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Allgemein: Sparen um jeden Preis? Indie-Entwickler reagieren auf Preiskritik

In letzter Zeit mehrten sich die Berichte von Indie-Entwicklern, die sich sehr ausführlich und durchaus auch emotional gefärbt zur Preiskritik ihrer Kunden äußerten. Neugierig geworden, interessierte uns nicht nur die Sicht der kreativen Köpfe hinter den Spielen und was die Käufer zu ihren Aussagen bewegt haben könnte, sondern auch welche Folgen wir durch zu niedrige Preise von Spielen langfristig gesehen für die gesamte Gamingindustrie befürchten müssen. In die Schuhe der Indie-Entwickler schlüpfend, sprechen wir hierbei über die Relevanz finanzieller Aspekte, aber auch über Engagement, Verletzlichkeit und den Wunsch nach Anerkennung.

Geld spielt immer und überall eine Rolle, wie sehr wird einem in der Regel aber erst bewusst, wenn es nicht mehr im benötigten Rahmen vorhanden ist. Wer also kann es dem Normalverbraucher verübeln, wenn er jederzeit das Beste für möglichst wenig Geld erhalten möchte? Das Wort „Sale“ ist schon lange nicht mehr nur in der Modeindustrie ein Garant für Freude, große Nachfrage und glühende Kreditkarten. Wir kaufen, was wir uns sonst vielleicht nicht gegönnt hätten und manche von uns gehen sogar so weit, bestimmte Produkte ganz gezielt erst bei der nächsten Rabattaktion zu erwerben. Warum mehr bezahlen, wenn es auch anders geht? Wenn die Möglichkeit besteht, warum sollten wir sie nicht ergreifen? Wir behalten diesen Gedanken einmal im Hinterkopf und widmen uns den Ursprüngen dieses Artikels.

User fordern geringere Preise

Alles fing mit der Reaktion einer der kreativen Köpfe hinter Brigador an, welcher sich der Preiskritik mehrerer Nutzer auf Steam stellte. Forderungen, den Preis von 20 Dollar auf beispielsweise zehn Pfund zu verringern, weil „die Leute […] nur so viel bezahlen, wie das Spiel ihnen wert scheint“ brachten den Stein schließlich ins Rollen. Entwickler Hugh Monahan von Stellar Jockeys zitierte u.a. diesen Beitrag und zeigte auf, wie viel Zeit und Arbeit die Mitarbeiter des kleines Teams in das Spiel investiert hatten, ohne dabei jegliche Unterstützung einer Kickstarter-Kampagne oder eines Publishers in Anspruch zu nehmen. Insgesamt kalkulierte er etwa 40.000 Stunden Arbeit für das Projekt ein, bei dem auch eine eigens entwickelte Engine zum Einsatz kam. Dass ein Preis von 20 Dollar, von dem nach Abzug von Steuern und Valves Anteil noch etwa die Hälfte übrig bleibt, als nicht angemessen angesehen wurde, schmerzte und frustrierte Monahan merklich. Um die Situation des Entwicklers zu verdeutlichen, rechnete er vor, dass man mindestens 25.000 Stück des Spiels verkaufen müsse, um den vier Mitarbeitern den Mindestlohn zahlen zu können, eine Anzahl, die sich unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten und eines angemessenen Lohns sogar noch verdoppeln würde.

Keine geringen Zahlen für einen Indie-Entwickler, aber hier liegt auch nicht der Fokus eines kreativen Menschen, wenn er sich dazu entscheidet, die vielen Entbehrungen und Risiken in Kauf zu nehmen, um sich lange und intensiv einem Projekt zu widmen und dieses irgendwie zum Leben zu erwecken. Natürlich wünscht sich fast jeder Mensch mit seiner Leidenschaft Geld zu verdienen, aber die meisten Indie-Entwickler sind sich durchaus im Klaren darüber, dass sie mit ihren ersten Projekten nicht viel Gewinn machen werden. Mit Glück gelingt es ihnen in der Regel gerade einmal ihre Kosten zu decken und sich auf dem Markt zu beweisen, um dann beim nächsten Titel auf mehr Unterstützung hoffen zu können. Wer veröffentlicht, schafft aber zumeist eines: seine ganz individuellen Wünsche und Vorstellungen an das optimale Videospiel zu verwirklichen. Es sind überraschenderweise die Indie-Entwickler, die sich im Vergleich zu großen Firmen oft deutlich mehr trauen und frischen Wind in altbewährte Muster und Titel bringen. Können sie sich nicht mehr halten, wird es deutlich grauer in der Welt der Videospiele werden, ein Punkt, auf den auch die Köpfe hinter Spielen wie Everybody's Gone to the Rapture aufmerksam machten.

Preiskampf hilft großen Firmen, die Konkurrenz loszuwerden

In einer Reaktion auf Monahans Erläuterungen hatte Entwickler The Chinese Room auf Twitter nämlich Folgendes zu sagen: „Wartet nur immer, bis es reduziert ist, bevor ihr es kauft und irgendwann wird niemand mehr produzieren. Das ist keine Raketenwissenschaft.“ Man fügte weiterhin hinzu: „Die einzigen Gewinner in einem Preiskampf sind die großen Firmen, die so die Konkurrenz aus dem Weg drängen können.“

Hierbei geht es nicht darum ein Spiel zu unterstützen, nur weil es noch nicht bekannt ist oder viel Herzblut darin steckt. Dies würde in etwa einem „Er hat sich stets bemüht!“ entsprechen, welches wohl niemand über sich hören möchte. Dies sieht auch der oben genannte Entwickler von Brigador so. Dass man hart gearbeitet habe, sage nichts über die Qualität des Endproduktes aus und deshalb erwarte man weder unangebrachte Großzügigkeit noch Mitleid. Monahan zeigte Verständnis dafür, dass einige User lieber auf einen späteren Rabatt warten, merkte aber an, dass dies es nicht gerade einfacher für kleine Entwickler mache, auf dem Markt zu bestehen und dazu führen werde, dass immer weniger bereit seien, sich dem Risiko zu stellen.

Wieso ist mein Spiel dein Geld nicht wert?

Spätestens bei den Aussagen von Designerin Jane Ng, die für Entwickler Campo Santo an Firewatch arbeitete, wird allerdings klar, dass es bei den Reaktionen um weit mehr geht, als nur die finanzielle Notwendigkeit eines bestimmten Preises zu erklären: Als ein User sein Rückgaberecht auf Steam nutzen wollte, weil er den Preis von 18 Dollar für die Spielzeit als nicht angemessen empfand und das Spiel zwar „geliebt“ habe, aber überlegte, für das Geld doch „viel mehr“ bekommen zu können, zeigte diese sich durchaus gekränkt. Den starken Zusammenhalt als Team betonend, ohne den und die ständige gegenseitige Unterstützung so ein Projekt niemals zustande gekommen sei, fand Ng sehr ehrliche Worte:

„Wir waren aufgeregt und verängstigt zugleich. Wir fühlten uns frei und waren es doch nicht. Ich bin seit fast 15 Jahren in dieser Industrie und habe noch nie so hart gearbeitet [Anm.: wie in den mehr als zwei Jahren an Firewatch]. Wir haben alles gegeben […] und wussten doch nicht, ob es auch irgendjemand anderem gefallen würde. Alles was wir tun konnten, war unser Bestes zu geben, um etwas zu erschaffen, auf das wir ehrlich stolz waren. Wenn es am Ende ein kommerzieller Reinfall werden würde, bliebe uns nur das, was wir geschaffen haben. Niemand würde uns das nehmen können. Also ja, ich bin traurig, wenn die Leute denken, dieses Spiel ist das Geld, um das wir bitten, nicht wert. Es gibt mir das Gefühl, dass ich versagt und sie enttäuscht habe. Es ist ok, wenn Leute das Spiel nicht mögen, aber es trifft mich persönlich sehr, wenn Menschen das Gefühl haben, dass das Spiel es nicht „wert“ war, darin Zeit zu investieren.“ 

Ng schloss ihren Beitrag mit verständnisvollen Worten für die finanzielle Situation der User und merkte in einem Satz, der wie eine Aufforderung an sich selbst klang an, dass es wohl ihre Aufgabe sei, dafür zu sorgen, dass sie so etwas in Zukunft nicht mehr so sehr beschäftige.

Über Verletzlichkeit und den Wunsch nach Anerkennung

Abgesehen von finanziellen Risiken geht es hierbei also vor allem um das viele Herzblut, das in die Projekte geflossen ist. In zwei voneinander unabhängigen Beiträgen fiel hierbei das Wort „wert“ und in beiden Fällen zeigten sich die Entwickler ehrlich gekränkt. Dies macht durchaus Sinn: Wir erinnern uns zurück an das allererste Mal, als wir mit klopfendem Herzen etwas veröffentlicht haben, an das Gefühl, dass etwas, auf das wir stolz waren, anderen nicht genügen könnte, an die Verletzlichkeit, wenn man etwas, was man liebt, mit der Welt teilt. Ob es sich nun hierbei um eine Geschichte, ein Bild, einen Artikel, einen eigenen Song oder das erste selbst bemalte Osterei handelt, das man vorsichtig und mit stolzgeschwellter Brust vom Kindergarten nach Hause trägt, wir alle kennen das Gefühl, auf etwas stolz zu sein und uns die Anerkennung anderer zu erhoffen. Viele können sicher auch die dumpfe Mischung aus Scham, Verletzung und Enttäuschung, diese nicht zu bekommen, nachvollziehen.

Was schon privat schmerzt, ist umso härter, wenn es in der Öffentlichkeit vor aller Augen wie zum Beispiel im Internet passiert. Oft sind es die ersten Projekte, die Routine im Umgang mit dem harschen und oft vorschnellen Urteil der User fehlt und auch Erfolgserlebnisse sind rar. Kommerzielles Versagen kann bedeuten, dass der Traum ausgeträumt ist. Ganz weg von Geld und dafür umso näher dran an Emotionen und normalen menschlichen Reaktionen fällt es jetzt deutlich leichter, sich in die Lage der Entwickler hineinzuversetzen, oder nicht?

Indie-Entwickler eher in der Preiskritik als bekannte Namen

Interessant ist weiterhin, dass die Kritik in diesen Fällen immer durchaus niedrige oder angemessen angesetzte Preise traf. Spiele, die das doppelte oder sogar x-fache kosten, dafür aber von namhaften Entwicklern oder Publishern hergestellt oder vertrieben werden, sorgen durchweg weniger für Unmut. „Für einen Indie-Titel…“ scheint eine beliebte Einleitung zu sein, wenn es darum geht, dass der Preis einem User zu hoch erscheint, als würden Größe oder Bekanntheitsgrad eines Teams etwas über die Qualität des Endergebnisses aussagen. Aber genau daran liegt es vermutlich, denn die Spieler vertrauen hier auf den guten Namen und haben das Gefühl, schon zu wissen, dass sie ein entsprechendes Produkt bekommen, während sich Indie-Entwickler erst beweisen müssen. Zudem sind Letztere auch sehr viel besser zu erreichen und interagieren oft persönlich mit den interessierten potentiellen Kunden während und nach der Entwicklungsphase, selbst wenn sie von keiner Kickstarter-Kampagne Gebrauch machen. Sie geben den Spielern das Gefühl, gehört zu werden und sehen sich selbst stärker unter Druck gesetzt, sich beweisen und rechtfertigen zu müssen.

Fazit

Was also ist die Lösung? Auf eine Frage sollte es auch eine Antwort geben, oder nicht? Vermutlich liegt diese im Umgang mit den eigenen Entscheidungen. Es ist okay, ein Spiel aus den verschiedensten Gründen günstiger erwerben zu wollen. Es ist weniger okay oder gar empathisch, dies vor sich selbst und der Welt zu rechtfertigen, indem man das Spiel vor dem Entwickler schlecht macht. Ein „Das kann ich mir nicht leisten.“ ist nichts, wofür man sich schämen sollte, ein „Sorry, das ist dein Spiel einfach nicht wert.“ dagegen schon. Kritik ist immer in Ordnung, es ist die Art, wie sie präsentiert wird, die der eine oder andere von uns vielleicht überdenken sollte.

Wir jedenfalls wünschen uns innovative Ideen, Salz, Pfeffer und eine Menge neuer Gewürze in der großen Gaming-Suppe, aus der wir tagtäglich schöpfen. Um der bildlichen Sprache weiterhin treu zu bleiben, erscheint uns ein See mit vielen kleinen, bunten Fischen doch deutlich faszinierender und interessanter als ein Gewässer mit nur wenigen großen Lebewesen, die alle anderen bereits gefressen haben und nun gemächlich und ohne um ihr Revier fürchten zu müssen ihre Runden drehen. Kurz: Abwechslung und frischer Wind sind gerade in der Videospielewelt, die von der Kreativität lebt, essentiell und sollten auch von der Community unterstützt werden, sei es durch finanzielle oder auch einfach „nur“ emotionale Unterstützung wie Wertschätzung und Anerkennung, denn davon profitieren wir am Ende alle.

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