Wer glaubt, die Debatte um das Urheberrecht sei eine neue, liegt völlig falsch. In Europa wird über einen konkreten Entwurf bereits seit 2010 debattiert, sowohl öffentlich als auch hinter verschlossenen Türen.
Viele Mechanismen, die besonders rund um Artikel 13 hohe Beachtung finden, sind jedoch bereits seit längerer Zeit in Kraft. Schon vor Jahren haben die Internetdienste auf Drängen der Europäischen Union einen Upload-Filter installiert, um terroristische Inhalte zu erkennen und umgehend zu entfernen.
Wie kam es also dazu? Hier ist eine Chronologie.
Das währende Urheberrecht
Die EU-Urheberrechtsrichtlinie wird verabschiedet. 2003 setzt sie Deutschland um und tritt in Kraft.
Ein neues Urheberrecht muss kommen
Die EU-Kommission kündigt an, das seit 2001 bestehende Urheberrecht länderübergreifend zu vereinfachen. Allerdings kommt es erst 2013 zu konkreten Gespräche über die Reform.
Sabam, das belgische Gegenstück zur GEMA, fordert einen Upload-Filter von Internet-Providern. Der EuGH erklärt den Entwurf genauso wie Internet-Sperren für rechtswidrig.
16. Februar: Sabam fordert einen Upload-Filter für soziale Netzwerke und scheitert wieder. Der EuGH fällt ein Grundsatzurteil: Ein solcher Filter verstoße gegen das „Verbot einer allgemeinen Überwachungspflicht“.
22. März: Musiker und Autor Sven Regener tritt mit einer Wutrede eine Debatte um das Urheberrecht los. Demnach habe YouTube „ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass diejenigen, die den Inhalt liefern, nichts bekommen“.
13. Mai: Oppositionsführer SPD fordert von der schwarzgelben Bundesregierung, das Urheberrecht zu modernisieren. Internet-Uploads würden dazu führen, dass Kreative um ihren Lohn gebracht würden.
28. März: Eine Studie der EU-Kommission zeigt, dass (auch illegale) Internet-Uploads einen positiven Effekt auf das Kaufverhalten der Nutzer hat. Wer die Inhalte sieht, bezahlt eher dafür, als wenn er gar nichts von ihnen weiß.
30. Mai: Das Urteil des Berliner Landgerichts im Techno-Viking-Prozess zeigt, dass weder Memes noch virale Videos vom Urheberrecht ausgeschlossen sind.
Zwischen 2013 und 2016: Die EU-Kommission überprüft das geltende Urheberrecht. Zunächst geht es um das allgemeine Urheberrecht, später werden Plattformen, Verleger und Nutzer zu Rate gezogen.
05. Juni: Der EuGH entscheidet, dass Streaming nicht der EU-Urheberrechtsrichtlinie unterliegt, da die Inhalte nur „vorübergehend“ zu sehen sind.
Die europäische Digital-Reform beginnt
10. September: Der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beauftragt Günther Öttinger und Andrus Ansip mit der Konzeption eines digitalen europäischen Binnenmarktes.
19. Januar: Im ersten Entwurf der EU-Urheberrechtsreform fordert Julia Reda eine „Fair Use“-Regelung wie in den USA. Lobbyverbände laden sie zu Gesprächen ein.
06. Mai: Die Europäische Kommission gibt erste Pläne für einen digitalen europäischen Binnenmarkt bekannt.
Das Urheberrecht kommt zur Sprache
16. Juni: Julia Reda fordert eine Urheberrechtsreform, da die seit 2001 geltenden Gesetze nicht mehr praktikabel seien. Der Rechtsausschuss stimmt dem mit breiter Mehrheit zu und fordert die Kommission dazu auf, jetzt an einem Richtlinienentwurf zu arbeiten.
09. Juli: Das Europäische Parlament stimmt dem Vorschlag von Julia Reda zu.
09. Dezember: Die Europäische Kommission gibt erste Pläne für eine Reformierung und Harmonisierung des europäischen Urheberrechts bekannt.
Der erste Upload-Filter kommt
24. August: Die Innenminister von Deutschland und Frankreich fordern aufgrund der Professionalisierung der Propaganda durch Organisationen wie dem IS die Einführung von Upload-Filtern zur Bekämpfung von Terrorismus und Radikalisierung sowie die Abschaffung des Providerprivilegs, das besagt, das Hoster nicht unmittelbar für die Inhalte ihrer Nutzer haften.
31. August: Der Bericht der Urheberrechtsreform wird geleakt. Neuerungen sind abseits des in Deutschland bereits eingeführten Leistungsschutzrechts nicht zu erkennen. Die Kritik an Artikel 13 beginnt.
Die Urheberrechtsreform wird vorgestellt
14. September: Die EU-Kommission stellt ihre Vorschläge zur EU-Urheberrechtsreform offiziell vor.
Oktober: Rechtsexperten warnen, dass Upload-Filter nicht auf Urheberrechtsverstöße beschränkt bleiben. Dass sie damit Recht haben könnten, zeigt die währende Diskussion um einen „Terror-Filter“, der die Technik der Upload-Filter mitnutzen soll.
06. Dezember: Facebook, Microsoft, Twitter und Google planen nun einen gemeinsamen Upload-Filter zur Entdeckung terroristischer Inhalte.
20. Februar: Der Verbraucherausschuss spricht sich gegen den Vorschlag aus.
10. März: Die im Rechtsausschuss zuständige Berichterstatterin Comodini Cachia stellt einen überarbeiteten Entwurf vor.
13. März: Facebook, Microsoft, Twitter und Google starten auf Drängen der EU-Kommission einen gemeinsamen Upload-Filter, die durch eine Datenbank eine automatische Identifikation „terroristischer und radikalisierender“ Inhalte gewährleisten soll.
22. März: Cachia lehnt im Rechtsausschuss noch einmal mit aller Deutlichkeit den Entwurf der EU-Kommission ab.
Mai und Juni: Es herrscht keine Einigkeit über den Entwurf. Die Upload-Filter werden zwar abgelehnt, doch das Leistungsschutzrecht wird weiterhin diskutiert.
Axel Voss kommt
15. Juni: Axel Voss löst Cachia als Berichterstatter für die Urheberrechtsreform ab.
13. Juli: Unter Federführung von Comodini Cachia waren die EU-Konservativen bis jetzt gegen Artikel 11 und Artikel 13. Nun nimmt Axel Voss (CDU) seinen Platz ein – innerhalb weniger Tage einigen sie sich, doch für die Reformen zu stimmen.
20. September: Die Bundesregierung äußert Zweifel an der Umsetzbarkeit der Upload-Filter.
Dezember: Zum Jahresende gibt es zwei Entwürfe zur EU-Urheberrechtsreform, über die parallel im EU-Parlament debattiert wird.
21. Februar: Axel Voss erklärt in einem Interview, dass er das Filtern aller Inhalte zur Durchsetzung des Urheberrechts für angemessen hält. Er selbst räumt dabei auch ein, dass die Umsetzung schwierig ist. „Wenn etwas schiefgehe, könne man das ja ändern“, so Voss. „Ich glaube nicht, dass es von vornherein gleich der richtige Ansatz sein wird, wo jeder damit zufrieden sein wird, sondern ich glaube, das ist ein ewiges Herantasten.“
Einigung im Rat
25. Mai: Der Rat der Europäischen Union einigt sich auf den Entwurf, der die Upload-Filter fordert. Erste öffentliche Proteste starten.
12. Juni: Save the Internet wird ins Leben gerufen. Nach einer Woche erreicht die Petition knapp 220.000 Unterschriften, 9 Tage später sind es bereits 570.000. Im August werden 1 Million, im November 2 Millionen und Ende Februar knapp 4,9 Millionen Unterschriften erzielt.
20. Juni: Rechtsausschuss stimmt den Kompromissanträgen zum Entwurf von Axel Voss zu. Im Entwurf ist davon die Rede, dass „angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen zur Verbreitung nicht-lizenzierter Werke verhindert“ werden. Dies entspricht einem Upload-Filter.
Parlament stimmt erst gegen…
05. Juli: Das EU-Parlament stimmt nach den Protesten in der Bevölkerung zunächst gegen den Entwurf. Die Richtlinie soll im September 2018 erneut debattiert und über die Sommerpause hinweg überarbeitet werden. Die Korrekturwünsche müssen vom Rechtsausschuss (Berichterstatter: Axel Voss) sowie Gruppen von mindestens 38 Abgeordneten eingebracht werden.
…dann für den Entwurf
12. September: Nachdem die Upload-Filter im Entwurf durch eine andere Formulierung ersetzt worden sind, stimmt das EU-Parlament für den Entwurf. Die „Upload-Filter“ bleiben implizit enthalten. Damit können die Verhandlungen im Trilog beginnen.
02. November: „Wissenswert“ tritt mit seinem Video die Debatte um Artikel 13 auf YouTube los.
19. Januar: Der von Rumänien eingebrachte Entwurf gilt als gescheitert.
Einigung in Rat, Ausschuss und Kommission
06. Februar: Deutschland und Frankreich einigen sich nach monatelangen Gesprächen im Trilog zwischen EU-Kommission, EU-Ministerrat und EU-Parlament.
13. Februar: Die endgültige Einigung erfolgt im Trilog.
18. Februar: Bundesjustizministerin trifft sich mit Gegnern von Artikel 13. Offiziell erklärte sie, sich innerhalb der Regierung für eine Streichung einsetzen zu wollen.
20. Februar: Der Rat der Europäischen Union stimmt dem Entwurf zu, darunter auch Deutschland. Barley soll dem Druck der Union nachgegeben haben.
23. Februar: In Köln demonstrieren rund 3.000 Personen gegen Artikel 13.
26. Februar: Der Rechtsausschuss stimmt dem Entwurf zu.
Die nächste Abstimmung
02. März: In Berlin demonstrieren erneut tausende Menschen gegen die Urheberrechtsreform. Der Ablauf der Veranstaltung wird jedoch heftig kritisiert.
04. März: Martin Weber, Fraktionsvorsitzender der EVP, will die Abstimmung vorverlegen. Bei einem Treffen mit den anderen Fraktionsspitzen möchte er vorschlagen, dass die Abstimmung bereits zwischen dem 11. und dem 14. März stattfindet. Sein Büro widerspricht dem und erklärt, keine Verlegung geplant zu haben. Auf ein entsprechendes Dokument wird nicht näher eingegangen.
08. März: Die deutschsprachige Wikipedia kündigt eine Protestaktion an. Am 21. März soll die Seite 24 Stunden lang nicht erreichbar sein.
12. März: Die Bundesregierung rechnet bei Erfolg der Urheberrechtsreform damit, dass es zwangsläufig zur Einführung von Upload-Filtern kommt.
13. März: Im Bundestag findet eine „Aktuelle Stunde“ zur Urheberrechtsreform statt. Beantragt wurde die Sitzung von der Fraktion der Linken.
13. März: FDP-Parteivorsitzender Christian Lindner verspricht, dass die drei Abgeordneten der Partei im Europaparlament einstimming gegen die Urheberrechtsreform votieren werden.
15. März: Die CDU erklärt, dass sie Uploadfilter nun ablehnt und hat einen Kompromiss erarbeitet. Die Opposition lehnt diesen ab, weil er ausschließlich für die nationale Auslegung gelten würde. Begrüßt wird zumindest, dass Artikel 13 an Unterstützung verliert.
20. März: Aufgrund einer Neuordnung wird der Artikel 13 in Artikel 17 umbenannt, es handelt sich hierbei aber um ein völlig normales Gesetzgebungsverfahren. Bei der Abstimmung werden weiterhin beide Bezeichnungen gelistet.
23. März: In ganz Deutschland kommt es zu Großdemonstrationen gegen die Urheberrechtsreform. Zehntausende werden auf den Straßen erwartet.
26. März: Das Europäische Parlament stimmt laut Planung ein letztes Mal über den Entwurf ab. Im Zusammenspiel mit einer Zustimmung durch den Rat der EU gilt die Richtlinie bei Erfolg als angenommen und muss nun innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden.
26. März: Die Urheberrechtsreform ist im Europäischen Parlament angenommen worden.
15. März: Der Rat der EU nimmt die Urheberrechtsreform ebenfalls an. Damit ist es offiziell: Sie kommt und muss innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht gemeißelt werden.
Wie seht ihr die Urheberrechtsreform? Welche Fragen bleiben offen? Schreibt es uns in die Kommentare und teilt diesen Artikel, wenn er euch gefallen hat.