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Google Stadia: Ich streame, also spiel‘ ich …

Google Stadia, Shadow, GeForce Now oder Playstation Now – Videogame-Streaming-Dienste drängen in den Markt und stellen eine Alternative zum klassischen Videogame-Geschäft dar. Aber ist es auch die Zukunft?

Ich konsumiere Videospiele seit ich denken kann. Über die Jahre entstand so eine stattliche Sammlung verschiedenster Systeme und Spiele: Von uralten PC- und Amiga-Titeln bis hin zu Dreamcast-Rassel-Controllern, der ersten Xbox und aktuellen Konsolenmodellen in allen möglichen Ausführungen. So langsam wird’s eng!

Im Gegensatz zu manchem Kollegen oder Sammler hänge ich nicht an jedem Spiel und muss auch nicht jeden Original-Karton im Schrank stehen haben. Nur zu vereinzelten Titeln besitze ich eine wirklich emotionale Verbindung. Umso neugieriger machen mich aktuelle Streaming-Angebote: Videospiel-Streaming ist – ähnlich wie das Streamen von Filmen oder Musik – ein für mich logischer Schritt in der Entwicklung des Mediums. Aber ist es auch der Richtige?

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Eine Chance für den Massenmarkt

Videospiele sind ein teures Hobby. Möchte ich einen Titel besitzen, kostet mich das im Schnitt 40 bis 50 Euro. Die dazu passende Hardware schlägt mit einigen hundert Euro zu Buche und geht sogar in die Tausende, wenn ich einen Highend-PC besitzen möchte. Natürlich könnte ich warten, bis Games und Hardware günstiger sind, aber Geduld gehörte noch nie zu meinen Stärken.

Videogame-Streaming ist dagegen vergleichsweise günstig. Für Dienste wie Google Stadia etwa benötige ich lediglich einen Mittelklasse-Rechner mitsamt Browser oder App. Die erste Hürde – also die teuren Anschaffungskosten – fällt hier schon mal weg. Stattdessen bezahle ich einen monatlichen Beitrag – ähnlich wie bei Netflix oder Spotify.

An dieser Stelle jedoch herrscht derzeit noch Verbesserungspotenzial. Aktuelle Dienste sind (noch) zu teuer: Playstation Now etwa kostet im Monat 14,99 Euro bzw. 99,99 Euro pro Jahr. Die PS-Now-Bibliothek besteht zwar aus hunderten PS3- und PS4-Hits, jedoch sind diese etwas älteren Kalibers. Der PC-Dienst Shadow dagegen greift direkt auf meine Steam-Bibliothek zu und kostet mich bei einem Ein-Jahres-Abo monatlich 29,95 Euro. Will ich monatlich kündigen, kostet Shadow 39,95 Euro.

Was derzeit noch fehlt, ist ein absoluter Kampfpreis. Videogame-Streaming könnte den Markt für eine neue Zielgruppe öffnen, allerdings nur, wenn der Preis stimmt. Wieso spielen so viele Menschen auf ihrem Smartphone? Weil (fast) jeder eins hat und weil viele Titel zunächst kostenlos sind. Videogame-Streaming wird erst dann erfolgreich sein, wenn der Preis stimmt: Für Google Stadia vermuteten Analysten einen Startpreis von 15 US-Dollar. Endgültige Klarheit gibt es aber erst im Sommer.

Übersättigung statt Befriedigung

Aussuchen, anklicken und konsumieren – Streaming ist komfortabel. Das wissen wir alle dank Netflix, Amazon Video und Spotify. Videogame-Streaming macht Schluss mit lästigen Updates oder Speicherplatz-Problemen auf der heimischen Festplatte. Denn diese nervigen Admin-Jobs laufen alle in der Cloud ab. Ich muss mich um nichts mehr kümmern.

Der Nachteil: Fällt bei mir mal das Internet aus oder gibt es gar in meiner Region keine ausreichend flotte Verbindung, läuft gar nichts oder wenn, dann nur mit reduzierter Qualität. So lange keine flächendeckende Breitband-Internet-Verbindung verfügbar ist, wird immer ein Teil der Spielerschaft ausgeschlossen bleiben.

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Zudem sehe ich bereits im Film- und Musikbereich ein weiteres Problem: Aufgrund der jederzeit verfügbaren Masse an Inhalten weiß ich das meiste davon gar nicht mehr zu schätzen. Manchmal scrolle ich minutenlang durch die Auswahlliste und lande dann doch irgendwie bei einer Serie, die ich eh schon kenne. Das frustriert mich!

Der Kauf eines neuen Spiels hat dagegen etwas Befriedigendes: Das Auspacken erinnert mich an Weihnachten. Das erste Einlegen des Spiels verzaubert mich. Und das Eintauchen in ein lang erwartetes Abenteuer entführt mich für Stunden in eine fremde Welt. Klappt das auch, wenn ich jederzeit aus Tausenden von Spielen gleichzeitig wählen kann? Ich zweifel daran!

Was online ist, bleibt auch online!

Der nächste Nachteil: Was in der Cloud passiert, bleibt auch dort. Was geschieht mit alten Spielständen, wenn ich meinen Account lösche? Was mit meinem Spielfortschritt, wenn ein Titel aus der Bibliothek verschwindet? Und was, wenn mal die Technik auf den Serverfarmen versagt? Ich investiere in Videospiele teils hunderte Stunden und nichts ist ärgerlicher, als wenn dieser Fortschritt mit nur einem Wimpernschlag einfach weg wäre. Wir alle stecken Zeit und Emotionen in unser liebstes Hobby. Wir treffen online Freunde und nutzen Spiele nicht nur als Konsumobjekt, sondern auch zur sozialen Interaktion. Das möchte niemand aufs Spiel setzen.

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Cloud-Gaming – egal, ob bei Google Stadia oder bei anderen Diensten – verändert unser Konsumverhalten und unsere Einstellung zum Medium. Waren wir zuvor noch Käufer und Besitzer der Spiele, geben uns viele Dienste lediglich ein Nutzungsrecht für die Dauer unserer Mitgliedschaft. Beeinflusst das meine Wertschätzung zum Spiel? Noch wichtiger: Verdienen Entwickler überhaupt noch genug daran? Videogame-Streaming wird in Zukunft eine immer prominentere Rolle einnehmen. Und das nicht nur auf PC oder Konsole, sondern auf jeder anderen Plattform – wie es etwa Microsofts Projekt xCloud verspricht.

Immer und überall die großen Titel spielen – Das habe ich mir früher immer gewünscht. Heute befürchte ich einen Verfall der Videospieltradition und einen Verlust von Wertigkeit. Dazu kommen viele der aufgeführten Unwägbarkeiten: vom wackeligem WLAN bis hin zu möglichen Lizenzproblemen. Ich für meinen Teil bin neugierig, aber bleibe vorerst noch beim traditionellen Gaming – trotz Updates und Hardware-Bastelei.

Olaf Bleich

Seit über 20 Jahren Spielejournalist, der sich in Polen die Hand gebrochen und trotzdem weiter Artikel geschrieben hat. Videospielgeschmack mäandert zwischen Shootern, Spaß und Stardew Valley – abgesehen davon besitzt er eine obskure Vorliebe für Wrestling.
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