr beschönigende Wortwahl, denn Stillstand beim Gameplay wird von uns nicht gern gesehen. Mehrmals fühlt sich der Spielverlauf gestreckt an, besonders Bosskämpfe ziehen sich gerne in die Länge. Wenn dann auch noch zum wiederholten Male das bereits erwähnte Scan-Gadget bemüht werden muss, um direkt vor unserer Nase liegende Objekte ausfindig zu machen, nimmt der Spaß ein ganzes Stück ab. Die Partner-KI ist äußerst unzuverlässig und hat nicht nur erhebliche Probleme bei der Wegfindung, sondern auch bei Bewältigung der Puzzles, sodass Einzelspieler immer wieder zwischen den aktuellen Charakteren hin- und herwechseln müssen. Den Gesamteindruck trüben außerdem einzelne Bugs und Abstürze, die ein erneutes Laden des Spielstands erfordern.
Abgesehen davon gibt es an der Technik nicht viel zu mäkeln. Die Ladezeiten fallen angenehm kurz aus und die Bildrate bleibt auch bei hohem Gegneraufkommen weitestgehend konstant. Mit der Präsentation der Story hat man vieles richtig gemacht, die Interaktionen zwischen den Akteuren und die zahlreichen Hintergrund-Gags sind immer wieder für Lacher gut. Wenn LEGO Marvel's Avengers etwas in Hülle und Fülle bietet, dann ist es Charakter. Und damit meinen wir nicht, dass sich in dem Action-Adventure mehr als 200 spielbare Figuren befinden. Stattdessen hat es TT Games geschafft, den eigentlich leblosen Plastikfiguren mit Mimik, Gestik und Situationskomik so viel Leben einzuhauchen, dass sie sich vor ihren Gegenstücken aus den Filmen nicht zu verstecken brauchen. Wer bereits mit großer Freude LEGO Marvel Super Heroes gespielt hat und einen Nachschlag braucht, ist mit LEGO Marvel's Avengers gut bedient.