Seit dem riesigen Erfolg, den Crytek von seinem Frankfurter Studio aus in die ganze Welt trug, wissen wir, dass auch deutsche Entwickler ihr Handwerk bestens beherrschen. Ohnehin tragen zeitgleich Publisher wie Bigpoint oder Gameforge aus Städten wie Hamburg und Karlsruhe ihre Produkte in viele Länder unseres Kontinents oder Erdballs. Doch schien für in Deutschland produzierte MMOs in der Vergangenheit nie wirklich Platz auf dem hart umkämpften Markt. Zu einer Kehrtwende könnte nun das neue Berliner Studio Sandbox Interactive beitragen. Rund ein Dutzend Spieler versammelt sich hier unter dem Dach eines Büros und arbeitet an Albion Online, einem Online-Rollenspiel, das auf den ersten Blick zwar kindlich wirkt, in Wahrheit den Abenteurer aber mit der vollen Breitseite des virtuellen Lebens trifft.
Bruch mit alten Traditionen
Eigentlich steht Made in Germany bei unseren Freunden im Westen und Osten gleichermaßen hoch im Kurs. Doch was bei hochwertigen Dienstwagen seit Jahrzehnten als verkaufsförderndes Branding funktioniert, ist unter Onlinespielen ein einziger Mythos. Erreicht wird ein Umschwung und Umdenken hier mit Sicherheit nicht durch ein weiteres MMORPG, das auf die alten Traditionen amerikanischer oder asiatischer Konkurrenz-Titel setzt. Aus eben diesem Grund lässt sich mit Albion Online die nötige Portion Hoffnung verbinden. Das Studio Sandbox Interactive macht seinen Namen zum Programm und lockt mit Features, die weder etwas mit einer massiven Jagd auf wilde Bestien zu tun haben, noch die Sehnsucht nach dem sogenannten Endgame unterstützen. Dieser bewusste Bruch mit alten Traditionen ist beinahe allgegenwärtig und schon bei der Entwicklung des eigenen Charakters deutlich spürbar.
Erfahrungspunkte und Level sind in diesem MMORPG gar ein echtes Fremdwort. Viele andere Inhalte sollen stattdessen sicherstellen, dass in den Spielern das Gefühl des typischen Helden-Daseins aufkommt. Allein der Gedanke an Charaktere, die sich durch besonders häufiges Spielen einen enormen Vorteil verschaffen, widerstrebt dem Team aus Berlin. Dass alle Abenteurer nach wenigen Wochen Besitzer der besten Ausrüstung sind und sich nur so lange mächtig fühlen bis eine neue Ladung an Items eingeführt wird, gilt es entschieden zu verhindern. Deshalb greift man auf das Handwerk im Online-Rollenspiel zurück. Alle Schwerter, Stäbe, Rüstungen und sonstige Gegenstände stammen aus der Feder der Spieler, die auf ihrem Streifzug durch die Lande Ressourcen verschiedener Seltenheit sammeln. Je seltener die Fundstücke, desto mächtiger natürlich die produzierte Waffe – ein einfaches und ebenso stimmiges Prinzip.
Dem Studio bleibt auch gar keine andere Möglichkeit, sofern seine Mitarbeiter dem Spieler wirklich die Freiheit überlassen wollen, die man ihm verspricht. Sogar vorgefertigte Klassen haben die Berliner aus ihrem Erstlingswerk konsequent verbannt, damit einzig die getragene Ausrüstung die eigene Spielweise bestimmt. Dies beeinflusst auch das Handwerk im großen Stil. Während des Herstellungsprozesses arbeiten Tüftler nicht nur Stahl oder Erze in ihr Meisterwerk ein, sondern auch Fähigkeiten. In der Folge begegnen einem auf dem Schlachtfeld nicht nur Magier mit Stab, sondern auch mit Schwert und Schild. Einige Restriktionen hat aber auch Albion Online diesbezüglich. Letztlich ist es dennoch elementar wichtig, die für sich passende Ausrüstung zu finden beziehungsweise zu produzieren. An sich haben in der Sandbox alle möglichen Kombinationen einen Sinn, verspricht man in Berlin. Das Gerücht, dass auch eine Gruppen von Spielern mit schwächeren Gegenständen einen besonders starken Ritter leicht überwältigen kann, verdeutlicht, wieso die richtige Ausrüstung in Albion Online die halbe Miete ist.
Derart grundsätzliche Entscheidungen wie der Verzicht auf Charakterstufen stellen die Entwickler auch im Rest ihres Produkts vor neue Herausforderungen. Wie etwa ist eine Spielwelt zu gestalten, in der die Regionen nicht nach der Summe der Erfahrungspunkte auszurichten sind? Die einfachste Lösung ist hier natürlich, sich gegen ein derartiges Marschieren von Gebiet zu Gebiet zu entscheiden. Seltene Ressourcen finden sich in Albion Online beispielsweise in aller Herren Länder. Zweifelsohne bleibt die Rückkehr an altbekannte Orte damit immer mit einem verlockenden Anreiz verbunden. Vielleicht zieht es einen auch wieder an Punkte seiner Vergangenheit, weil an einem bereits besuchten Ort das eigene Haus errichtet wurde. Als Sandbox-MMORPG macht Albion Online selbstverständlich auch um derartige Features keinen Bogen.
Rund 50 Gebäude existieren in der aktuellen Alpha-Version. Unterschieden wird hier sowohl nach einfachen Behausungen, die mitunter als Lagerhaus dienen, als auch nach Produktionsstätten wie Schmieden oder Mühlen. Je größer das Gebäude, desto stärker ist man auch auf die Hilfe anderer Spieler beim Bau angewiesen. Während die Grundfesten des Mini-Lagers noch mit den eigenen Hammerschlägen aus dem Boden empor schweben, sind gute Freunde für größere Vorhaben ein Muss. Optisch erinnert diese Art von Baugewerbe an das wuselige Geschehen der Siedler-Reihe. Gerade aller anfänglicher Einsatz trägt nach und nach aber Früchte. Man ist daher nicht unbedingt mit Dummheit gesegnet, wenn man seinen frühen Unterstützern für die anfängliche Hilfe eine kleine Entschädigung bietet. Steht das Prachtstück, beispielsweise eine Produktionsstätte, nämlich erst einmal, dann kann dieses eine echte Goldgrube sein. Sogar Fremde dürfen die geschaffene Infrastruktur nutzen. Doch nur der Eigentümer entscheidet über die Höhe der Gebühren, die Gäste zu zahlen haben
Die volle Breitseite des virtuellen Lebens
Derartige Inhalte versprechen uns definitiv ein Spielerlebnis, das sich immerhin ein wenig von der großen Masse abhebt. Zwangsläufig würden aber auch auf diesem Wege alle Spieler stinkreich sein und in ihrer mit Diamanten bestückten Goldrüstung über die Felder ziehen. Was also den lieben langen Tag machen? Dungeons und Raids? Vorerst Fehlanzeige. So ganz ohne Charakterstufen schien Sandbox Interactive die Entscheidung für ein ausgetüfteltes PvP-System die beste Lösung. Mut beweist man mit der Einführung eines offenen Loot-Systems. Fällt in der offenen Spielwelt ein Feind durch eure Fertigkeiten und wandert dem Licht am Ende des Tunnels entgegen, dann bleibt Zeit, die Taschen des Schwächeren zu plündern. Dieser verliert alles, während ihr selbst im neuen Reichtum schwimmt. So zwingt Albion Online die Community immer wieder zu Neuanfängen, was nicht allzu schwer ins Gewicht fallen dürfte, wenn man seine hochwertigsten Schätze stets im Lager verstaut und nur das Nötigste bei sich trägt. Ohnehin verfügt das MMORPG über ein cleveres und begrenztes Inventar, sodass ab einem bestimmten Gewicht Schluss ist mit unnötigem Plunder..
Solche kleinen Scharmützel sind für PvP-Fans ein schönes Feature für kurzfristige Siege und Niederlagen. Steckt man sich größere Ziele, dann muss von dem territorialen PvP Gebrauch gemacht werden. Über 800 Territorien der Spielwelt in Albion Online können und sollen nämlich durch Gilden erobert werden. Hat man sich zum Besitzer eines Landes erklärt, so gehören die dortigen Ressourcen auch dem eigenen Spielerverbund, der zudem sein eigenes Dorf aus dem Boden stampft, wenn er denn möchte. Genügt einem das bereits Gewonnene nach wie vor nicht, dann hindert einen nichts daran, auf Konfrontationskurs mit seinen Nachbarn zu gehen und nach noch mehr Territorien zu dürsten. Während der Offline-Zeit kann man sich immerhin in Sicherheit wiegen, denn eine magische Barriere schützt den eigenen Stützpunkt. Drei bis fünf aktive Spieler genügen,um an diesem PvP-System teilzunehmen und Gebiete zu erobern. Gut möglich, dass diese einmal alle zur selben Zeit offline sind. Sind sie doch alle im Spiel unterwegs, so schützen zusätzliche Spielmechaniken davor, dass groß angelegte Zergs einfach alle Spieler, die alleine auf der Pirsch sind, umnieten können.
Entspannende Optik
Optisch, man wird es den Screenshots anmerken, verkörpert Albion Online nicht den Eindruck einer brutalen Welt, in der herausfordernde PvP-Kämpfe lauern. Der Cartoon-Look vermittelt eine entspannende Atmosphäre, auch wenn der Tag-Nacht-Zyklus mit den erscheinenden Dämonen zumindest für 12 Stunden des virtuellen Tages ein anderes Bild erzeugen könnte. Billig wirkt Albion Online dadurch noch lange nicht, denn auch Titel wie RuneScape haben ihr Publikum mit diesem Grafikstil gefunden. Ohnehin bleibt nicht mehr allzu viel Zeit für Änderungen, denn schon im vierten Quartal 2014 soll es für Albion Online losgehen. Zu den Plattformen zählen neben Windows, Mac und Linux auch Android- und iOS-Tablets, wobei sich die Abenteurer auf einem gemeinsamen Master-Server begegnen. Dabei ist das Sandbox-Spiel kostenlos. Auch Items wollen die Entwickler nicht in einem eigenen Shop verkaufen. Wie man hört, wird es aber Möglichkeiten geben, echtes Geld gegen Ingame-Währung zu tauschen, die wiederum auf dem Marktplatz zum Einsatz kommt. Doch bekanntlich kann auf dem Schlachtfeld alles Erkaufte wieder verloren gehen.