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The Medium beweist: wir brauchen keine teuren Marken wie Silent Hill, aber Psycho-Horror! – TEST

Bloober Team beweist mit The Medium eindrucksvoll, dass es im Gaming-Universum nicht auf bekannte Produktmarken, namhafte Publisher und teure AAA-Produktionen ankommt. Viel mehr zeichnet sich ein fabelhaftes Spiel durch die Entwickler aus, die Menschen, die hinter den Produkten stecken.

Mit den richtigen Leuten an Bord, der richtigen Idee und ordentlich Herzblut in den Venen kann es auch noch in 2021 gelingen, die spielende Welt mit einem unfassbar wertvollen Stück Mediengut zu überraschen. 

Und so schaffen es jetzt die Macher von Layers of Fear und Observer, die Horrorspielwelt auf den Kopf zu stellen. Buchstäblich, denn Lead Designer Wojciech Piejko und Produzent Jacek Zięba haben in den letzten Jahren an einem ganz besonderen Projekt gearbeitet, das uns durch die Augen eines Mediums blicken lässt, das neben unserer materiellen Welt zeitgleich in die Geisterwelt blicken kann. 

Und wie gut diese Thematik eingefangen wurde, wie das Ganze auf uns als langjährige Horrorspielfans wirkt und was ihr schlussendlich vom Spiel erwarten dürft, erfahrt ihr in unserem Test zum Spiel samt Fazit und Wertung.

Marianne, das Medium und ihre einzigartige Geschichte

Für ein Medium, das eine einzigartige Verbindung zur Geisterwelt pflegt (zwangsweise), existiert auch für Protagonistin Marianne in „The Medium“ eine Welt neben der unseren.

Ein Gegenstück zur physischen, materiellen Welt, die innerhalb des Spiels als Geisterwelt (Spirit World) bezeichnet wird, visualisiert das, was ein Medium sehen könnte, würde es denn wahrhaftig in solch eine Geisterwelt blicken. 

The Medium - duale Weltenmechanik
Marianne und Trauer (Sadness) © Bloober Team

Inhaltlich verschlägt es unsere Heldin in ein verlassenes Ferienresort, in eine Hotelanlage, der ein Geheimnis zugrunde liegt. Es ist an uns, die Rätsel der hiesigen Vergangenheit aufzudecken und Marianne zu helfen, den übernatürlichen Mysterien auf den Grund zu gehen. 

Dabei umschlingt uns die Handlung wie ein gut geworfenes Lasso und zieht uns hinter sich her. Liebend gern lassen wir uns von ihr mitreißen, angebunden an einem Pferd, durch den Dreck schleifend, auch wenn die Reise hier und da schmerzlich immersiv sein kann und das auch muss.

Bloober Team hat die perfekte Pacing-Mitte innerhalb eines Horrorspiels gefunden. Die Taktung ist so gut, dass wir bis zum Ende der rund 10 Spielstunden keine Pause einlegen wollen und das Spiel voll wahrhaftiger Emotionen beenden.

The Medium - Hotelresort NIWA
Freizeitresort NIWA © Bloober Team

Aber wie ist ihnen das gelungen? Die richtige Taktung zu finden, ist nicht immer einfach. Häufig verfehlen Enwicklerstudios diese, indem sie Spielabschnitte unnötig in die Länge ziehen, Teile zu kurz kommen und so einfach nicht den richtigen Galopp anstimmen.

Bloober Team weiß, wie sie einen Spannungsbogen aufladen und den Pfeil an der richtigen Stelle abfeuern. Wann ruhige Passagen ein gewisses Maß an Gruselanspannung aufbauen, wann sie jemanden in atemberaubende Verfolgersituationen werfen dürfen und wann es Zeit für eine belohnende, spannend erzählte Zwischensequenz ist. All das setzen sie hier so perfekt um, dass es fast künstlich wirkt. Aber nur fast. Und es funktioniert. 

So dürfen wir nach und nach tiefer in die Gedankenwelt von Marianne eintauchen, den einen oder anderen wohl durchdachten Twist erleben und bis zum Ende der Geschichte mit ihr fiebern — wahrlich ein traumhaft surreales Erlebnis.

Psycho-Horrorspiel im dystopischen Surrealismus

Inspiriert vom Künstler Zbigniew Beksinski, einem polnischen Maler aus dem 20. Jahrhundert, der für seine Werke im dystopischen Surrealismus bekannt ist, wird sehr schnell klar, dass der Psycho-Horror hier anders ist als in einem konventionellen Survial-Horrorspiel à la Resident Evil. Geistererscheinungen, groteske Abbilder und abartige Monstrositäten suchen ihresgleichen und erinnern eher an ein Silent Hill. 

The Medium - Bild von der Werkstatt und Rotes Haus
Die duale Weltenmechanik: Surreales und Groteskes in der Geisterwelt © Bloober Team

Und tatsächlich ist das kein Zufall. Denn man könnte „The Medium“ gut und gerne als geistigen Nachfolger zum Silent Hill-Franchise verstehen. Genügend Parallelen sind vorhanden wie die musikalische Untermalung von den Silent Hill-Legenden Akira Yamaoka und der sagenhaften Sängerin Mary Elisabeth McGlynn

Wie in einem Silent Hill findet die Handlung zudem in mehreren Welten gleichzeitig statt, wobei es auch hier wie in SH einen weiteren Twist gibt, auf den wir aus Spoiler-Gründen nicht näher eingehen möchten.

Wichtig ist, dass der Titel weder auf eine First-Person- oder Third-Person-Ansicht setzt, diese Perspektive zeitweise aber gekonnt verbaut (wie zum Beispiel in Rätselsituationen). Viel mehr kommt die klassische und für das Genre typische Kamera zum Einsatz, die sich an die Anfänge des Survival-Horrors und Psycho-Horrors im Gaming-Universum anlehnt. Und sie wurde sinnvoll weiterentwickelt, immerhin ist die Kamera nicht vollends statisch, sondern vielmehr statisch dynamisch und somit beweglich. 

Diese Perspektive funktioniert auch heute noch und bringt eine besondere Art von Gruselhorror mit sich, da wir als Spielende zum Beispiel nie wissen, was sich wohl hinter der nächsten Ecke verbergen mag.

The Medium - statische Kamera von außen
Beispiel einer statischen Kamera in The Medium © Bloober Team

Ein geistiger Nachfolger von Silent Hill?

All diese Ansätze, Ideen und Weiterentwicklungen laufen in „The Medium“ jedoch mit einer nie da gewesenen Neuerung zusammen. Die unterschiedlichen Welten werden zeitgleich in einer Art Splitscreen-Modus in der dualen Weltenmechanik in Szene gesetzt. Das heißt, Marianne kann sich zeitgleich durch die materielle und spirituelle Welt bewegen. Die Technik der Next-Gen-Konsolen und gut gerüsteter PCs macht ein gleichzeitiges Rendern der Welten erst möglich. 

Anmerkung zur Technik: Es ist sehr wichtig, dass ihr bei diesem Spiel auf die Mindestanforderungen achtet. Wir haben das Spiel auf der Xbox Series X getestet, hier läuft es von Anfang bis zum Ende ohne Probleme ab. Auf der Xbox Series S werdet ihr in späteren Spielabteilen zeitweise einen Performance-Einbruch feststellen. Und wenn ihr auf dem PC nicht die Mindestanforderung erfüllt, ist es nahezu unspielbar. Wir haben das Spiel unter anderem mit einer Nvidia GeForce 1050 ausprobiert und es wird schnell klar, warum es im Vorfeld so einen Aufschrei um die Systemanforderungen gab. Es ist mit einer 1050 unter keiner Einstellung spielbar. Die GeForce 1060 ist hier wohl für die Low-Presets wirklich Pflicht. Im besten Fall verfügt ihr jedoch über eine bessere Grafikkarte.

Der allgegenwärtige und aufgezeigte Dualismus im Verbund mit dem dystopsichen Surrealismus (hier mehr Infos darüber) verspricht ein einzigartiges Spielgefühl, weshalb wir hier von einem geistigen Nachfolger zu Silent Hill sprechen können. Es ist keine simple Kopie diverser Ideen aus dem Psycho-Horrorsektor, sondern viel mehr eine allumfassende Inspiration, die die Entwickler im Herzen tragen und nun in neuartiger Form auf die Welt loslassen

Und dass es keine einfache Kopie ist, beweist auch die Tatsache, dass es im Grunde gar keine Waffen oder gar Ressourcen-Management gibt wie beispielsweise in einem Resident Evil. 

The Medium - Marianne setzt ihre Kräfte ein
Mariannes Geisterschild © Bloober Team

Marianne kann mit ihrem Kräften Echos, also Stimmen aus der Vergangenheit wahrnehmen, einen Barriereschild erzeugen und spirituelle Energie ausstoßen. Aber diese Mechaniken dienen im Grunde nur dem hauptsächlichen Gameplay, also allem abseits von Kämpfen oder Überleben im eigentlichen Sinne. Es ist also weniger ein Survival-Horror und wirklich ein Psycho-Horror, den wir erfahren.

Nach dem erfolgreichen Abschluss des Spiels müssen wir deshalb einräumen, dass Waffen, Shooter-Einlagen und all diese Elemente auch zu keiner Zeit gefehlt haben. Die Entwickler nutzen ihren Spielraum derweil lieber, um mehr Psychoterror aufzubauen und uns tiefer in die Hintergründe der Figuren einzuführen. Das kann man durchaus so machen und es ist sehr erfrischend wie willkommen. Ich sage nur Stichwort: Resident Evil 6 und Call of Duty

Traut euch, liebe Entwickler!

Horrorbegeisterte, Fans des SH-Franchise und die, die es noch werden wollen, können mit „The Medium“ viel Spaß haben. Aber selbstverständlich ist es kein perfektes Spiel, wenn es so etwas überhaupt gibt. 

An einigen Ecken und Kanten ist noch Raum nach oben und so müssen wir die Rätselabschnitte kritisieren, die im Schnitt mehr als einfach von der Hand gehen. Es gibt maximal ein bis zwei Rätsel im Spiel, bei der ihr überhaupt mal euren Denkapparat anwerfen müsst. Der Rest ist zu ersichtlich und somit zu schnell zu lösen. 

So wirkliche Schwierigkeiten hatten wir hier im Grunde nie und deshalb möchten wir den Entwicklern raten, den Spielern an dieser Stelle einfach mehr zuzutrauen. 

The Medium - Teeparty mit dem Teufel - Rotes Haus
Eines der Rätsel im Spiel © Bloober Team

Die meisten Rätsel sind beschränkt auf einen Raum (in der materiellen und spirituellen Welt) oder der näheren Umgebung. Das verhindert zwar unnötiges Backtracking – was positiv ist –, grenzt den spielerischen Raum für die Rätsel aber auch ungemein ein. Es ist wundervoll, wie die Rätsel weltenübergreifend funktionieren und wie die Grundidee des Dualismus harmoniert, aber da der Wechsel zur Geisterwelt durch einen Spiegel im Normalfall recht linear abläuft, fühlt es sich an einigen Stellen eher an wie ein weiterer Nebenraum mit andersartiger Aufmachung, den wir eben auch beachten müssen, und weniger wie eine wichtige Variable, die wir im Rätsel-Einmaleins einberechnen müssten. 

Hier dürfen sich die Entwickler gerne noch ein wenig mehr an Branchengrößen wie Resident Evil und Co. orientieren. Denn man darf an dieser Stelle eines nicht vergessen. Horrorspielfans, insbesondere Survival-Horror- oder Psycho-Horror-Fans haben im Schnitt recht viel Vorerfahrung im Genre

Die duale Weltenmechanik funktioniert dann eher beim regulären Voranschreiten in der Handlung, die es uns ermöglicht, faszinierende Richtungen einzuschlagen und immer wieder für Erstaunen sorgt, wenn wir stets beide Welten parallel im Blick behalten müssen. 

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Ben Brüninghaus

Hauptberuflicher Jedi-Meister, nebenbeschäftigt bei PlayCentral.de. Popkultur-Fetischist: Star Trek, Star Wars, alles mit „Star“, verspeist Spiele-OSTs zum Frühstück, Großmeister der Bärenschule. Inquisitor. Mag das Ende von Mass Effect.
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