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Far Cry Primal: Die besten Fan-Kurzgeschichten zu unserem Gewinnspiel

Seit dem 23. Februar könnt ihr mit Ubisofts Open World-Titel Far Cry Primal in die Steinzeit reisen, gegen gefährliche Säbelzahntiger kämpfen und riesige Wollhaarmammuts jagen. Passend zum Release haben wir gemeinsam mit Ubisoft ein cooles Gewinnspiel organisiert. Alles was ihr dafür tun musstet, bestand daraus uns eine erfundene Survival-Story zu Far Cry Primal zu schicken. Nachdem wir uns durch mehr als 135 "Kurzgeschichten" gewühlt haben, haben wir nun die glücklichen Gewinner bestimmt. Die drei besten Geschichten haben wir für euch in unserem Artikel zusammengefasst. Vielen Dank für alle Teilnehmer, die unzähligen kreativen Einsendungen und Herzlichen Glückwunsch an die Gewinner.

Untitled

Von Mathias Kästner (Platz 1)

„Das soll es nun gewesen sein? Einfach so? Da hol mich doch der Sägefisch! Und das passiert ausgerechnet mir. Was sollen meine Brüder im Dorf denken, wenn sie mich so sehen würden? Aufgeschlitzt von Fuß bis Knie, liege ich hier auf dem nassen Fels. Und dabei hatte ich immer gehofft, dass mich eines Tages dieser riesige Stampfer mit den langen weißen Hauern im glorreichen Kampf zertritt. Oder mich die gelbe Riesenkatze holt. Oder wenigstens ein großer Stammesfeind seine Keule auf mein Haupt krachen lässt. Ein Ehrentod unter uns Udoks. Wahrhaft würdig in die fruchtbaren Ebenen zu meinen zurückgelassenen Brüdern heimzukehren. Doch Schmach und Schande. Elender Fels. Elendes Wasser! Da rutsch ich aus und schlitz mir das Bein auf, dass der rote Saft nur so aus mir heraussprudelt. Mein Ende. Hier am Wasserfall. Gefressen von einem Rudel räudiger Köter. Die kommen immer, wenn sie leichte Beute wittern. Da hol mich doch…

Nur ein paar zappelnde Fische fangen, hatte ich gedacht. Mit meinem prächtigen Jagdspeer in der Hand und der Sammeltasche auf dem Bauch – gefüllt mit großem Fisch. Ja, das waren meine Gedanken, als ich aus dem Dorf ging. ‚Uang hu!‘ – hatte ich gesagt. Großer Fisch! Verdammte Verständigungsprobleme. Im Kopf geht das gut, doch durch den Mund kommt nur Fäulnis. Aber Udoks verstehen sich gut. Haben sie immer getan. Udoks denken viel und sagen wenig. Dafür aber nur Wichtiges. Für Unwichtiges ist einfach kein Platz.

Mir schwinden anscheinend schon die Gedanken. Mein roter Saft. Mein kostbarer roter Saft! Läuft einfach den Fels hinunter. Ich muss ihn aufhalten. Ja, das ist es! Ich muss ihn aufhalten! Meine großen Hände können viel Saft aufhalten. Zurück zu mir, mein kostbarer Saft. Komm auf meine Haut und fließ in meinen Mund. Gib mir Kraft! Ja, so ist es gut.
Udoks denken viel. Finden immer eine Lösung. Das ist gut. ‚Taran tu Ka!‘ – Geist leuchtet im Kopf!“

Und so kam es, dass der große Adler seine gewohnten Kreise über die zerklüftete Ebene von Ashrok flog und den jungen Krieger der Udoks am Fuße eines Wasserfalls entdeckte. Es mußte ein grotesker Anblick sein, wie ein kräftiger Zweibeiner sein eigenes Blut trank, das in immer dünner werdenden Strömen aus seinem Körper rann. Halb sitzend, halb an einem Fels gelehnt, ging die Hand immer wieder vom Fuß in den Mund. Die Bewegungen schienen mit der Zeit allerdings langsamer zu werden und dann sah es so aus, dass der Udokkrieger innehielt. War er tot? Ist der Geist endgültig aus ihm gefahren?

Rufe. Da waren Rufe zu hören. Leise und fern aber deutlich vernehmbar. Der Adler sah sich um und schlug dabei mit seinen mächtigen Schwingen. Die Rufe mussten aus dem angrenzenden Wald kommen. Er fixierte die Baumreihen und sah, wie drei Männer aus dem dichten Laubdach traten und auf den Wasserfall zuhielten. Doch die Männer kamen nicht aus der Richtung, in der das Dorf der Udoks lag. Sie kamen von den Bergen. Tagaris. Eindeutig. Die Bemalung und der Körperschmuck, die Behänge vieler Tiertrophäen, wie Zähne, Krallen und Ohren waren klare Zeichen der Jägersippe. Die Tagaris waren erfolgreiche und grausame Jäger aber kümmerten sich auch sehr führsorglich um Ihresgleichen. Um Ihresgleichen! Nicht um Stammesfeinde.

Sie hatten den einzelnen Udokkrieger am Fluss noch nicht entdeckt. Aber das war nur eine Frage der Zeit. Dieser bewegte sich zwar nicht und ob sein Tod sicher war, konnte man auch nicht mit Gewissheit sagen. Auch wenn der Udok sie im Stand um Körpergröße und Kraft überragte und einen zähen Gegner abgeben würde, in dieser Verfassung war er ein leichtes Opfer. Da blieb nur zu hoffen, dass sein Geist mittlerweile frei war und er die Jägerbräuche nicht mehr miterlebte, wenn sie kamen und sich das nahmen, was ihre Gottheit von ihnen verlangte.

Die Tagaris schienen es aber nicht auf einen Kampf mit einem Stammesfeind abgesehen zu haben. Wahrscheinlich wussten sie nicht einmal, dass am Wasserfall ein Udok lag. Es sah eher so aus, als ob sie jemanden suchen würden. Kein Jäger lief polternd und rufend durch den Wald, wie aufgescheuchte Stampfer. Jäger waren leise und welche wie die Tagaris hörte man erst, wenn es schon zu spät war, um weglaufen zu können. Das wussten sie auch und waren sehr stolz auf ihr Geschick. Aber nun sahen sie sich immer wieder um und riefen in alle Richtungen etwas hinaus. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis sie den liegenden Udokkrieger am Wasserfall entdecken würden.

„Was gäbe ich jetzt für eine Schale Wasser. Eine riesige Schale, mit ganz viel Wasser und einer Umarmung meiner Brüterin. Ja, das wäre schön. ‚Tala kam!‘ Genau so muss das sein. So ist es richtig!“
‚Tukesh!‘
„Mehr Wasser! Nun drück doch nicht so, Brüterin. Bist Du eine wilde Bärin geworden? Was soll das?“
,Tukesh!‘
„Jetzt reiß nicht an mir herum. Hör auf, sonst setzt es was!“
,Tukesh takar Udok!‘

Der junge Udok schlug die Augen auf und benötigte einen Moment, um zu realisieren was dort gerade mit ihm passierte. Er erschrak für einen kurzen Moment. Zwei kleine Männer zogen ihn, jeweils links und rechts, an den Beinen und schliffen seinen massigen Oberkörper über den feuchten Boden. Ein Dritter ging voraus und gab anscheinend die Richtung an. Tagaris!

Der rote Saft, der aus seinem rechten Bein lief, war weitestgehend getrocknet und es floss nichts mehr aus ihm heraus. Er war froh, wieder in der Ebene zu sein, auch wenn die Vorstellung zu seinen gefallenen Brüdern heimzukehren sehr verlockend war, und dankte Ruknak, seinem Kriegsgott, für die Gelegenheit ein paar Stammesfeinde erschlagen zu dürfen. Doch es fehlte dem Krieger die Kraft nun aufzubegehren.

Die Tagaris hatten es anscheinend mitbekommen, dass der Udok erwacht war und hielten in ihrer Bemühung inne, den jungen Mann weiter in ihr Dorf zu ziehen. Sie stellten sich im Halbkreis um ihn herum auf und sahen hämisch in seine tiefbraunen Augen. Ihre eigenen Gesichter kamen dem Udokkrieger wie Fratzen bösartiger Raubtiere vor. Sie hatten sie wie gelbe Riesenkatzen und einer, wie einen Hund mit scharfen Fangzähnen bemalt. Dabei lachten sie, dass ihre Trophäenbehänge klapperten.
‚Takar sot Udok. Trant Tuku kro!‘, sagte einer der Tagaris. Die beiden anderen nickten. Scheinbar hatten sie sich entschieden, ihn nicht weiter in ihr Dorf zu schleppen.

Der Udok verstand die Sprache anderer Stämme nur schlecht. Doch es gab ein Wort, welches für alle  gleichbedeutend war: kro. Tod. Das verstand er und er verfluchte seine momentane Schwäche, welche einen Kampf unmöglich machte. Der große Ruknak hatte ihn doch nicht zurückgeholt, um ihn hier endgültig sterben zu lassen. Der Tagaris, der gesprochen hatte und aussah wie der Hund mit Reißzähnen, zückte ein kleines Steinmesser, welches aber gefährlich scharf geschliffen wirkte.
„Nein!“

Der Udokkrieger versuchte sich zu bewegen, wurde aber mühelos von den beiden anderen Jägern an den Armen festgehalten. Der Tagaris mit dem Messer stellte sich breitbeinig über ihn und hob dieses mit beiden Händen hoch über den Kopf.

„Das soll nicht mein Tod sein!“, dachte der junge Krieger panisch und brüllte laut los. Doch es wirkte nicht. Der Tagaris murmelte ein paar Sätze und schloss dabei die Augen. Dann riss er sie wieder auf und rief die letzten Worte laut aus. ‚Trall gomett!‘ – Hier wird es beendet! Der Udok wehrte sich mit letzter Kraft und es war ihm, als wenn seine angespannten Sinne einen schrillen Schrei vernahmen. Das Messer des Tagaris sauste hinab. Der Krieger bäumte sich auf und mit einem mächtigen Ruck flog der Tagaris samt Messer im hohen Bogen gegen einen nahestehenden Felsen. Sofort waren die Arme des Kriegers frei und sie griffen reflexartig nach seiner kleinen Steinaxt, die am Oberschenkel befestigt war. Der Udok wusste noch nicht, was geschehen sein mochte, doch die Kraft, die sein Überlebensinstinkt freigesetzt hatte, durchströmte ihn mit heilender Wärme.

Er setzte sich auf und sah einen weiteren Tagaris neben ihn ins Gras fallen. Sofort schlug er zu, bevor dieser sich aufrappeln konnte und hörte schon beim ersten Schlag das knackende Geräusch von trockenen Zweigen, als die Axt auf das gemalte Gesicht einer Raubkatze traf. Er drehte sich schnell um, bereit erneut fest zuzuschlagen und dann sah er einen riesigen Vogel, der wie ein wildes Raubtier auf seine Beute einhackte. Die Beute musste der Anführer mit dem Messer gewesen sein. Der Adler hatte seine scharfen Krallen in dessen Bauch gefahren und schlug mit ungeheurer Wucht den spitzen Schnabel in die Brust des Tagaris. Dabei riss er jedes Mal einen kleinen Brocken Fleisch heraus und warf ihn schüttelnd zur Seite. Der Tagaris selber musste schon lange tot sein. Glück für ihn! Blieb nur noch einer übrig. Der Udok sah sich um, konnte den Verbliebenen aber nicht entdecken. Auch lag kein weiterer Körper herum. Also musste dem letzten Tagaris die Flucht gelungen sein. Auch gut. Für heute.

Argwöhnisch betrachtete der verletzte Udok den Adler, der noch immer in den Leichnam des Tagaris hackte und sich scheinbar nicht stören ließ. ‚Allan Kesh!‘ – Gefräßige Bestie. Also beschloss der Krieger seine Kraftreserven zu nutzen und kroch auf allen Vieren hinter einem großen Felsen, um seine Rückkehr zu den Brüdern ins Dorf zu planen…

Rückkehr

Yukina Chan (Platz 2)

Die Nacht ist kalt und dunkel. Dunkler als sonst. Die leuchtenden Punkte sind nicht zu sehen. Nichts spendet uns Licht. Ich friere, aber das ist egal, denn es ist wichtiger, dass Szaltan nicht friert. Mein Junge. Acht mal hat er das Erblühen der Pflanzen schon miterlebt. Ich bin zuversichtlich, dass er ein großer starker Krieger wird. Ein Mann, der seinen Stamm verteidigt und seiner Frau ebenso starke Kinder schenken wird, wie sein Vater mir Szaltan geschenkt hat.

Und deshalb muss ich ihn schützen, deshalb muss ich überleben. Dass ich unsern Jungen zurück zum Stamm bringe, ist wichtig. Sein Vater, der ihm schon so vieles gezeigt und sich so viel Mühe mit seiner Ausbildung zum Jäger gemacht hat, würde den Verlust seines Sohnes nicht verkraften. Ich drücke Szaltan näher an mich. Ich werde Vater und Sohn wieder vereinen und schon jetzt spüre ich den liebevollen Blick meines starken Kriegers auf mir.

Die flache Höhle bietet ausreichend Schutz vor den größeren Bestien, aber die ungebändigte Natur, die Geister des Sturms und der Kälte finden uns dennoch. Sie umschlingen uns. Die Höhle, zu flach für ein Feuer, um die Geister fern zu halten, stinkt nach verrottetem Fleisch und Blut. Etwas muss hier verendet sein. Vielleicht eine Bestie oder ein Nachzügler, der ebenfalls seinen Stamm bei einem der letzten Stürme verloren hat. Der Geist der Kälte zwingt mich dazu, meine Augen zu schließen und meine Wachsamkeit aufzugeben. Ich darf nicht schwach werden. Ich muss selbst zur Kriegerin werden, wenn Szaltan überleben soll. Beinahe scheint es so, als würden die Geister unseren Tod wollen, denn sie verstecken noch immer den großen Feuerball in ihrer Höhle. So hat es einst unser Schamane Tensay erzählt. Ich fragte ihn einmal, was Geister sind und er sagte mir, es seien die erlegten Bestien, die keinen Dank und keinen Respekt ausgesprochen bekämen, wenn wir uns ihres Leibes bedienen. Er erzählte grausame Dinge. Dinge, die einem passieren, wenn die Geister wütend auf einen sind. Sie streifen durch die Nacht und töten Frauen, Männer und Kinder im Schlaf. Sie jagen am Tage den großen Feuerball und sperren ihn ein, bis er sich wieder befreien kann. Ich habe es beobachtet, die Jagd. Das Blut, wenn die Geister den Feuerball in ihre Höhle zerren.

Die Erinnerungen an die Erzählungen unseres Schamanen lassen mich wach bleiben. Lassen mich den kalten Griff der Geister vergessen, bis der Feuerball unser Land wieder erhellt. Das Tal von Oros. Ich wecke Szaltan, denn es ist Zeit aufzubrechen. Jetzt, wo der Feuerball die Höhle der Geister verlässt, schlafen die großen Bestien und wir können uns weiter durch das üppige Tal durchkämpfen. Szaltan schaut mich verschlafen an. Er hat Hunger, doch wir haben keine Zeit. Er muss sich mit einem Brei aus Beeren zufrieden geben.

„Bei mir bleiben, Szaltan.“, sage ich, schiebe erst den Speer durch den schmalen Höhleneingang und dann mich selbst. Szaltan folgt mir. Noch zerren die Geister an dem Feuerball und wieder färbt das Blut das Land des Feuerballs rot. Ich wende meinen Blick ab und versuche mögliche Gefahren ausfindig zu machen. „Hunger.“, mault Szaltan. „Beeren essen und dann Wenja finden. Da richtig essen und Schutz vor Bestien.“ Szaltan versteht noch nicht was passiert ist, doch er weiß, dass wir unseren Stamm finden müssen, wenn wir überleben wollen. Er nickt und stopft sich den Brei aus Beeren in den Mund. Zwar habe ich selbst Hunger, doch ich bin stark. Wir bahnen uns einen Weg durch hohe Gräser und Dickichte. Ich finde weitere Beeren und gebe sie Szaltan zum Essen. Ich zeige meinem Jungen, wie er Spuren von Tieren und Menschen finden und unterscheiden kann. Szaltan ist gelehrig. Er wird einmal ein guter Jäger und Krieger.

Der Feuerball hat sich losgerissen von den Geistern. Ich finde Spuren der Udam. Ein blutrünstiger Stamm. Genauso gefährlich wie die Geister. Wir gehen in eine andere Richtung weiter und ich höre Schreie eines erlegten Hirsches und das Gröhlen der Jäger der Udam. Szaltan klammert sich an das Fell, das ich trage. „Scht. Leise sein dann nicht hören.“, sage ich ihm und schleiche mich durch das Unterholz. Die Bäume geben uns Schutz und das Moos dämpft unsere Schritte. Die Jäger weiden den Hirsch aus und beißen in das rohe Fleisch des Tieres. Ihre Mäuler sind über und über mit Blut, ihre Körper baden im Lebenssaft ihrer Beute. Ein grässlicher Anblick. Tensay erzählte uns, dass die Udam selbst zu Bestien werden, wenn sie sterben, weil sie so blutrünstig sind und den Geistern als Gefäß dienen. Er sagte, er hätte es selbst gesehen, als die Geister der Natur ihn in Gestalt einer Eule Nachts zum Stamm der Udam schickten. Es ist ein grausames Ritual und die Schreie der Männer und Frauen verfolgen ihn, sagt er. „Udam gefährliche Bestien. Gefährlicher als Säbelzahntiger oder wütendes Mammut. Sie haben bösen Geist in sich.“ Szaltan kennt die Geschichten der Geister und er fürchtet sie. Er nickt. Wir schleichen uns davon.

Der Feuerball zieht ebenso durch sein Land, wie wir es tun. Ich habe schon lange keine Spuren von Menschen unseres Stammes gefunden. Dafür Fellbüschel und Abdrücke von einem Rudel Wölfe und einem jungen Wollnashorn. Getrennt von seiner Herde und gejagt von Bestien. Szaltan hält tapfer durch und spricht kaum ein Wort, wie ich es ihm gesagt habe. Neben den Geräuschen von den ungefährlicheren Tieren und das Rascheln der Blätter in den Bäumen, klingt auch das Rauschen des Flusses in meinen Ohren wieder. Es kann nicht mehr weit sein, bis wir eines unserer Stammeslager finden, das tief versteckt in den Wäldern von Oros liegt. Die Naturgeister sind gnädig mit uns. Sie führen uns über Pfade, die kaum von Bestien gekreuzt werden oder sie locken sie von uns weg. Ich bin keine gute Kriegerin.

Alleine gegen einen Säbelzahntiger komme ich nicht an. Im Lager unseres Stammes kümmere ich mich um die Nahrung, um das Ausweiden der erlegten Tiere, die Herstellung von Fellen und Salben. Karoosh, mein Mann, ist ein starker und guter Krieger, doch auch er ist machtlos, wenn die Geister des Sturms wüten, unser Lager zerstören und uns voneinander trennen. Aber wir werden wieder zusammen finden und dann wird alles wieder gut werden. Das Rauschen ist lauter geworden und vor uns reißen die Flussgeister umgestürzte Bäume mit sich. Ein Hinüberkommen ist unmöglich. „Wir müssen anderen Weg finden. Lager nicht mehr weit.“ sagt Szaltan und zeigt Flussaufwärts. „Ja, Flussgeister wütend. Komm weiter, bevor Flussgeister uns bemerken und an unseren Fellen zerren.“

Immer wenn die Geister des Sturms durch das Tal von Oros ziehen, werden die Flussgeister wütend und die Bestien noch aggressiver. Szaltan kennt die Pfade, die zu den Lagern der Wenja führen, denn er beschritt sie schon mit seinem Vater und weiteren Jungen und Jägern. Es sind Rituale, um als Jäger vom Stamm anerkannt zu werden. Die Jungen müssen gemeinsam mit den Älteren ihr erstes Tier erlegen und ihr Geschick bei der Jagd zeigen. Erst dann werden sie in die Geheimnisse unseres Stammes eingeweiht. Szaltan hat sich äußerst geschickt angestellt und seinen Vater stolz gemacht.

„Spuren von Jägern von Wenja. Vater hier vorbeigekommen. Wir richtig.“ Szaltan hat tatsächlich die Kette seines Vaters gefunden. Ein Geschenk, dass ich ihm zur Geburt unseres Sohnes gemacht habe. Ich nehme die Kette an mich. Wie er sie wohl verloren hat? Ob er und die anderen Stammesmitglieder angegriffen worden sind? „Wir beeilen. Vielleicht Stamm braucht Hilfe.“ Szaltan nickt.

Das dichte Unterholz versperrt das Licht des großen Feuerballs und die Nacht rückt näher und näher. Die Flussgeister haben sich keineswegs beruhigt und ich habe kaum die Hoffnung, dass wir vor Einbruch der Nacht das Lager unserer Wenja-Brüder und Schwestern finden. Ein Wolfsrudel durchstreift ganz in der Nähe den Wald und ich befürchte, dass sie bereits unseren Geruch aufgenommen haben. Ich gebe Szaltan das Zeichen, schneller zu laufen. Der Boden ist uneben, überall ragen Wurzeln heraus und der Abhang zum Fluss ist rutschig. Ein umgestürzter Baum überzogen mit Moos, Farn und Schlingpflanzen dient unseren Stammesbrüdern als Brücke.

Ein gefährliches Knurren und Zähnefletschen dringt am meine Ohren. „Schneller, Szaltan. Bestien, Wölfe!“, rufe ich meinem Sohn zu, lasse mich hinter ihn fallen und hoffe etwas zu finden, dass ich als Waffe nutzen kann. Ein kräftiger Ast wäre perfekt. Die Bestien kommen immer näher und einer der Wölfe schnappt nach mir. Ich setze zum letzten Sprint an, denn der Baumstamm ist schon nahe. Szaltan überquert ihn gerade. Mein Atem geht schnell, ein erstickter Laut verlässt meinen Mund, als eines der Tiere mich von der Seite anspringt und ich erschöpft liegen bleibe. Mein ganzer Körper zittert vor Erschöpfung, in meinen Ohren klingt das Knurren noch lauter und die Schreie meines Sohnes lassen mein Herz sich zusammenziehen. Ich werde es nicht schaffen, aber er. Szaltan muss weiter, er darf nicht stehen bleiben. „Lauf, Szaltan! Lauf weg!“, schreie ich ihm zu. Mein Junge schaut unentschlossen zu mir, doch er tut, was ich verlange. Ich wende mich von meinem fliehenden Sohn ab und sehe mich umringt von den Bestien mit den stechend gelben Augen. „Nahh! … Ahh!“ Ich schreie. Ich schreie und versuche sie hinzuhalten und Szaltan Zeit zum Verstecken zu geben. Ich werfe mit Steinen und Stöckern um mich, doch das hält sie nicht davon ab, nach mir zu schnappen, mich zu kratzen und mich immer weiter an den Rand des Flussufers zu treiben.

„Ahh! Verschwindet!“ Etwas surrt durch die Luft und einer der Wölfe jault auf. Die Bestien knurren aggressiver als zuvor und wenden sich dem neuen Rivalen zu. Ein weiterer Speer fliegt durch die Luft und trifft einen weiteren Wolf. Das Rudel achtet nicht weiter auf mich und ich nehme die Chance wahr und klettere auf einen Baum, dessen Äste niedrig, aber stabil sind. Der Fremde hat bereits zwei Tiere erlegt, doch nun hat er nur noch sein Messer und drei weitere Wölfe stehen ihm gegenüber. Ich muss ihm helfen. Der Ast über mir erscheint mir durchaus geeignet als Waffe. Ich breche an dem Ast herum und beinahe habe ich das Gefühl, es ist zu spät, als das verräterische Knacken ertönt und ich nun mit einer Waffe in der Hand dastehe.

Ich atme tief durch und lasse mich vom untersten Ast fallen. Mit Schwung schlage ich auf den mir am nächsten stehenden Wolf ein. Er jault, krümmt seinen Rücken und nimmt Abstand zu dem Fremden und mir. Sein Rudel springt erschrocken zur Seite. Ein lautes Jaulen geht durch den dunklen Wald. Mittlerweile ist es Nacht geworden. Die drei Wölfe knurren weiterhin, doch am anderen Flussufer erhellen Fackeln das Unterholz und Stimmen meiner Wenja-Brüder und Schwestern werden laut. Unter ihnen Szaltan. Er ruft nach mir.

„Ashweya!“, dröhnt die tiefe Stimmes Karooshs durch den Wald. „Karoosh!“, antworte ich eben so laut, lasse aber die Bestien nicht aus den Augen. Es wäre ein fataler Fehler. Feste Schritte überqueren den Baumstamm und ein Wenja-Jäger gesellt sich an unsere Seite. Die Wölfe knurren noch und fletschen die Zähne, doch sie ziehen sich zurück. Ihre gelben Augen verschwinden in den Dickichten. „Ashweya!“ Karoosh stürzt auf mich zu, betrachtet mich eingehend von oben bis unten, doch es sind nur oberflächliche Wunden, kaum tiefe Kratzer.

Ein paar der Jäger gehen tiefer in den Wald, um sicherzugehen, dass die Wölfe sich auch wirklich zurückgezogen haben. „Oh, Ashweya, du in Ordnung. Szaltan guter Junge. Hat uns geführt.“ Der Stolz spricht aus Karoosh heraus und mir geht es nicht anders. Szaltan ist ein guter Junge. „Kommt. Im Lager essen und warmes Feuer. Nächte kalt und gefährlich. Los.“ Ein alter, kräftiger Jäger mit einem Bogen in der Hand zeigt in eine Richtung auf der anderen Flussseite.

Wir gehen nacheinander über den moosbewachsenen Baum, die Flussgeister wüten unermüdlich. Unsere Brüder gehen voran und Szaltan läuft neben seinem Vater. Das Jaulen des Wolfsrudels hallt durch den Wald, ein Säbelzahntiger brüllt dem entgegen und dann geht alles viel zu schnell.

Ich spüre etwas scharfes in meinem Rücken. Es nimmt mir die Luft zum Atmen und die Fähigkeit meinen Körper zum weiterlaufen zu bewegen. Ich breche zusammen. Ein Pfeil! Karoosh kniet neben mir und zieht in einem Ruck den Pfeil aus meinem Rücken. Mein gellender Schrei hallt durch den Wald. Meine Sicht, vor einigen Sekunden noch verschwommen, verbessert sich. Ein Surren durchzieht die Luft. Er trifft Szaltan und mein Junge geht leblos zu Boden. Ich schreie, Karoosh schreit und wirft sich auf den ersten Udam. Er lacht gehässig, seine Fratze ist verzerrt und gleicht einer schrecklicheren Bestie, als die, die ich kenne. Mein Körper brennt, aber ich muss zu meinem Jungen. Ich kann ihm helfen. Ganz bestimmt kann ich ihm helfen. Er ist nicht tot. Szaltan darf nicht tot sein. Er muss ein Krieger werden, seinen Vater stolz machen und seinen Stamm und seine Familie beschützen. „Szaltan.“ Tränen laufen mir die Wangen hinab. Schwerfällig habe ich mich zu meinem Jungen robben können. Blut strömt aus seiner Wunde. Ein Pfeil direkt im Hals. Wie können sie so etwas tun? Wut überkommt mich und dann spüre ich nichts mehr. Ich höre nur noch ein kreischendes Lachen, sehe Karoosh auf Szaltan und mich zustürmen und dann wird alles leise.

Keko

Marcus Ertmer (Platz 3)

Das Geräusch hinter ihm ließ Keko zusammenfahren. Eigentlich rechnete er immer mit dem Unerwarteten, mit etwas, das ihn angreifen wollte und im ungeeignetsten Moment auch angreifen würde. Aber dieses Geräusch machte auf ihn den Eindruck von etwas wirklich Gefährlichem. Etwas, das er noch nie gehört hatte. Gerade heute war Keko besonders aufmerksam. Normalerweise zog er mit den anderen durch die Steppen und kargen Wälder. Dafür gab es die Gruppe. Jeder passte auf den anderen auf. Es musste immer gejagt werden, und die Sippe hatte auch immer Hunger.

Jetzt hatte es einige Tage nur Beeren und Kräuter gegeben. Viele Male war die Sonne auf- und wieder untergegangen, während Keko krank in seiner Höhle lag, bedeckt mit Mammut- und Bärenfellen. Kurz war er davor, dem Weg seiner Ahnen zu folgen. Sein Weib kümmerte sich um ihn, so gut es ging, und bereitete ihm karge Mahlzeiten zu, um ihn am Leben zu halten. Heute fühlte er sich zum ersten Mal wieder etwas besser. Schon am Morgen war er allein zur Jagd aufgebrochen. Selbst eine Schlange wäre ihm jetzt recht. Malla hatte ihn ungläubig angestarrt, ihn aber nicht aufgehalten. Es war seine Pflicht, etwas ohne Wurzeln zu beschaffen. Etwas, das ihnen wieder Kraft gab.

Die Gruppe war unterwegs, schon einen Tag vor ihm aufgebrochen. Keko wusste, für ihn und Malla, selbst für ihre beiden Kinder würden sie wohl nichts mitbringen können. Das Essen war fast immer knapp, selbst wenn alle gesund waren. Und bei der Jagd wurde jeder gebraucht, jeder hatte seine Aufgabe. Dass er jetzt fehlte, verminderte ihre Chancen auf einen Erfolg.
Keko erinnerte sich an die Zeiten, als die großen Mammutherden durch das Land gezogen waren. Es waren gute Zeiten gewesen, damals, mit viel Essen. Aber seit dem großen Knall war das vorbei.

Der große Knall.
Lange vorher war ein helles Licht am Himmel erschienen, ein Vorbote, bei Tag und auch bei Nacht. Die Nacht war zuletzt so hell wie der Morgen, und am Tag stand das Objekt wie eine zweite Sonne am Firmament. Heller und heller wurde es. Dann kam der Knall. Er hatte vor seiner Hütte gearbeitet, als das Feuer kam. Aber er hatte es vorher gewusst. Irgendwie wusste er es. Als der brennende Schweif über den Himmel zog, hatte er blitzschnell sein Weib und die Kinder hinter einem Felsen in Sicherheit gebracht. Sie hatten überlebt. Nicht gut, aber überlebt. Das konnte man von den Wenigsten sagen.
Sie waren viele gewesen, vor dem Knall und vor dem Feuer. Ein großer Stamm, aber es gab auch viel Essen. Danach war nichts mehr wie vorher.

Verdorbenes Fleisch, ein verbrannter und toter Geruch in der Luft, das war die Zeit danach. Eine lange Zeit. Nicht wenige, die das Feuer überlebt hatten, waren verhungert. Viele waren auch krank geworden, Kinder waren tot oder verkrüppelt zur Welt gekommen. Es gab Säuglinge, die so deformiert waren, dass die Mütter sie, wenn sie noch lebten, mit einem Stein erschlugen. Manchen aus dem Stamm fielen die Haare aus, die Zähne, sie konnten sich nach einiger Zeit nicht mehr bewegen und starben. Andere aber wurden langsam wieder gesund. Was man gesund nennen konnte. Das Feuer hatte sie alle gezeichnet. Jetzt kam das Leben langsam zurück. Pflanzen wuchsen wieder auf verbranntem Boden und es gab auch wieder Tiere. Vereinzelt, aber es gab sie. Um sie zu suchen und zu jagen, brauchte die Gruppe jetzt viele Tage. Das waren Tage, an denen sie nicht wussten, wie es der Sippe ging. Sie lebten in ständiger Hoffnung, alle noch lebend vorzufinden, wenn sie, im besten Fall mit Fleisch, zurück zum Stamm kamen.

Das Geräusch war kratzend, wie ein Stein, der über einen anderen Stein geschoben wurde. Nur heller, intensiver, unheimlicher. Keko spürte, wie sich die Haare in seinem Nacken aufrichteten. Das Geräusch war nah, aber er flüchtete nicht. Er konnte nicht, war wie erstarrt. An schnelles Rennen war in seinem Zustand noch nicht zu denken, einen Kampf würde er vielleicht nicht gewinnen können. Hier, unter dem Baum war er vielleicht noch nicht gesehen worden. Keko wünschte sich zurück in seine Hütte. Zurück zu seinem Weib.

In der Gruppe war Keko der Sucher. Er hatte gelernt sich unauffällig durch das inzwischen wieder recht hohe Gras zu schleichen, um Herden und vereinzelte Tiere zu finden. Die Windrichtung war entscheidend, um nicht vorzeitig gewittert und entdeckt zu werden. Eigentlich hatte er seine Augen und Ohren immer überall. Das war auch der Grund, weshalb ihn das unerwartete Geräusch innerlich in Panik versetzte. Was immer das war, es musste sehr schnell sein.

Langsam, fast in Zeitlupentempo drehte Keko seinen Kopf und schaute hinter sich. Nichts. Aber das Echo des Geräuschs war noch in seinem Kopf. Ein heißer Wind strich über Kekos Rücken. Dennoch hatte er eine Gänsehaut. Ein leises Zischen erfüllte die Luft. Langsam wich Keko zurück, nicht ohne sich vorher noch einmal umzuschauen. Etwas stimmte hier nicht. Etwas stimmte ganz und gar nicht.
Der Baum zitterte leicht, als sich der Boden vor ihm langsam bewegte und öffnete. Es entstand ein Loch, erst klein, dann immer größer werdend. Das Zischen schwoll an zu einem alles durchdringenden Poltern. Keko sprang zurück, glaubte nicht, was er da sah. Halb rennend, halb kriechend wich er immer weiter zurück, als ihn das Loch fast zu verschlingen drohte.
Dann sah er die Schere. Etwas war im Begriff, sich aus dem Boden zu befreien. Etwas Großes. Keko versuchte zu schreien, aber er konnte nicht. Noch eine Schere schob sich über den Rand des Lochs, dann schnellte ein langer Schwanz hervor.

Keko erkannte, was das war, aber er glaubte es nicht. Nie hatte er einen Skorpion von dieser Größe gesehen. Die einzigen Waffen, die Keko mitgenommen hatte, waren sein Speer und sein aus einem Stein gehauenem, primitives Messer. Beides hielt er jetzt in den Händen, während er versuchte rückwärts auf dem Rücken kriechend aus diesem Alptraum zu entkommen.
Der Skorpion zischte laut. Es klang wie ein Gewitterdonnern. Dann glitt er mit geöffneten Scheren aus dem Loch auf Keko zu.

Keko sprang auf die Beine und wich weiter zurück. Das Biest war schnell, sehr schnell. Es versuchte ihn zu packen, aber wenn es etwas gab, das er gelernt hatte, dann war es mit dem Speer umzugehen. Keko schlug mit einem Arm die Schere beiseite, die auf ihn zugeschossen war und mit dem Speer zielte er zwischen die Augen des Ungeheuers. Es gab ein heiseres Geräusch, dann brach der Stiel seiner Waffe. Im nächsten Moment sah er den Schwanz mit dem langen Stachel über sich. Er warf sich zur Seite und verlor das Gleichgewicht. Im Fallen spürte er den Schmerz in seinem Arm. Ein Schmerz, der ihn fast ohnmächtig werden ließ. Es hat mich erwischt, ging es ihm durch den Kopf. Ich muss hier weg, und das schnell.

Keko rollte sich ab, im nächsten Moment stand er wieder auf den Beinen, während das Monster sich zu ihm drehte und zischte. Laut stöhnte der Jäger auf und sprang, so schnell er konnte, aus dem Zugriff der Schere, die laut schnappend auf seinen Bauch zielte. Dann rannte er los. Hinter sich hörte er das kratzende Geräusch, das ihm sagte, dass der Skorpion ihm folgte. Er schaute sich nicht um und lief so schnell er konnte. Diesem Tier hatte er nichts entgegenzusetzen, das wusste er. Sein Arm fühlte sich an, als würde er verbrennen, aber Keko versuchte verzweifelt den Schmerz in seinem Kopf auszuschalten, ihn zumindest zu unterdrücken und einfach nur zu rennen. Er wusste, noch etwa zweihundert Schritte, dann war er an der Schlucht, hinter der sein Dorf lag.

Jeden Moment rechnete er mit einem stechenden Schmerz in seinem Rücken, einer Schere oder einem Stachel, der sich in sein Rückgrat bohrte, was ihm Panik, aber auch zusätzliche Kraft verlieh. Das Kratzen schien lauter zu werden, aber vielleicht war es auch nur der Klang des Herzschlags in seinem Kopf. Da war die Schlucht. Keko sprang. Über sich hörte er ein wütendes Zischen, als er hart mit den Beinen auf dem Stein aufschlug, nach vorn rollte und den steilen Abhang halb rollend, halb stürzend herunter schlitterte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er den Grund der Schlucht erreicht hatte. Sein ganzer Körper schrie vor Schmerzen. Aber die Bestie über ihm schien verschwunden zu sein. Er wurde ohnmächtig.

Malla weinte, als sie ihn sah. Mit letzter Kraft hatte er sich in die Hütte geschleppt und war dort zusammengebrochen. Mit Hilfe der anderen Frauen hatten sie ihn auf das Bett gelegt und seine Wunden notdürftig versorgt. Er schien glücklicherweise keine Knochenbrüche zu haben, das war aber das einzige Glück, das er gehabt hatte. Die schlimmste Wunde war die an seinem Arm. Der Muskel des Unterarms war bis zum Knochen aufgerissen, eine grünliche Flüssigkeit tropfte heraus und Keko hatte viel Blut verloren. Sofort machten sich einige Frauen des Dorfes auf den Weg Heilkräuter zu sammeln. Später am selben Abend reinigte Malla die Wunde, einen Brei aus Pflanzen und Kräutern und bestrich die Wunde, um dann ein Fell fest um den Arm zu binden.

Malla war nicht gläubig. Trotzdem betete sie in dieser Nacht, bevor sie sich neben ihren Mann ins Bett legte. Keko musste den Stamm warnen. Er wusste nicht mehr, wie er den Weg zurück in sein Dorf geschafft hatte. Das einzige, woran er sich erinnerte, waren die Schmerzen, unerträgliche Schmerzen. Aber das Monster würde zurückkommen, dessen war er sich sicher und keiner seiner Leute hatte dem Biest etwas entgegenzusetzen. Sein gesamter Körper fühlte sich an, als würde er über einem Feuer geröstet. Das Schlimmste war sein Arm. Keko hoffte, er würde ihn irgendwann wieder benutzen können. Derzeit war daran nicht zu denken. 

Er wusste nicht, wie lange er gelegen hatte oder wie lange er ohnmächtig gewesen war. Sein Arm war verbunden, aber auch jeder Muskel seines Körpers schmerzte. Dann durchzuckte ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Sein Weib und seine Kinder waren in Gefahr. Der ganze Stamm war in Gefahr. Er musste aufstehen. Er musste sie warnen. Keko wusste nicht, ob die Hütten einem Angriff des Skorpions standhalten konnten, aber er wusste, draußen war die Gefahr noch größer.

Langsam und unter Qualen richtete er seinen Kopf auf und sah sich in der Hütte um. Außer ihm war niemand im Raum. Er versuchte zu rufen, aber außer einem Krächzen kam nichts aus seiner Kehle. Und dann diese Hitze. Das musste Fieber sein. Hohes Fieber. Trotz allem, liegen bleiben durfte er nicht. Vielleicht war es schon zu spät. Vielleicht war die Bestie schon da. Keko schwenkte erst ein Bein, dann das andere mühevoll von der hölzernen Liege. Die Felle, die ihn bedeckt hatten, fielen zu Boden. Keko fühlte die kühle Luft auf seiner schweißnassen Haut, dann richtete er langsam und qualvoll seinen Oberkörper auf. Das wäre geschafft, dachte er.

Er blieb sitzen, bis der Schmerz ein wenig nachließ, dann machte er den ersten zaghaften Versuch, auf seinen Beinen zu stehen. Es funktionierte besser, als er geglaubt hatte. Ihm war schwindelig, sein Magen rebellierte, aber er stand aufrecht. Mit kleinen Schritten schleppte er sich zur anderen Ecke der Hütte, in der er seine Waffen in einer notdürftig zusammengebundenen Kiste verstaut hatte. Er nahm einen langen, steinernen Dolch, den er sonst zur Mammutjagd nutzte und einen seiner Speere von der Wand. Keko dachte an die Kämpfe, die er in der Vergangenheit ausgetragen hatte. Mammuts waren nicht leicht zu töten und wenn man sie in die Enge trieb, konnten sie hart austeilen. Wenn ein Mammut erlegt war, kamen manchmal die Säbelzähne. Sie rochen das frische Blut und wollten ihren Teil abhaben. Aber auch sie waren nichts im Vergleich zu dem, was ihn dort in der Steppe angegriffen hatte.

Trotzdem, vielleicht könnten sie es töten. Er allein war zu schwach, aber wenn alle, auch die Frauen, ihre Waffen holten, hatten sie eine Chance. Es ging vor allem um die Kinder. Sie mussten geschützt werden, sie waren die Zukunft. 

Die Kinder schliefen alle gemeinsam in einer großen Hütte in der Mitte des Dorfes. Das hatten sie entschieden, weil es der beste Schutz war. Diese Hütte musste verteidigt werden, sie alle standen mit Ihrem Leben für die Sicherheit der Kinder. Vor allem hoffte Keko, dass die Gruppe zurückgekehrt war. Gute Kämpfer konnten sie gerade jetzt brauchen, besonders Flok, seinen Freund, der ein Meister mit dem Speer war. Auf ihn hatte er sich immer verlassen können, sie hielten sich gegenseitig den Rücken frei. Flok würde wissen, was jetzt zu tun war.

Keko setzte sich wieder auf die Kante seines Bettes und begann sich anzuziehen. Ihn fröstelte es, und gleichzeitig war ihm brennend heiß. In seinem Kopf begann sich alles zu drehen, trotzdem zwang er sich weiterzumachen. Er stöhnte kurz auf, als er mit einem der Felle an seinen Arm kam und bunte Lichtblitze des Schmerzes vor seinen Augen flackerten. Das war jetzt gleichgültig, er musste sich fertig machen. Er musste einfach.

Dunkle Nacht umfing ihn, als er langsam aus der Hütte trat. Niemand war zu sehen, nur das Feuer vor der Sammelstelle prasselte leise. Keko schaute herüber zu der Hütte, in der die Kinder schliefen. Was er sah, ließ sein Herz gefrieren. Vor der Hütte wartete das Monster. Es war kleiner, als er es in Erinnerung hatte, es stand einfach nur da und wartete. Ein leises Zischen war zu hören. Sofort waren alle seine Sinne hellwach. Die Schmerzen in seinem Körper fühlte er nicht mehr. Die Kinder mussten beschützt werden. Würde er jetzt schreien, wären alle verloren. Er hoffte nur, sich anschleichen und die Bestie allein töten zu können. Für Hilfe von anderen war es zu spät. Keko schlich sich von hinten an den Angreifer. Er versuchte keinen Laut zu machen. Genau solche Situationen hatte er jahrelang bei der Jagd geübt, das kam ihm nun zugute.

Das war nicht der Skorpion, der ihn angegriffen hatte. Dieser hier war um einiges kleiner, sah aber nicht minder gefährlich aus. Keko dachte nach. Wenn dies ein Jungtier war, bestand natürlich die Frage, wie viele dieser Kreaturen es hier gab. Er musste sie ausschalten, ohne großen Lärm zu machen. Langsam hob er seinen Speer, um ihn in den Rücken des Tieres zu rammen. Seine Erfahrung sagte ihm, dass er genau zielen und hart zuschlagen musste, um sein Opfer zu töten.

Der Skorpion stand mit dem Hinterteil zu ihm, in Richtung der großen Hütte gewandt. Er machte keinen Laut, wahrscheinlich wartete er auf Nahrung. Keko durfte sich nicht zu viel Zeit lassen. Würde eines der Kinder aus der Hütte treten, um seine Notdurft zu verrichten, wäre es im nächsten Moment tot. Und dann hätten sie alle ein viel größeres Problem. Der Schwanz des Skorpions mit dem tödlichen Stachel war noch nicht so stark ausgebildet wie bei dem großen Tier aus der Steppe. Trotzdem schwang er bedrohlich hin und her, jedoch ohne ein Geräusch zu machen. Keko musste genau den Moment abpassen, den tödlichen Speerstoß in den Rücken des Monsters zu setzen, ohne dass ihm der Schwanz des Tieres in den Weg kam.

Dann passierte es. Keko machte einen weiteren Schritt auf das Monstrum zu, ohne auf den Boden zu achten. Ein Zweig unter seinem Fuß brach und der Skorpion wirbelte herum. Keko hörte ein fast erstaunt klingendes, helles Quieken, dann stach er mit seinem Speer zu.
Der Panzer des Jungtiers hielt der Gewalt seines Schlages nicht stand. Keko traf das Tier unter den Augen, und der Skorpion schrie. Er schrie wie ein Kind, dann sackte er in sich zusammen. Im nächsten Moment brach die Hölle los.

Einige weitere Jungtiere waren scheinbar schon in die Hütte eingedrungen und stürzten jetzt heraus. Nun verstand Keko. Was er gerade getötet hatte, war nur ein Wächter gewesen. Ein Tier, das aufpassen sollte, wären die anderen sich in Ruhe sattfraßen. An den Kindern. An seinen Kindern. Keko schrie. Er stürzte sich auf die Jungtiere und tötete zwei weitere von ihnen, bevor er sich in die Hütte stürzte. Der Anblick verschlug ihm den Atem. Die Hütte war voll mit Babyskorpionen. Die Kinder waren verschwunden. Keko schlug mit seinem Speer wild um sich, achtete auch nicht auf den Schmerz, der sich von seinem Arm aus wie glühendes Eisen in seinen Körper ausbreitete. Er sah nur noch Skorpione und versuchte, so viele von ihnen wie möglich zu töten. Er wusste, diese Situation konnten seine Kinder nicht überlebt haben.

Dann hörte er den Schrei. Keko achtete nicht mehr auf die gefährlichen Stacheln und wirbelte herum.
Da stand sie. Das Muttertier stand im Eingang der Hütte und schrie. "Schrei nur, du Hexe", dachte Keko und ging auf das Tier los. "Um den Rest deiner Brut kümmere ich mich auch noch, jetzt bist erst einmal du dran." Der große Skorpion wollte in die Hütte eindringen, aber Keko warf sich gegen ihn und schob ihn hinaus ins Freie. Trotz seiner Wut und der grellen Schmerzblitze in seinen Augen, schaffte er es, vor ihrem giftigen Stachel und den beiden großen Scheren auszuweichen.

Der Skorpion machte ein kreischendes Geräusch und rappelte sich auf. Auch Keko war sofort wieder auf den Beinen. Er verschaffte sich einen kurzen Überblick. Die kleinen Skorpione, die noch nicht tot waren, hielten sich in sicherem Abstand. Wahrscheinlich warteten sie darauf, auch von dieser Mahlzeit noch etwas abzubekommen. "Ja, wartet ab, jetzt seht ihr, wie eure Mutter stirbt", dachte er grimmig. "Dann seid ihr dran."

Keko warf sich auf sein Opfer. Den Speer hatte er fallen gelassen, aber jetzt hatte er seinen Dolch in der Hand. Geschickt wich er einer Schere aus, dann schlug er zu. Die Schere landete abgetrennt im Sand. Rotes Blut, wie das eines Menschen, floss aus der frischen Wunde. Dann war er auf dem Rücken des Monsters. Der Schwanz mit dem Stachel war über ihm, aber seltsamerweise schlug das Tier damit nicht zu. Stattdessen schien es zusammenzubrechen. Keko hob den Dolch, um ihn im Rücken der Kreatur zu versenken.

Plötzlich kam der Schmerz. Keko ließ den Dolch fallen. Von seinem Rücken breitete sich eine Flammenwand aus Schmerz aus, die ihn überrollte. Etwas hatte ihn erwischt. Richtig erwischt.
Mit letzter Kraft schob sich Keko vom Rücken des Skorpions und landete rücklinks im Sand. Und da sah er ihn. Das Tier war um einiges größer als alle, gegen die er gekämpft hatte. Es war schwarz und seine Augen schienen zu glänzen. Dann hörte er den Schrei der Kreatur. Noch bevor es Nacht um ihn wurde, sah er, wie das große Tier auf ihn zustürmte. Er dachte an Malla und seine Kinder. Für seine Kinder hatte er alle Hoffnung verloren, aber bald würde er wieder bei ihnen sein. Ein kurzes Gebet. Dann starb er.

Flok warf ein weiteres Stück Holz ins Feuer. "Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir ganz und gar nicht."
Er starrte in die Flammen. Goyo legte seine Hand auf Floks Schulter. "Du hast das Richtige getan." Flok schaute nicht auf.

"Er war mein Freund, mein bester Freund. Nur für ihn und Malla habe ich meinen Anteil gespart. Ich wollte ihm helfen. Warum hat er das getan?"
Vor einem Tag waren sie von der Jagd zurückgekehrt. Sie hatten Fleisch gefunden. Nicht viel, aber es würde den Stramm ernähren, bis sie wieder los mussten.
"Ihm war nicht mehr zu helfen. Du musstest es tun."

"Ich werde Malla zu meinem Weib machen. Jemand muss sich um sie kümmern."
Goyo schreckte zurück. "Sie hat nur noch eine Hand. Sie wird nicht mehr viel sammeln können."

Traurig schaute Flok auf. "Ich bin jung. Und sie ist jung. Wir wird es schaffen. Für den Stamm. Oder für das, was nach Keko davon übrig ist. Ich hoffe, sie verzeiht mir."
"Das muss sie. Du hast sie gerettet. Er hätte auch sie getötet, das weißt du."
"Wie die Kinder." Eine Träne lief über Floks Gesicht. "Wie seine Kinder."
Aus der Ferne hörten sie ein Geräusch, wie leiser Donner, der über das Land zieht. Dann ein Kratzen.
"Es zieht wohl ein Sturm auf.", sagte Flok und legte weiteres Feuerholz nach.

Patrik Hasberg

Schreiberling, Spieleentdecker, praktizierender Perfektionist und Mann fürs Grobe. Außerdem laufender Freizeit-Hobbit, der Katzen liebt. – Hunde gehen auch. „Auch sonst eigentlich ganz ok“.
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