Pokémon wird zwanzig Jahre alt. Kein Wunder, dass es ordentlich zu feiern gilt und eine neue Generation im Jubiläumsjahr erscheinen muss. Allerdings bleibt mit Pokémon Sonne & Mond wenig beim Alten, stattdessen krempelt Entwickler GAME FREAK das angestaubte Franchise ordentlich um und sorgt mit großen, kleinen und Detailverbesserungen für das bislang beste Pokémon-Abenteuer.
Seit nun zwanzig Jahren starten wir als junger Trainer in ein großes Abenteuer. Zwanzig Jahre, in denen wir fangen, tauschen und kämpfen mussten – stets an der Seite unserer Pokémon, von denen es inzwischen rund 800 Exemplare gibt. Nach zwei Jahrzehnten stellt sich die berechtigte Frage, ob das angestaubte Konzept auch im Jahr 2016 noch funktionieren kann. Pokémon Sonne & Mond sind eigentlich dasselbe wie ihre Vorgänger und an so vielen Stellen doch unfassbar anders. Angenehmer, dynamischer, schlichtweg besser. Ich habe jedes einzelne Pokémon-Spiel gespielt. Jetzt wird es Zeit für Generation Sieben.
Vor knapp zwanzig Jahren fing alles an. Aus dem Hause unserer Mutter treten wir heraus, um eine eigentlich banale Aufgabe zu erfüllen. Wir treffen den Professor, bekommen unser erstes Pokémon und sind plötzlich auf dem Weg, der größte Trainer aller Zeiten zu werden. Wir fangen neue Taschenmonster, müssen eine Verbrecherorganisation niederknüppeln, beweisen uns in Arenen, eliminieren den Champ der Region und können uns fortan als neuer Pokémon-Meister bezeichnen. Diese Sätze lassen sich eigentlich auch genau so auf Pokémon Sonne & Mond übertragen.
Die Schönheit der Natur
Und doch sind Pokémon Sonne & Mond so viel anders als ihre Vorgänger. Alleine die Wahl der Region und die Editionsbezeichnungen lassen darauf schließen: Alola ist eine tropische Insel, basierend auf Hawaii und bestehend aus insgesamt vier großen Inseln. Jede Insel verfügt über ihre ganz eigenen Gepflogenheiten, ihre ganz eigene Kultur und zahlreiche weitere Unterscheidungsmerkmale. Alola ist geprägt vom Verbund zwischen Mensch und Natur, was sich an vielen Stellen zeigt. Jede Insel verfügt beispielsweise über einen eigenen Schutzpatron, die sogenannten Kapu-Pokémon und den Menschen in Not zur Hilfe eilen. Die Sonne und der Mond spiegeln derweil die zwei Dynamiken der Natur wieder, in der alles blüht und alles ruht. Alola ist eine wunderschöne Region, schöner als jede zuvor, die so viel malerischer und gigantisch zugleich wirkt. Jede Stadt fühlt sich dank Straßen, Fußgängern, großen Gebäuden in 3D und herumtollenden Pokémon (die wir endlich auch mal in ihrer ganzen Schönheit bewundern dürfen!) riesig an, auch wenn sie es eigentlich gar nicht ist. Jeder Pfad wirkt dank der Wahl des Grafikstils imposanter, mächtiger und dank abgerundeter Routenführung nicht ganz so merkwürdig wie die viereckigen Routenformen der Vergangenheit. Und abwechslungsreich sind die einzelnen Bereiche von Alola auch: Mal gibt es verschneite Berge, dann wieder Wüsten, dann einen Dschungel, dann weite Meereabschnitte…
Pokémon Sonne & Mond: Dieses Pokémon tötet kleine KinderDen Einklang mit der Natur zu erzielen ist keine einfache Aufgabe, weshalb man sich als junger Trainer der Inselwanderschaft stellen darf. Sie ersetzt das altbackene Acht-Arenen-Acht-Orden-Prinzip und spendiert uns ein deutlich ausgereifteres Konzept. In der Regel müssen wir eine x-beliebige Aufgabe erfüllen (kein Spoiler: dazu gehören beispielsweise Fotos von Pokémon, das Aufspüren bestimmter versteckter Items oder das Lösen von Rätseln) und uns im Anschluss dem Herrscher-Pokémon stellen. Das Herrscher-Pokémon ist größer und deutlich(!) stärker als ein gewöhnliches Pokémon der selben Art, kann sich jederzeit Mitstreiter (weitere Pokémon) dazuholen und uns ganz schön zum Schwitzen bringen. Manche Herscher-Pokémon rufen sich Mitstreiter dazu, die die Schwächen des Herschers ausgleichen und unserem Pokémon gefährlich sein können. Nur so viel: Bei einem Herscher brauchte ich rund vier Stunden, da ich mir eine echte Strategie zusammenlegen musste.
Die neuen Mitstreiter
Bei unserer Inselwanderschaft werden wir begleitet von unserem dauerfröhlichen Kumpel Tali und der jungen und äußerst sympathischen Lilly, die ein erstaunliches Geheimnis mit sich trägt. Die beiden unterstützen uns von Anfang bis Ende und sorgen dafür, dass wir gegen das Verbrecherteam Skull bestehen können. Team Skull ist, um es spoilerfrei zu beschreiben, eine Gruppe verlorener Menschen mit Selbstwertproblemen, die sich in einer Gang zusammengeschlossen haben, um eine Familie zu bilden. Mit Leichtigkeit kann ich Team Skull als das bislang beste Verbrecherteam der gesamten Serie bezeichnen. Absurd lustig, unfassbar verpeilt und geradezu liebenswert versuchen sie uns den Tag zu vermiesen…und wir können ihnen irgendwie gar nicht böse sein.
Einen großen Part spielt auch die Aether-Foundation, die sich dem Schutz der Pokémon verpflichtet hat. Pokémon, denen Schaden hinzugefügt wird, gelangen in die Hände der Aether-Foundation und werden hier versorgt und gesund gemacht. Auf der Aether-Insel gibt es ein eigenes Reservat zum Schutz verletzter Pokémon, die von Präsidentin Samantha Liebe erfahren sollen. So schön sich die Aether-Foundation auch anhört, auch hier gibt es diverse dunkle Geheimnisse – aber nicht so, wie man es sich vorstellen mag.
Endlich eine Story
Ein großes Manko in der Pokémon-Serie war immer die Story, die in Pokémon Rot und Blau quasi non-existent war und in den Remakes sogar nacherzählt werden musste. Während Pokémon Schwarz und Weiß den bisherigen Höhepunkt im Storytelling darstellten, X & Y einen leichten Rückschritt hinlegten, die Delta-Episode in Omega Rubin und Alpha Saphir toll war haben Sonne & Mond sowohl Stärken als auch Schwächen. Die grundsätzliche Geschichte und wie sie erzählt wird ist hervorragend, mit unerwarteten Twists und Wendungen, die sich niemals jemand hätte ausmalen können. Die Cutscenes sind toll und liebevoll animiert, die Musikuntermalung ist großartig. Das Ende der Geschichte rührend und schockierend zugleich…doch das alles setzt viel zu spät an. Wir sind auf der dritten von vier Inseln und noch immer ist eigentlich nichts passiert. Sonne & Mond setzen ihre Geschichte viel zu spät an, auch wenn diese sich nicht zu verstecken braucht. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir das erste Mal einen steigenden Spannungsbogen erleben, machen wir eigentlich nichts anderes als die Inselwanderschaft. Hin und wieder kommen Lilly und Tali dazu, die uns irgendetwas erzählen, sonderlich signifkant für den eigentlichen Plot ist das aber nicht.
Dafür sind die Dialoge fantastisch, wir mussten sogar mehrfach lachen – besonders, wenn Team Skull am Start ist. Es lohnt sich wirklich, mit jedem einzelnen NPC zu reden, denn der ein oder andere spuckt nahezu brilliant absurde Stücke heraus, die besonders in der englischen Textausgabe genial geschrieben sind. Das alles sorgt dafür, dass Sonne & Mond so viel erwachsener sind als die Vorgänger. Der Tod wird mehrfach angesprochen, die einzelnen Charaktere sind endlich portraitiert und werden im Laufe des Spiels zu Personen, um die man sich sorgt und über die man mehr erfahren will. Kein einzelner Antagonist wirkt deplatziert und wie eine Füllversion, man erinnere sich an die namenlosen Vorstände von Team Rocket, kein einziger NPC leblos. Sonne & Mond haben eine ganz besondere Stärke: Charakter. In jedem Objekt, in jeder Sequenz, in jedem Abschnitt. Das sorgt dafür, dass wir dran bleiben und weiterspielen. Ja, die einzelnen Charaktere, die Story, die Alola-Region motivieren uns! Wer hätte das jemals bei einem Pokémon-Spiel gedacht? Dabei nehmen sich auch Sonne & Mond nicht vollständig ernst, wie zahlreiche Abschnitte zeigen…
Was Sonne & Mond so neu macht
Okay, alles ist besser geworden. Aber was machen Pokémon Sonne & Mond jetzt eigentlich neu? Aufmerksamkeit erregt haben dürften die Alola-Formen, das sind Neugestaltungen einiger ausgewählter Pokémon, die sich über die Jahre den Temperaturen Alolas angepasst haben. Die bringen frischen Wind in die Serie und sorgen dafür, dass wir neue Pokémon bekommen, ohne wirklich neue Pokémon zu bekommen – denn mit nun 800 Taschenmonstern wird es langsam schwierig. Die großen Veränderungen stecken jedoch im Detail: Der Pokédex ist jetzt besser als je zuvor, der Beutel schöner sortiert, der Battle Royale (jeder-gegen-jeden-mit-vier-Spielern) spaßig, die fehlenden Arenen, die Poké-Erholung, das brilliante Pokémon-Resort (endlich ist die Box sinnvoll!) und vieles mehr runden das Abenteuer in Alola gelungen ab. Die wohl größte Verbesserung steckt im VM-System, denn die sind jetzt komplett abgeschafft. Für jede einzelne Tätigkeit (Surfer, Stärke, etc.) rufen wir uns ein Pokémon dazu, das uns in jeder Situation versucht zu helfen. Das ist nicht nur dynamischer, aufregender und hebt die Verbundenheit mit der Natur stärker hervor, sondern sorgt dafür, dass wir unseren Pokémon nie wieder völlig unnötige Attacken beibringen müssen. Auch die neuen Z-Attacken, die die völlig überzogenen Mega-Entwicklungen zum Teil ersetzen sollen, erweisen sich als hilfreiche Lösung in vielen engen Kämpfen. Leider wollen unsere Gegner sie nur selten einsetzen.
So schön sich das alles anhört, leider sind auch die neuen Pokémon-Spiele keine Herausforderung. Der Schwierigkeitsgrad ist leicht erhöht worden, die Pokémon-Trainer deutlich schlauer im Umgang mit Attacken, doch das alles sorgt nicht dafür, dass wir ins Schwitzen kommen. Okay, gut, manche Kämpfe wie der gegen das eingangs erwähnte Herrscher-Pokémon können durchaus knifflig werden. Zu bemängeln ist auch die vollständig fehlende 3D-Funktion, die nur im PokéSucher (einem übrigens recht spaßigen Fotografie-Minispiel) zur Verfügung steht. Trotz dessen sind bei aufwändig inszenierten Kämpfen Framerate-Einbrüche bemerkbar, der PokéSucher ist mit aktiviertem 3D-Modus eine einzige Ruckelpartie.
Abseits des Spiels gibt es übrigens eine Menge zu erleben: Wir können unseren Helden einkleiden, seine Frisur verändern, neue Sachen auf dem Festival-Plaza freischalten, versteckte Wege erkunden, den Pokédex vervollständigen, die Post-Story erleben, uns dem Kampfbaum stellen, alle Zygarde-Würfel sammeln und viel viel mehr…aber das solltet ihr selbst erkunden.