Kann ein historischer Roman auch als Videospiel funktionieren? Genau diese Frage stellen sich Fans von Ken Folletts Die Säulen der Erde bereits schon länger. Jetzt ist Buch 1: Aus der Asche endlich da. Wir haben uns die interaktive Novelle von Daedalic Entertainment ganz genau angeschaut und sagen euch in unserem Test, wie uns das Spiel gefallen hat und ob wir von der Umsetzung des Bestsellers überzeugt werden konnten.
27 Jahre ist es mittlerweile her, dass Ken Folletts Die Säulen der Erde (im Original 'The Pillars of the Earth') erstmals veröffentlicht wurde. Dem großen Erfolg ist es zu verdanken, dass Jahre später nicht nur eine Verfilmung der Vorlage umgesetzt wurde, sondern auch ein Gesellschaftsspiel auf den Markt kam. Auch heute noch ist der historische Roman mit mittelalterlichem Flair überaus beliebt und so sorgte die Ankündigung, dass auch eine Spiel-Adaption für 2017 geplant sei, für allerlei Aufregung. Doch während sich viele ehemalige Leser auf den Titel freuten, wurden auch immer wieder Stimmen laut, die sich besorgt zeigten, ob die kommende Umsetzung von Daedalic Entertainment der Vorlage gerecht werden könne.
Am 15. August 2017 war es nun endlich so weit und der erste von drei Teilen von Die Säulen der Erde erschien für PC, Mac, Linux, PlayStation 4 und Xbox One. Da es sich hierbei allerdings um eine interaktive Novelle handelt, wird Aus der Asche als Buch 1 bezeichnet und ist in einen Prolog und sieben Kapitel aufgeteilt. Über die verschiedenen Abschnitte hinweg folgen wir aber nicht etwa einem Protagonisten, sondern werden abwechselnd in die Haut von verschiedenen Hauptfiguren versetzt, die alle ihr ganz eigenes Päckchen zu tragen haben und uns nun an einem signifikanten Teil ihres Lebens teilhaben lassen.
Die Geschichte beginnt
So treffen wir auf Tom Builder, einen Baumeister mit dem großen Traum, einmal eine Kathedrale zu erschaffen. Doch als Vater liegt es an ihm, seine Kinder zu ernähren und so muss ihm auch weit weniger anspruchsvolle Arbeit genügen, wenn sie die Mägen seiner Familie zu füllen vermag.
Aber Tom ist nicht der einzige, der im kargen England des 12. Jahrhunderts um sein Überleben kämpfen muss. Der junge Jack lebt abseits der Gesellschaft mit seiner Mutter Ellen im Wald. Als sogenannte Outlaws sind sie vogelfrei und müssen sich so nicht nur vor Hunger, Kälte und wildem Getier fürchten, sondern vor allem auch davor, entdeckt und von einer grausamen Hand gerichtet zu werden.
Und dann ist da auch noch der gutherzige Mönch Philip, der versucht die kleine Abtei von Kingsbridge wieder auf den rechten Weg zu bringen und dabei einige schwierige Entscheidungen treffen muss.
Stück für Stück wird klar, dass die Geschichten nicht unabhängig voneinander stattfinden, sondern dass die Schicksale der Protagonisten eng miteinander verflochten sind. Aus der Asche ist dabei nur der Anfang von allem, legt sozusagen die Grundsteine und das Fundament einer großen Geschichte, die es zu erzählen gilt.
Ein Roman als Spielversion
Etwa fünf bis sechs Stunden lang lesen und interagieren wir uns nach einem kurzen Tutorial durch das erste Buch. Die Handlung ist leicht verständlich und zieht auch Quereinsteiger schnell in ihren Bann, eine Kenntnis der Vorlage ist demnach keine Voraussetzung. Auch die Steuerung ist angenehm einfach gehalten: Per Mausklick bewegen wir uns durch die verschiedenen Kulissen, führen Aktionen aus und entscheiden uns zwischen mehreren Dialogoptionen. Einzelne Gesprächsfetzen können dabei ebenfalls mit einem Mausklick übersprungen werden. Mit der Leertaste könnt ihr alle interagierbaren Objekte sichtbar machen und mit einem Rechtsklick denkt der Protagonist dann über das angewählte Item nach.
Links unten am Bildschirmrand befindet sich unser Inventar mit aufgesammelten Items, die mal mehr, mal weniger sinnvoll mit der Umwelt zu kombinieren sind. Rechts unten finden wir wiederum kleine Icons mit in Erfahrung gebrachten Informationen, sodass wir diese mit einem einfachen Klick mit unserem Gesprächspartner zum Thema machen können.
Was haben wir nun wieder angestellt?
Bei der Interaktion mit den verschiedenen Objekten gibt es immer wieder kleine Quicktime Events, die es zu absolvieren gilt. Bei manchen hat man unendlich Zeit, um sie zu bewältigen, bei anderen droht bei Ablauf der Zeit ein Misserfolg.
Aber auch unsere Worte und unsere Taten haben Konsequenzen, die mal mehr und mal weniger voraussehbar sind. So erledigen wir erst mühsam ein Reh mit unserer Steinschleuder, nur um das Fleisch dann verkommen zu lassen, weil wir zu neugierig waren. Hoppla. Nun, aber dafür war da das eine Mal, als wir einem kleinen Mädchen erzählt haben, dass wir jetzt eine waschechte Prinzessin besuchen, nur um unseren Willen zu kriegen… Oh. Nun ja, oder damals, als wir uns als vertrauenswürdig erwiesen, indem wir unserem Gegenüber die Farbe unserer Ausscheidungen verschwiegen… Ach, fragt nicht, denkt nicht einmal darüber nach. Vertraut mir.
Und obwohl die interaktive Novelle einige typische Adventure-Aspekte hat, ist es hier alles andere als ratsam, wie sonst bei dieser Art von Spielen alles einzustecken, was nicht niet- und nagelfest ist, weil man es ja gebrauchen könnte. So werden wir unter anderem als Dieb bezeichnet und ernten jede Menge Misstrauen, sollten wir uns entscheiden unserem schwächelnden Pony eine Handvoll Heu oder einen Apfel zu bringen, die technisch gesehen vielleicht nicht so ganz uns gehörten…
So viele Möglichkeiten…
Besonders angenehm ist außerdem, dass nie vorauszusehen ist, welche Handlung nun die richtige ist. Sollen wir die Wahrheit sagen oder ist es klüger zu lügen? Und wonach richten sich unsere Entscheidungen: danach, was wir für richtig halten oder was wir denken, wie sich die Charaktere verhalten würden? Die Entscheidungen in Die Säulen der Erde scheinen ein Feld aus Grautönen zu sein, in dem es kein Richtig und kein Falsch gibt und wir uns nie sicher kein können, gerade nicht etwas furchtbar Dummes getan zu haben. Merke: Nur weil eine Option gegeben ist, sollte sie noch lange nicht genutzt werden. Und: Zeit verstreichen zu lassen und nicht zu reagieren ist manchmal der cleverere Schachzug, auch wenn man dies erst durch Zufall herausbekommen mag.
Viele Handlungsmöglichkeiten sind rein optional und nicht nötig, um die primäre Handlung voranzubringen. Doch auch sie haben Konsequenzen, welche uns wiederum am Ende jedes Kapitels vorgehalten werden. Oft bleibt dabei ein Gefühl der Fassungslosigkeit samt einem „Warte, ich hätte das anders machen können?“ zurück und das Bedürfnis, beim nächsten Mal alles richtig zu machen, wächst. Wiederspielwert? Definitiv gegeben!
Eine zauberhafte Umsetzung
Die Charaktere sind liebenswert und schon nach kurzer Zeit fühlt es sich an, als würden wir sie bereits ewig kennen. Ihr Schicksal liegt uns am Herzen und umso bemühter sind wir dementsprechend, möglichst alles richtig zu machen. Hier spielt natürlich auch die Romanvorlage von Ken Follett eine wichtige Rolle, einen großen Anteil trägt aber auch die Umsetzung von Daedalic Entertainment. So wirken die Charaktere real und glaubwürdig und können mit einer unglaublich passenden und überzeugenden Synchronisation überzeugen. An manchen Stellen kommt zudem ein Erzähler zu Wort, was das Gefühl, ein interaktives Buch Stück für Stück zu entdecken, noch verstärkt.
Nicht nur die Protagonisten, sondern auch die Kulissen sind liebevoll ausgestaltet, einige Screens sind sogar wirklich atemberaubend und kleine Kunstwerke. Für Abwechslung ist dabei immer gesorgt und so erkunden wir beispielsweise Wald, Kloster, Friedhof, Krypta, Mühle und Burg, wobei jede Umgebung mit allerlei Details zu überzeugen weiß.
Dazu passend ist auch die musikalische Untermalung, die nicht nur das mittelalterliche Setting unterstreicht, sondern auch die verschiedenen Situationen ergänzt und so eine tolle Atmosphäre kreiert. Vereinzelt ist die Lautstärke allerdings nicht ganz ausgepegelt und dröhnt so auf einmal deutlich zu laut aus unseren Boxen. Bugs treten dafür kaum auf, nur selten fehlen auf einmal die animierten Mundbewegungen, andere technische Probleme gibt es nicht.
Charmante Kleinigkeiten
Sehr angenehm sind weiterhin die verschiedenen Speicherstände, sodass wir schon jetzt verschiedene Wege ausprobieren und speichern können, um sie dann in der Zukunft in Buch 2 und Buch 3 zu integrieren.
Ein netter Zusatz sind außerdem die Trophäen, die nicht nur so charmante Namen wie „Petze“ tragen, sondern auch wirklich verdient werden wollen und uns nicht einfach für den alltäglichen Spielfortschritt hinterher geschmissen werden.
Auch wenn inhaltlich oft gar nichts groß Spektakuläres passiert, sitzen wir fast die gesamte Spielzeit gespannt vor dem Bildschirm, denn Daedalic Entertainment gelingt es, dass sich das, was hier vor sich geht, bedeutsamer anfühlt als es sich bei einem Videospiel eigentlich erklären ließe. An einigen Szenen im Kloster zieht sich der Plot zwar wie ein zäher Kaugummi und wir ärgern uns ein wenig, als wir später erst eine bestimmte Frage stellen müssen, um einen längst ausgesprochenen Auftrag auch offiziell bewältigen zu können, im Großen und Ganzen gibt es inhaltlich aber absolut nichts zu meckern.
Allerdings hätten wir uns doch etwas mehr Humor gewünscht. Zwar ist dieser nur an wenigen Stellen vorhanden, weiß dann aber doch vollkommen zu überzeugen. Gerne mehr davon!
Die Charaktere übernehmen das Ruder
Die Säulen der Erde besteht aus genau der richtigen Mischung zwischen Gameplay und erzählerischen Elementen und nutzt kleine Rätsel, um den Spieler förmlich in die Geschichte einzusaugen und nicht, um die Spielzeit künstlich in die Länge zu ziehen. Die Vermittlung von Werten geschieht unaufdringlich und unaufgesetzt. So wird beispielsweise die Alltäglichkeit von sexuellen Übergriffen recht unemotional und ohne erhobenen Zeigefinger thematisiert, ohne der Tat an sich dabei das Abstoßende zu nehmen. Es ist nicht nötig, uns zu sagen, was wir fühlen sollen, das bewirken die Charaktere von ganz allein.
Und genau das macht Die Säulen der Erde so angenehm zu spielen, wirken Geschichte und Umsetzung doch harmonisch zusammen und greifen wie Zahnräder ineinander, um ein wirklich stimmiges Ergebnis zu erzielen. Wenn ein historischer Roman zum Videospiel wird, dann sollte es sich am Ende genauso anfühlen. Stimmig. Atmosphärisch. Packend. Wer da nicht gespannt auf die nächsten Kapitel ist…