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Little Nightmares 2: Mit dichter Horror-Atmosphäre an die Genre-Spitze? – TEST

Vor gut drei Jahren landete der schwedische Indie-Entwickler Tarsier Studios mit Little Nightmares einen echten Überraschungshit. Allein im ersten Jahr verkaufte sich der düstere Puzzle-Plattformer über eine Million Mal und konnte diese beeindruckende Zahl später schließlich nahezu verdoppeln. Beim Nachfolger Little Nightmares 2 liegen die Erwartungen der Spieler nun deutlich höher und die große Frage lautet, ob das kleine Team aus Malmö ihnen gerecht werden kann.

Wir konnten das Sequel um den neuen Protagonisten Mono bereits vor dem Release am 11. Februar 2021 erleben. Weshalb uns das gleichsam spannende wie actionreiche Grusel-Abenteuer noch besser gefällt als Teil 1, erfahrt ihr in unserem Test zu „Little Nightmares 2“ samt Fazit und Wertung.

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Wo ein Mono ist, ist (meist) auch eine Six

„Little Nightmares 2“ spielt zwar zeitlich nach den Ereignissen in Teil 1, erzählt jedoch eine weitestgehend eigenständige Geschichte um den kleinen Mono und seine Heimat Pale City. Wobei erzählen zu viel gesagt wäre, denn es gibt weder Dialoge noch Cutscenes. Die Story entsteht also wie schon im Vorgänger im Kopf des Spielers, der dabei massig Raum für Interpretationen hat.

Die Stadt des neuen Haupthelden, der sein Gesicht meist unter einem Hut verbirgt, wird jedenfalls vom sogenannten dünnen Mann kontrolliert. Mittels eines mysteriösen TV-Signals beeinflusst er die Bewohner, die dadurch zu scheinbar willenlosen und grotesk entstellten Kreaturen mutieren, die jeden attackieren, der nicht unter seinem Bann steht.

© Bandai Namco/Tarsier Studios

Anders als im ersten Teil muss sich Mono dem tödlichen Grauen wie einem Menschenjäger im Wald oder einer kinderhassenden Lehrerin nicht allein entgegenstellen. Schon früh im Spiel trifft der kleine Junge auf Six, die Protagonistin des Vorgängers, die ihm fortan über weite Strecken als Sidekick zur Seite steht.

Viel Einfluss auf die Aktionen von Six habt ihr dabei nicht. Sie agiert weitestgehend autonom, hilft euch an bestimmten Stellen jedoch automatisch mit einer Räuberleiter, um eine hohe Kletterkante zu erreichen, oder unterstützt euch beim Verschieben von Objekten, die für Mono allein zu schwer wären. Umgekehrt müsst ihr auch mal Six helfen, damit beide weiterkommen. So improvisiert ihr beispielsweise eine Brücke für eure Begleiterin oder nehmt sie bei der Hand, um sie sicher zum rettenden Ausgang zu bringen.

Die Kooperation mit der computergesteuerten Begleiterin funktioniert generell sehr gut und sorgt für eine besondere Atmosphäre. Reicht uns Six auf der anderen Seite eines Abgrunds die Hand, die wir nach einem Sprung ergreifen, oder lenkt durch das Geklimper auf einem Klavier einen Feind im Nebenraum ab, fühlt es sich beinahe so an, als wären wir mit einem echten Mitspieler unterwegs. Trennen sich zwischendurch storybedingt die Wege der beiden Hauptfiguren, ist das Gefühl des Einsam- und Verlassenseins noch stärker ausgeprägt als im Vorgänger, in dem Six durchweg auf sich allein gestellt ist.

© Bandai Namco/Tarsier Studios

Von der Angst vor Entdeckung bis zur panischen Flucht

Die Spielmechanik von „Little Nightmares 2“ ist grundsätzlich sehr nahe an der von Teil 1. Mono kann also im Wesentlichen klettern, springen, rennen und schleichen. Zudem kann er kleinere Objekte verschieben, aufheben und werfen oder sich daran festhalten, um etwa Hebel zu bedienen oder sich an einem Seilhaken über einen Abgrund zu schwingen.

Da für die Interaktionen generell die jeweilige Aktionstaste gedrückt gehalten werden muss, fühlt sich die Steuerung besonders authentisch an. In bestimmten Abschnitten kommen spezielle Gadgets zum Einsatz, die Mono fest im Inventar bei sich trägt. Die erst spät verfügbare Fernbedienung kommt vor allem im Zusammenhang mit den insgesamt wenig fordernden Rätseln zum Einsatz, die aufgrund der allgemein gestiegenen spielerischen Vielfalt kein wirkliches Manko sind. Konkret ermöglicht die Fernbedienung, sich zwischen zwei TV-Apparaten hin und her zu teleportieren.

Die Taschenlampe erleichtert wiederum in den oft relativ dunklen Umgebungen des Krankenhaus-Kapitels die Orientierung. Vor allem aber dient sie in bestimmten Abschnitten dazu, aus Prothesen gefertigte Gegner, die ein rätselhaftes Eigenleben führen, in Schach zu halten. Solange sie nämlich im Lichtkegel stehen, erstarren sie. Da die seltsamen Konstrukte aus allen möglichen Richtung auf Mono zukommen, könnt ihr den Lichtstrahl nicht parallel auf alle richten. Zudem müsst ihr deshalb in Bewegung bleiben und immer wieder den Lichtkegel neu ausrichten. Da kann einem schon mal das Herz in die Hose rutschen, wenn einer der Widersacher im letzten Moment gestoppt wird oder man sich längst in eine Position im Raum begeben hat, aus der ein Entkommen unmöglich ist.

© Bandai Namco/Tarsier Studios

Ähnlich packend sind auch etliche der eher linear angelegten Fluchtpassagen, wenn uns etwa der an einem Schlangenhals befindliche Kopf der Lehrerin durch einen Lüftungsschacht verfolgt oder ein anderer Verfolger, während wir darunter entlanglaufen, nach und nach die schützenden Krankenbetten unter mächtigem Getöse zerquetscht.

Nicht nur dort bietet die Geräuschkulisse eine nahezu perfekte Untermalung, die uns zusätzlich die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Genauso intensiv wie die sich ausbreitende Panik bei der Flucht ist schließlich auch das Aufatmen bei Erreichen des rettenden Ausgangs. Doch die Anspannung löst sich nur kurz. Denn auch in den ruhigeren Abschnitten sorgen die authentischen Soundeffekte mit metallischen Lauten aus einer Heizungsanlage, knarzenden Bodendielen oder dem nervenaufreibenden Tropfen eines Wasserhahns durchweg für Anspannung und ein mulmiges Gefühl, dass bei jedem falschen Schritt der Tod droht.

Little Nightmares 2 - Schule
© Bandai Namco/Tarsier Studios

Mit Waffengewalt und Trial and Error

Eine der wesentlichen Neuerungen ist die aktive Nutzung von Waffen. Natürlich stehen diese nur in bestimmten Situationen zur Verfügung, etwa wenn ihr im zweiten der insgesamt fünf Kapitel in einer Schule an den prügelnden Pennälern vorbei müsst. Mit Hammer, Bleirohr oder einer großen Suppenkelle schlagt ihr den widerlichen Plagegeistern den Keramikschädel ein oder müsst gleich mehrfach die „Little Nightmares 2“-Version des eiskalten Händchens zermalmen.

Das ist letztlich nicht sonderlich komplex. Allerdings erschwert die Kameraperspektive oft die Einschätzung für die richtige Entfernung und das passende Schlag-Timing. Da zudem nacheinander oft mehrere Gegner aus verschiedenen Richtungen auf uns zu rennen, kommt gerade bei den Kämpfen das auch sonst allgegenwärtige Trial-and-Error-Prinzip zum Ausdruck.

Es gibt einige Sequenzen, bei denen die Entwickler wohl nicht nur bewusst in Kauf nehmen, sondern regelrecht forcieren, dass man es frühestens im zweiten Versuch schaffen kann. So werdet ihr immer wieder mal in versteckte Fallen tappen und zum letzten Speicherpunkt zurückgeschickt. Genauso kann es euch in einem Schleichabschnitt ergehen, da man oft auch bei größter Vorsicht unweigerlich ein Geräusch provoziert und beim ersten Anlauf kaum sofort den Weg in ein Versteck einschlagen wird.

Little Nightmares 2 - Lehrerin
© Bandai Namco/Tarsier Studios

Die Checkpoints liegen allerdings meist sehr nah beieinander. Erst später müssen längere Abschnitte beim Pixeltod wiederholt werden. So ärgerlich das auch sein kann und von den Entwickler in einzelnen Situationen überreizt wird: Das Trial-and-Error-Prinzip gehört eben grundsätzlich zum Genre dazu. Außerdem dauert das Neuladen eines Checkpoints in der von uns gespielten Version auf der Xbox Series X nur wenige Sekunden – im Vorgänger war es auf Konsole teils deutlich mehr als eine halbe Minute.

Die Spielzeit kann in Abhängigkeit von den Fehlversuchen natürlich stark variieren. Wir selbst benötigten etwa viereinhalb Stunden, also knapp eine Stunde mehr als in Teil 1 (DLC-Erweiterungen wie in der Complete Edition auf der Nintendo Switch nicht mitgezählt). Die Spielzeitangabe umfasst grob die Hälfte der optionalen Räume und Sammelobjekte. Komplettierer können also noch ein wenig Extrazeit rauskitzeln.

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Benjamin Braun

Wortkarger Lange-Texte-Schreiber. FC-Fan und Piranha-Bytes-Vergötterer. Heizt mit Spielekonsolen statt mit Gas. Könnte täglich Pizza futtern, hat aber nie mehr als fünf Tage am Stück geschafft.
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