Was haben wir Horrorfans gestaunt, als die eindrucksvollen Bilder der Kickstarter-Kampagne rund um Agony über unsere Bildschirme flimmerten. Was anfänglich nach einem absoluten Hit ausschaute, entpuppte sich nach dem Release als reine Enttäuschung. Eine völlig falsche Erwartungshaltung wurde hier aufgebaut. Aber wie kann das sein? Wie kann ein Spiel das Interesse so sehr wecken und dann so stark enttäuschen? Agony ist ein Kickstarter-Coup, der seinesgleichen sucht.
Eine Kolumne von Ben Brüninghaus
Die Kampagne von Agony hat wie so oft Großes versprochen. Die Entwickler haben mit Schlagworten wie „Branchenveteranen“ (bekannte Entwickler), Horror, Survival und Co. nur so um sich geworfen und wollten insgesamt ein eindrucksvolles Abbild der Hölle präsentieren, so wie wir sie uns in unseren schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen könnten. Trailer und Cutscenes, die durchdacht inszeniert erscheinen, taten ihr Übriges.
Doch hinter so manch einer Kickstarter-Kampagne steckt eben lediglich der reine Fokus auf den Verkauf des Produktes. Der Inhalt des Spiels bleibt wie in diesem Beispiel oft auf der Strecke liegen, was zur Enttäuschung führen kann. Ich möchte euch an diesem Beispiel demonstrieren, wie das Problem rund um die Crowdfunding-Kampagne zu Agony zu verstehen ist.
Der Hype ist real!
Die Idee ist verkauft, der Hype aufgebaut, der Download durchgelaufen und das Spiel wird gestartet! Doch schon nach wenigen Spielstunden offenbart sich der Geniestreich. Die Erwartungshaltung kann niemals erfüllt werden. Agony ist eine Enttäuschung auf ganzer Linie, ein grauenhaftes Spielerlebnis. Dabei ist die pompöse Kulisse, die für etwaige Trailer und Screenshots herhielt, doch schon recht sehenswert – und die Spieldemo erst! Womöglich wurde hier nur das Genre oder gar das Medium verfehlt? Fragen über Fragen.
Nach wenigen Minuten haben wir uns an blutigen, pulsierenden Gewebefußböden und knochigen, schleimigen Wänden satt gesehen. Die Lichtstimmung tut ihr Übriges. Ein Wechsel zu frostigen Arealen gegen Ende des Spiels ist dabei die einzige große Abwechslung, die wir erleben dürfen. Hier und da dienen dem Spieler groteske Levelkonstrukte als Anker im Leveldesign, an denen wir uns orientieren können. Aber der Artstyle ist insgesamt recht eintönig, wenn auch sehenswert. Zumindest ist er das bis zu einem gewissen Grad. Als Horrorfan möchte ich eine solche Erfahrung machen. Würde es sich hierbei beispielsweise um einen Walking-Simulator handeln, wäre es womöglich nur halb so schlimm.
Fehlerhafte und störende Gameplay-Mechaniken
Das Gameplay ist allerdings im wahrsten Sinne eine Agonie, unzumutbar und lässt sich als Survival-Horror eher als einen schlechten Mix aus Outlast und Alien: Isolation beschreiben. Falls ihr eure Feinde in Grund und Boden stampfen oder schießen möchtet, seid ihr bei Agony an der falschen Adresse. Hier und da findet ihr eine Fakel, die ihr aufheben und mit der ihr Wände abbrennen könnt – das wars! Wo sind die pulsierend, ekligen Waffen mit denen wir die Dämonen in Stücke hauen können? Und woher kommt überhaupt der Gedanke, dass es so etwas geben könnte? Wurde so etwas nicht eigentlich von den Entwicklern im Vorfeld angedeutet? Eine suspekte Erwartungshaltung.
Stattdessen setzen die Mannen von Madmind Studio auf umständliche Rätsel, die stark an Slender: The Arrival erinnern und willkürlich frustrieren. Diverse Gegenstände in unübersichtlichen Labyrinthen suchen und nebenher an eintönigen Gegnern vorbeischleichen, die euch bei Sichtung in jedem Fall umbringen. Dazu gibt es Versteckmöglichkeiten, die nicht sonderlich gut funktionieren. Und die Luft anhalten? Das bringt auch nichts. Insgesamt haben es die Spieler nicht einfach, unentdeckt zu bleiben. So wird das Gameplay auf unzählige Spielstunden gestreckt. Diese Rätsel sind wahrlich eine Farce.
Werfen wir zum Vergleich einen Blick auf The Legend of Zelda: Breath of the Wild, erhalten wir den vollen Kontrast. Jedes Rätsel (in den Schreinen zum Beispiel) ist hier einzigartig durchdacht und erfordert Ideenreichtum. Den Denkapparat anschmeißen, das macht hier Spaß. Und die Freude ist groß, wenn ein Schrein erfolgreich absolviert wurde. In Agony sind die Rätsel nichts als repetitive Arbeit. Es stellt sich kein Hochgefühl ein. Und ach ja, es gibt sogar einen zusätzlichen Spielmodus, der zufällige Rätsel- und Level-Strukturen generiert – für all diejenigen, die sich ein Leben lang quälen möchten! Warum Ressourcen in solch einen Spielmodus gesteckt werden, weiß womöglich nur der Satan aus Agony.
Leveldesign ungleich Charakterdesign
Sagten wir eintönige Gegner? Genau, denn viel Auswahl gibt es in Agony leider nicht. Ein Dämon, der euch stets den Weg blockiert. Hier und da gibt es ein groteskes Abbild, das durch die Level wie ein Tier springt. Dann wären da noch Feinde, die an Valkyrien erinnern und ein Oktopus-Gespenst in der spektralen Zwischenwelt. Ein bis zwei Abwandlungen dieser Gestalten gibt es vielleicht noch. Warum es an nötiger Abwechslung fehlt, ist unklar. Selbst das Indie-Spiel Outlast hat es schon vor Jahren geschafft, unterschiedliche Charaktermodelle zu entwerfen und Figuren zu schaffen, die eine Relevanz besitzen. Das passt zu keiner Zeit zum Leveldesign, das zwangsweise ein wenig Abwechslung bieten muss. Der Superdämon, den ihr womöglich in der Kickstarter-Demo gesehen habt, ist nichts als eine weitere Täuschung. Zum Teil läuft eine Cutscene, wenn ihr den halbblinden Dämon übernehmt, und ansonsten schlabbern die beiden Zungen im Bild herum, wenn ihr denn mal ein paar Meter mit ihm laufen dürft. Wow! Vom obligatorischen Superdämonen-Handgemenge mit unvorhersehbarem Plot zum Ende des Spiels wollen wir gar nicht erst anfangen.
Gameplay aus der Hölle
Die Gameplay-Elemente sind insgesamt mehr schlecht als recht. Ein essenzieller Teil ist eine Lebenslinie, die euch auf Knopfdruck (je nach Schwierigkeitsgrad) begrenzt den Weg weist. Die Levelstrukturen können nämlich insgesamt schon sehr undurchsichtig und verwirrend sein. Doch diese Hilfestellung ist nur wenige Male verfügbar, bis ihr den nächsten Checkpoint (eine gequälte Seele, die aus einem Spiegel ragt) erreicht habt. Tatsächlich könnt ihr hier „zwischenspeichern“. Aber um euch das Erlebnis noch schwerer zu gestalten, wird der Checkpoint nach drei Toden unbrauchbar gemacht, ihr werdet dann weiter im Level zurückgeworfen. Dieses Feature kann jedoch im Menü deaktiviert werden, was wir euch wärmstens empfehlen würden, um dem Frust ein wenig entgegenzuwirken. Sammelobjekte sind überall in den Arealen verstreut – obligatorische Gameplay-Features eben. Die Rätsel weiten sich auf Symbolik-Rätsel aus oder sind mit Gemälden verbunden, die eine Auswirkung auf euren Pfad haben können. Insgesamt ist das alles sehr ideenlos und repetitiv.
Ich erwähnte bereits die spekrale Zwischenwelt. Und hier wird es besonders schwierig. Die Grundidee sieht vor, dass der Protagonist nach dem Absturz in die Hölle nicht auf einen einzigen Körper angewiesen ist. Viel mehr ist es einerlei, in welchem physischen Körper ihr euch fortbewegt. So könnt ihr also nach dem Tod als spektrales Wesen einen anderen Körper aufsuchen und ihn in Beschlag nehmen.
Wichtig: Vorher das Tuch von den Köpfen der Menschen abziehen, sonst könnt ihr den Körper nicht in Besitz nehmen – fragt nicht, warum.
In der spektralen Form habt ihr nur sehr wenig Zeit bzw. könnt nur wenige Meter zurücklegen, dann erleidet ihr den vollständigen Tod und die Rote Göttin wirft euch zurück zum „Checkpoint“. Das störende an diesem Feature ist, dass oft kein Körper zur Verfügung steht und wir im Test unzählige Male hängengeblieben sind. Eure Seele lässt sich dann nicht mehr fortbewegen, ergo letzten Kontrollpunkt laden! Erwartet also einen Titel voller Bugs, die euch vollkommen unnötig sämtlichen Spielspaß rauben. Auf der technischen Seite ist das Spiel also eine Katastrophe und es fühlt sich an wie ein sehr schlechtes Indie-Spiel – von Branchenveteranen programmiert!