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Mit Assassin’s Creed Valhalla erscheint am 10. November 2020 eines der am sehnsüchtigsten erwarteten Rollenspiele in 2020. Und nach vielen Stunden, die ich für diesen Test in dem Open-World-Titel des Entwicklers Ubisoft Montreal verbracht habe, kann ich zwei Sachen mit Sicherheit behaupten. Zum einen ist Protagonist Eivor so ziemlich das genaue Gegenteil von einem lautlosen Assassinen und zum anderen ist dieser Umstand für den Spielspaß völlig egal.
Handlung und Figuren in Assassin’s Creed Valhalla
Für einige mag es überraschend kommen, andere haben es sich vielleicht bereits gedacht. „Assassin’s Creed Valhalla“ legt den Fokus stark auf das Schaffen der Wikinger. Das bedeutet, die Handlung in diesem Teil konzentriert sich über weite Strecken auf das, was Eivor und Prinz Sigurd zu erreichen versuchen, und ihre Taten, um dieses Ziel Realität werden zu lassen.
Die Bruderschaft und der verfeindete Orden, Attentate und Intrigen, all dies gerät vor allen Dingen in den ersten zwei Dritteln der Geschichte stark ins Hintertreffen und wird erst gegen Ende wieder wirklich interessant und gleichsam auch relevant. Damit fühlt sich dieser Teil des Franchises viel mehr wie ein Ableger der Hauptreihe an. Und das nicht unbedingt im schlechten Sinne, denn die Handlung von Valhalla ist durchaus eine, die gut erzählt wird und durch spannende Ereignisse und Wendungen punkten kann.
Die relevanten Charaktere in dem Spiel von Ubisoft sind allesamt gut ausgearbeitet, auch wenn bei manch einer für die Geschichte wichtigen Figur stellenweise ein gutes Stück an Hintergrundgeschichte und psychologischer Tiefgang fehlt, um sich entweder gut mit ihr identifizieren oder ihre Entscheidungen und Taten zumindest nachvollziehen zu können. Unterm Strich haben die Entwickler in Sachen Drehbuch und Dialoge jedoch einen wirklich guten Job geleistet.
Diese Aussage gilt aber nur für die Hauptquest, denn abseits der Wege und Flüsse, bei Zufallsbegegnungen, die hier Weltereignisse genannt werden, stellt sich nicht die Frage, wie gut oder auch schlecht das Gesehene ist, sondern nur, was sich die Entwickler wohl bei der Produktion gedacht haben. Scheinbar nehmen sie sich nicht so ganz ernst. Denn „Assassin’s Creed Valhalla“ ist vollgestopft mit den merkwürdigsten, um nicht zu sagen durchgeknalltesten Charakteren und manch einem Ausflug von Eivor, der Alice im Wunderland alle Ehre macht.
Frauen, die so viele Schlangeneier essen, bis sie große, grüne Gaswolken pupsen. Farmer, die jubelnd die Arme in die Höhe reißen, weil Eivor ihre Häuser niedergebrannt hat. Ein Mann mit einer Axt im Kopf, der sich nicht sicher ist, ob er einen Heiler aufsuchen soll. Zwei Angeber, die Plündern und Brandschatzen üben, dabei aber ihr eigenes Hab und Gut abfackeln. Das Spiel ist vollgestopft mit solchen Figuren und dieser Art von Humor und es muss wohl jeder für sich selbst entscheiden, ob das zu der grundsätzlichen Prämisse passt.
Erwähnenswert ist in Sachen Hauptgeschichte zudem noch, dass die Entscheidungen, die ihr im Verlauf der Kampagne treffen müsst, immer mal wieder Auswirkungen auf den späteren Handlungsverlauf haben können. Die meisten davon beziehen sich jedoch nur auf kleine Abweichungen, wie zum Beispiel die Frage, ob ein bestimmter Charakter Eivor gut leiden kann oder nicht.
Nichtsdestoweniger gibt es auch Momente, die darüber entscheiden können, ob sich euch ein anderer Wikinger dauerhaft anschließen möchte oder wie viel ihr über die Hintergründe zu der Geschichte in Erfahrung bringen könnt. Alternative Enden müsst ihr nicht erwarten, doch tatsächlich ist es möglich, einen wichtigen Aspekt an der Handlung dauerhaft abzuändern, je nachdem, zu welcher Art von Persönlichkeit ihr in Gesprächsoptionen in gewissen Szenen tendiert habt.
Sinnloses Schleichen und störende KI-Probleme
Die meiste Zeit des Spiels über ist es nicht nur nicht notwendig zu schleichen, sich zu tarnen und zu verstecken, es ist darüber hinaus auch völlig sinnlos, da die KI der Gegner sowieso viel zu banal ist, um in irgendeiner Form eine Bedrohung darzustellen. Und es abgesehen von einem Gebiet, das ihr erst sehr spät im Spiel bereisen könnt, auch kaum Regionen gibt, wo ihr mit dieser Methode besser fahrt als mit wildem Gefuchtel eurer todbringenden Waffen.
Die Möglichkeit, sich die Kapuze über den Kopf zu ziehen, zwischen Mönchen getarnt zu sein und Alltagsaufgaben nachzugehen, damit die Wachen Eivor für einen normalen Bürger halten, sind nur für solche unter euch relevant, die das Spiel auf einem sehr hohen Schwierigkeitsgrad spielen wollen. Alle anderen sind deutlich schneller und wahrscheinlich auch effektiver, wenn sie schlichtweg die Äxte sprechen lassen. Zumindest dort, wo es nicht zwingend notwendig ist, im Schatten zu bleiben.
Hinzu kommt, dass sich die Möglichkeiten zum Untertauchen mal wieder völlig verrückt und irgendwie auch surreal anfühlen. Klar, euer Charakter, der eben noch von Wachen gejagt wurde, ist plötzlich nicht mehr zu erkennen, weil er oder sie auf einer Parkbank Platz genommen hat. Niemanden stört es, wenn ein Wikinger ins private Haus getrampelt kommt und anfängt Butter zu stampfen. Und wenn ich einen Soldaten vor den Augen der Bauern umbringe, dann schreien diese und rennen weg, aber niemand ruft andere Wachen.
Was eh egal ist, denn wenn eine Wache direkt neben den schreienden Bauern steht, von eurer Tat selbst aber nichts mitbekommen hat, dann ist ihr der Aufruhr so herzhaft egal, dass ich mich manchmal erbarmt und sie einfach habe leben lassen. Ich habe mal einer Gruppe von Soldaten eine schwere Steinladung auf den Kopf fallen lassen. Deren Kameraden drehten sich um, sahen die Leichen, zuckten mit den Schultern und widmeten sich wieder ihrem Leben. Gute Einstellung, wer jemandem so etwas antut, mit dem möchte man einfach nichts zu tun haben.
Die Kämpfe in Assassin’s Creed Valhalla
Wenn es um die harten Kämpfe gegen die Sachsen, andere Wikinger und hier von uns nicht genannte Parteien geht, sieht die Sache ein wenig anders aus, denn zumindest sind diese abwechslungsreich und nicht selten voller beinbrechender Action und übertriebener Brutalität, die den Bogen jedoch nie überspannt. Es gibt genügend verschiedene Waffen, um viele verschiedene Kampfstile abzudecken und für etwas Abwechslung beim Morden zu sorgen.
In wieweit dieser Umstand bereits zufriedenstellend ist, muss aber jeder selbst entscheiden, denn viele Waffentypen heißt nicht, dass sich dadurch automatisch auch viel am Spielstil verändert. Schließlich ist die Zahl der Bewegungen, die ihr mit einem Waffentyp ausführen könnt, geringer als die Zahl der verschiedenen Waffentypen an sich. Und hinzu kommt, dass ihr im Grunde jeden Kampf sowieso schon dadurch gewinnen könnt, dass ihr im richtigen Moment entweder ausweicht oder kontert.
Ob ich dies auf einem hohen Schwierigkeitsgrad tue oder auf niedrigem, wo ich deutlich weniger Schaden einstecken muss, ist eigentlich fast egal, denn letztendlich geht es ja eh darum, sich nicht treffen zu lassen, den Gegner dafür aber immer reichlich Stahl zu servieren. Zumindest einen Vorteil hat diese maßlose Überlegenheit jedoch, vor allem in Anbetracht, dass zumindest einige Bosse euch durchaus Paroli bieten können, denn dadurch fühlt ihr euch garantiert genauso, wie ihr Protagonist Eivor auch wahrnehmen sollt.
Abgesehen von wenigen Begegnungen gibt es kaum eine Quest und einen Ort, wo ihr nicht einfach nur dadurch gewinnen könnt, dass ihr jedem Feind eine Axt ins Gesicht schleudert. Auf Taktik müsst ihr fast nie einen Wert legen und wer die Kombination aus Ausweichen und Kontern beherrscht, besiegt selbst die stärksten Gegner in Windeseile. Unterm Strich machen die Kämpfe also zwar durchaus Spaß, sind aber in keiner Weise herausfordernd oder auch abwechslungsreich.
Plündern und Ausbauen
Zu behaupten, „Assassin’s Creed Valhalla“ hätte einen Städtebau, ist zwar nicht grundlegend inkorrekt, aber so ausgedrückt vermittelt die Aussage vielleicht eine falsche Vorstellung. Ja, ihr könnt Kloster plündern und dadurch Ressourcen erhalten, mit denen ihr Hütten in eurem Dorf baut, aber nein, wirklich viele Optionen und Entscheidungsmöglichkeiten habt ihr in dieser Sache nicht.
Ihr baut einfach nur die verfügbaren Häuser nach eigens gesetzter Reihenfolge und sobald ihr eine gewisse Zahl an Gebäuden errichtet habt, steigt eure Siedlung im Level auf und es kommen neue Bauoptionen hinzu. Damit schaltet ihr dann verschiedene Spielinhalte frei, die bei anderen Titeln dieser Art einfach nach und nach eingeführt werden würden, hier aber nun erst zur Verfügung stehen, wenn das entsprechende Gebäude errichtet wurde.
Wer also Auftragsmorde für die Bruderschaft ausführen möchte, benötigt eine entsprechende Behausung für die Attentäter. Ihr wollt angeln können? Dann benötigt ihr eine Fischerhütte. Wer legendäre Tiere gejagt hat und sich nun eine Entlohnung dafür verspricht, benötigt erst einmal eine entsprechende Baute für den Gerber. Damit sich dies nicht zu eintönig anfühlt, werdet ihr aber auch regelmäßig für den Bau neuer Häuser belohnt, zum Beispiel mit kleinen Sidequests, die euch gelegentlich sogar neue Fertigkeiten einbringen.
Wo eure Häuser stehen, wer diese bewohnt oder dort arbeitet und wie die Häuser aussehen sollen, könnt ihr alles nicht entscheiden. Stattdessen dürft ihr an fest vorgegebenen Positionen bestimmen, ob dort ein Baum, eine Zielscheibe, ein Brunnen, eine Statue von Odin oder sonst was stehen soll.
Dieser Part des Spiels dient also weitgehend nur dazu, eine Atmosphäre zu erschaffen, die zu dem Thema des Spiels passt. Wer sich ein komplexes System erhofft hat oder vielleicht sogar erwartet, trägt leider Trauer. Schön anzusehen ist es zwar schon, wenn die eigene Siedlung wächst, wirklich befriedigend ist dies durch die Umstände aber leider nicht.
Und die Plünderungen der Kloster, so spaßig sie in schwereren Gebieten auch sein mögen, sind ebenfalls nur ein Versuch, einen Teil des Spiels aufzublasen und interessanter zu gestalten, jedoch ohne, dass sich hier großartige Mühe gegeben wurde. Ihr macht euch durch diese Plünderungen keine langfristigen Feinde, sie haben eigentlich gar keine negativen Auswirkungen. Die Kämpfe an diesen Orten sind meist sehr einfach und abgesehen davon, dass ein Kamerad hier und dort mal ein Gefäß zertrümmert, fühlt es sich auch nicht richtig nach Brandschatzen an.
Schön und gut, dass ich gnadenlos ein Kloster attackieren und die dort stationierten Wachen töten kann, beziehungsweise muss. Doch wenn sich dieser Überfall darauf beschränkt, Holztüren zu zerschlagen, Urnen zu zerstören und große Kisten zu öffnen, und man zudem dafür bestraft wird, einen Mönch oder andere Zivilisten zu töten, geht das Gefühl, ein echter Wikinger zu sein und das Leben eines Kriegers zu führen, irgendwie flöten. Ich will ja auch gar keinen Massenmord begehen. Aber ich will halt den Mönchen auch nicht die Apfelkiste nach Hause tragen.
Umfang, Welt und eine Anekdote zur Grafik
In Sachen Umfang kann „Assassin’s Creed Valhalla“ beinahe auf ganzer Linie punkten. Die Map ist zwar nicht annähernd so groß wie die des direkten Vorgängers, doch dafür fühlt sich die Welt lebendig an, sie lädt zum Erkunden ein und hält Spieler durch neue interessante Orte, Verweise auf andere Titel dieses Franchises und popkulturelle Anspielungen bei der Stange. Die Fauna und Flora von Valhalla ist abwechslungsreich und stimmig.
Zwar wurde auch in Sachen Fertigkeiten und Rüstungen darauf gesetzt, dass ihr mehr Lust habt, euch alles Stück für Stück selber zusammenzusuchen als die Sachen im Handel erwerben zu können oder einfach freizuschalten, doch dafür ist dieser Aspekt des Spiels relativ belohnend. Diesen Umstand verdanken wir der Tatsache, dass die Entwickler sich viel Mühe gegeben haben, die Orte, die ihr aufsuchen müsst, um alle Collectables, Rüstungsteile und Fertigkeiten zu finden, sehr unterschiedlich zu gestalten und vielen davon einen ganz individuellen Touch zu verleihen.
Ein sehr großer Batzen dieses Spiels besteht dafür aber für viele eben nicht darin, Schlachten zu führen, Kloster zu plündern und die Handlung voranzutreiben, sondern im Erkunden, sprich Höhlen zu erkunden, in Wasserlöcher zu tauchen, auf Berge zu steigen und Eingänge zu versperrten Häusern zu finden. Wer gerne erkundet und dafür belohnt werden möchte, fährt mit diesem Ansatz genau richtig. Solche unter euch, die mehr Wert auf die Kampagne setzen, können diesen Part zumindest dann weglassen, wenn sie das Spiel etwas schwerer gestalten wollen.
Und zu guter Letzt noch ein kurzer Kommentar zur Grafik. „Assassin’s Creed“ sieht auf dem PC hervorragend aus, doch werden in diesem Bereich aus drei Gründen Punkte von uns abgezogen. Zum einen hat das Spiel mit schlimmen Clippingfehlern zu kämpfen, wodurch wirklich skurrile und leider auch hässliche Situationen entstehen. Nicht selten neigen NPCs in Unterhaltungen zu schrecklichen Gesichtsspastiken. Zum anderen werden viele Animationen immer und immer wieder verwertet, was es schwer macht, mehrere Menschen oder auch Pferde für mehr als einen kurzen Moment zu beobachten.
Davon ist eh abzuraten, denn so richtig kommen die Figuren der Welt auch außerhalb der Kämpfe nicht klar. Da stehen Bauern gerne mal auf dem Feld und starren sich gegenseitig an. Mönche, die sich Bewegungsanimationen mit Eivor teilen, rennen vor euch weg, indem sie vor Holzbalken zu Holzbalken springen und dabei teilweise auf einem Bein balancieren. Soldaten machen aus den gleichen Gründen mir nichts dir nichts einen Satz von fünf Metern und stehen plötzlich vor euch. In England geht es nicht selten zu wie in einem Zirkus.