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Die Zwerge: Vom Fantasy-Epos zum Spiel – Unser Test

Das Spiel Die Zwerge, basierend auf der gleichnamigen Buchvorlage des Bestseller-Autors Markus Heitz, machte zum ersten Mal Mitte letzten Jahres von sich reden, als erste Informationen über den Titel in Form eines inoffiziellen Leaks bekannt wurden. Nur kurz darauf äußerte sich das deutsche Entwicklerstudio KING Art Games dazu und bestätigte, dass sich ein solches Spiel bei dem hauptsächlich für Spiele wie The Book Of Unwritten Tales bekannten Studio in der Entwicklung befinden würde. Als voraussichtliches Veröffentlichungsdatum gab man damals grob das erste Quartal des Jahres 2016 an. Nun, pünktlich zum Jahresende, erscheint der mittels einer umfangreichen Kickstarter-Kampagne finanzierte Titel endlich im Handel. Wir haben das Spiel bereits im Voraus spielen dürfen und wollen euch in unserem Test berichten, wie gut die Umsetzung der Buchvorlage gelungen ist – und ob sich das Spiel auch dann lohnt, wenn man die Bücher zuvor nicht gelesen hat.

Das Strategie-Adventure Die Zwerge nimmt sich die gleichnamige Literaturvorlage des deutschen Autors Markus Heitz als Grundlage. Gepublished wird der Titel, von dem man zum ersten Mal im Juli 2015 hörte, vom Publisher EuroVideo, der zuletzt für den Vertrieb des neuen Daedalic-Titels Silence zuständig war. Für die Umsetzung des Titels zeichnet sich das Bremer Studio KING Art Games verantwortlich. Eng in die Entwicklung involviert war vor allem auch der Autor der Originalvorlage, wodurch man schon von Beginn der Entwicklung an auf eine würdig umgesetzte Adaption hoffen durfte.

Viel Text, exzellente Erzählweise

Ein Buch und dessen umfangreiche Welt spielbar machen – dieser Herausforderung stellte man sich beim Entwickler KING Art Games. Doch wie gut funktioniert diese Umsetzung in der Realität? Simpel gesagt: Viel besser, als wir zu hoffen gewagt haben.
Maßgeblich daran beteiligt sind verschiedene Faktoren. So entschied man sich zum Beispiel dazu, die multiplen Handlungsstränge des Buches auf den Protagonisten Tungdil Goldhand und dessen Begleiter herunterzubrechen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass etwas von der Geschichte verloren geht. Durch Gespräche zwischen den verschiedenen Charakteren, die von einem auktorialen Erzähler begleitet und ergänzt werden, bekommt man alle essentiellen Informationen auf direktem Wege vermittelt, ohne dabei allzu viel lesen zu müssen. Denn jeder Charakter im Spiel wurde eigens vertont, sodass es sich zeitweilig so anfühlt, als würden wir ein Hörbuch spielen. Den verschiedenen Figuren wird auf diesem Wege gleichzeitig auch ihre eigene Persönlichkeit aufgedrückt, sprachliche und charakterliche Eigenarten sowie schon aus dem Buch bekannte Phrasen haben oft ihren Weg ins Spiel gefunden und sorgen für Wiedererkennungswert bei denjenigen Spielern, die mit der Vorlage vertraut sind, machen aber auch Unvoreingenommenen schnell klar, was die wesentlichen Merkmale der einzelnen Charaktere sind.

Ein weiterer wesentlicher Teil der Vorlagennähe war mit Sicherheit auch die Entscheideung von Seiten des Entwicklers, die Fans der Bücher von Anfang an mit in den gestalterischen Prozess der Protagonisten mit einzubeziehen. So fragten sie beispielsweise auf der Facebook-Seite zum Spiel immer wieder nach wichtigen äußerlichen Merkmalen einzelner Individuen und ließen zwischen verschiedenen gestalterischen Varianten wählen, um dem Idealbild der Figuren, das sich bei der Mehrheit der Leser eingegraben hat, gerecht zu werden. Viele Persönlichkeiten erscheinen vermutlich gerade deswegen genau so im Spiel, wie man sie sich selbst beim Lesen der Geschichte vorgestellt hat. Auch hier profitieren wieder auch Spieler, denen die Vorlage unbekannt ist: Die Figuren wirken nicht nur in ihrer Sprache, sondern auch in ihrem Aussehen glaubhaft und authentisch, was dem Erschaffen einer immersiven Geschichte und Welt den nötigen detailverliebten Tiefgang beschert.

Musik, Grafik, Atmosphäre 

Atmosphärisch untermalt wird das ganze Geschehen durch Musik des Komponisten Benny Oschmann, der bereits den Soundtrack zu The Book Of Unwritten Tales beisteuerte und weiterhin auch für die musikalische Unterlegung von Titeln wie Hitman: Absolution oder Dragon's Prophet verantwortlich war. Doch damit nicht genug: Ebenfalls im Soundtrack vertreten ist die deutsche Speed Metal Band Blind Guardian, die Teile der Originalmusik komplett neu arrangiert und vertont hat. Das hier sind immerhin die Zwerge. Und die sind nunmal aus Metall und Stein geformt. Der Band wurde weiterhin auch eine eigene Quest im Spiel gewidmet, die man uns dieses Jahr auf der Gamescom schon einmal anteaserte und über die wir an dieser Stelle nicht zu viel verraten wollen. Es sei allerdings gesagt: Irgendwo in der Welt, die sich Das Geborgene Land nennt, könnt ihr einem Mann bei der lautstarken Suche nach seiner Frau Helga helfen. Und ein Ochsenschädel wird brennen.

Grafisch ähnelt der Titel eher weniger dem, was man als Zeichenstil von KING Art Games gewohnt ist, da sich der doch recht comichafte Zeichenstil der bekanntesten Titel gefestigt hat. Dass man aber auch anders kann, zeigte man von Seiten des Entwicklers allerdings ebenfalls eindrucksvoll: Das sich derzeit in der Mache befindliche Projekt Iron Harvest fährt so zum Beispiel beinahe fotorealistisch-düstere Landschaften und Umgebungen auf und auch dem Rundenstrategiespiel Battle Worlds: Kronos ist nichts von der Verspieltheit der bekannteren Point-and-click Adventures anzumerken. Genau so verhält es sich auch mit diesem Spiel. Natürlich, es handelt sich um ein Fantasy-Setting, da darf es auch gerne einmal verspielter sein, im Allgemeinen jedoch ist sowohl die Gestaltung der Weltkarte als auch die der einzelnen Schau- und Kampfplätze sehr nah an dem, was man von anderen Fantasy-Titeln erwartet. Auch wenn wir uns für manche Orte, zum Beispiel die großen Hallen der verschiedenen Zwergenreiche, ein klein wenig mehr Detailliertheit und Textur gewünscht hätten.

Die Charaktere: Nicht individuell und deswegen glaubhaft 

Zu einem glaubhaften Spielgefühl zählt natürlich vor allem auch die Interaktion der verschiedenen Charaktere untereinander. Wie bereits erwähnt werden die einzelnen Protagonisten hier durch ihre jeweils eigene Vertonung und individuelle Wortwahl passend vorgestellt und auch das jeweilige Design sorgt für das nötige Maß an Persönlichkeit. Im Bezug auf die Charakterentwicklung hätte man, wenn man sich denn eng an der Vorlage orientieren wollte, noch einen Schritt weiter gehen können, so jedoch macht lediglich der Hauptcharakter Tungdil eine nennenswerte Entwicklung vom bei Menschen aufgewachsenen Findelzwerg hin zum Retter des Geborgenen Landes durch. Das heißt jedoch nicht, dass alle anderen Begleiter flach und eindimensional bleiben. Durch immer wieder stattfindende Gespräche werden Beziehungen und Vergangenheit der verschiedenen Mitreisenden aufgearbeitet und dem Spieler nahe gebracht. Es entsteht schnell der Eindruck, Teil einer fest etablierten Welt zu sein, in der alles und jeder seinen Platz hat.

Neben einem gemeinsamen Ziel teilt sich eure Gruppe ebenfalls ein gemeinsames Inventar, eigene Charakterslots gibt es nicht. Vor Beginn eines Kampfes könnt ihr jedem Helden ein Item oder einen Trank zuweisen, der während des Kampfes benutzt werden kann, Individualisierung der Charaktere ist hier aber, abgesehen von den frei wählbaren Fertigkeiten, bis zum Erreichen des maximalen Levels zehn, nicht möglich. Für ein Fantasy-Abenteuer eher ungewöhnlich, dennoch eine logische Schlussfolgerung, bedenkt man die Literaturvorlage. Man entwickelt bei Die Zwerge keinen eigenen Charakter, sondern wird durch die Augen und Taten des Protagonisten direkt in die Geschichte integriert. Oder könnt ihr euch an ein Buch erinnern, in dem die Helden nach jeder erfolgreichen Schlacht erst einmal jede Leiche durchsuchen und Stunden mit dem Vergleichen der Vorzüge verschiedener Rüstungen und Waffen zu verbringen, nur um sich nach dem näcshten Kampf wieder direkt neu einzukleiden? 

Oink, oink, Schweineschnauzen – Kampf und Gameplay

Da es sich bei dem Titel um einen Vertreter der Strategie-Adventures handelt, darf natürlich auch gekämpft werden. Auf eurer Reise über die Weltkarte von einem wichtigen Handlungsort zum nächsten werdet ihr immer wieder sowohl in Dörfern als auch mitten auf dem Weg von angreifenden Orkhorden sowie einem eingeschworenen Erzfeind in Gestalt des Albs Sinthoras überfallen. Dabei bewegt ihr euch auf einer Karte des Geborgenen Landes, des Handlungsorts des Spiels, zugweise vorwärts, wobei ihr nicht nur eure eigene Position auf der Karte seht, sondern auch die von speziellen Händlern, besonderen Orkrotten als auch die Lage bestimmter Dörfer und größerer Städte.

Während des Umherziehens auf der Karte werden euch immer wieder mittels eingesprochener Dialoge sowohl die Geschehnisse im Geborgenen Land als auch die Beziehung eurer Charaktere untereinander vermittelt. Unterbrochen wird dies allerdings jedes Mal aufs Neue von einem Ladebildschirm, der außer einem komplett schwarzen Hintergrund lediglich sich immer wiederholende Tipps zum Spiel anzeigt, die das fehlende Tutorial gar nicht mehr so sauer aufstoßen lassen. Bei der Menge an Ladebildschirmen, so kurz sie auch ausfallen mögen, hat man spätestens nach der ersten halben Stunde alle wichtigen Mechaniken des wirklich selbsterklärenden Spiels verstanden.

Friendly Fire, Physik und der schnellste Weg zum Ziel 

Das Kampfgeschehen selbst zeichnet sich durch sein typisches Erscheinen als Stop&Go-Kampfsystem aus. Nach so gut wie jeder ausgeführten Attacke eines eurer bis zu vier Gruppenmitglieder pausiert ihr das Geschehen, weist neue Angriffsziele und Attacken zu und achtet dabei genau darauf, bloß keinen der eigenen Leute in der Schusslinie zu haben, denn Friendly Fire kann vor allem bei Spezialangriffen, über die jeder Charakter verfügt, ziemlich gefährlich werden. Neben den verschiedenen Fähigkeiten, die eure Protagonisten mit sich bringen – die Maga Andokai schleudert mit arkanen Blitzen um sich, während der technikbegabte Furgas mit vergifteten Pfeilen um sich schießt und eure Zwerge mit ihren Äxten diverse Orkschädel spalten – sticht beim Kampfsystem des Spiels vor allem eine Sache hervor: Es funktioniert ausgezeichnet!

Anders als bei anderen Titeln mit demselben System, müssen wir hier nicht etwa dabei zusehen, wie unsere Charaktere eine Zeit lang tatenlos herum stehen, nachdem sie einen Angriffsbefehl bekommen haben. Die Umsetzung der entsprechenden Anweisungen erfolgt meist direkt nachdem ihr diese gegeben habt. Weiterhin zu berücksichtigen ist beim Kämpfen ebenfalls die Physik-Engine des Spiels. Mehr als einmal kommt es so zum Beispiel vor, dass ihr Feinde mit gewissen Skills etwa zur Seite und damit über den Rand einer Brücke hinaus schieben könnt – sofern ihr darauf achtet, weit genug vor entsprechendem Abgrund zum Stehen zu kommen. Auch kann es sein, dass ein langwieriger Kampf gar nicht erforderlich ist. Die Anforderungen zum erfolgreichen Bestehen einer Feindbegegnung beinhalten so zum Beispiel auch, unbeschadet mit allen vier Helden von einem Ende der Karte zum anderen zu gelangen. Darauf zu achten, worin genau euer Missionsziel besteht, kann euch hier so manche Schererei ersparen. Am Kampf selbst fiel uns einzig die manchmal sehr hakelige Kamerasteuerung auf. Zum Planen eures nächsten Zuges immens wichtig, könnt ihr diese in der Theorie frei schwenken und bewegen. Praktisch kam es mehrmals vor, dass uns nur eine zweifelhaft nützliche Top-Down Ansicht des Geschehens gewährt wurde, die sich erst durch einen Sprung ins Unbekannte weil Ungesehene wieder auflöste.

The choice is yours

Führt ihr eure Gruppe nicht gerade auf dem nächstbesten Schlachtfeld an, so erkundet ihr ebenfalls einige Ortschaften und sammelt durch Befragungen etwa Hinweise auf die Geschehnisse im Land oder helft beim Schlichten lokaler Streitigkeiten. Dabei ist anzumerken, dass alle eure Entscheidungen einen mehr oder minder spürbaren Einfluss aufs Spielgeschehen haben. Zwar werdet ihr von der Hauptquest zielsicher an die entscheidenden Schauplätze geführt, an denen ihr etwa neue Gruppenmitglieder kennen lernt oder eine besondere Kampfbegegnung habt, der restliche Spielverlauf liegt allerdings größtenteils in eurer eigenen Hand. Sowohl die Zugstrecken zum Ziel als auch eure Entscheidungen in bestimmten Gewissens- und Ermessensfragen stehen euch frei und bieten somit neben einer spannenden Welt auch einen gewissen Wiederspielwert. Dieser wird noch weiter dadurch unterstützt, dass ihr zwar maximal vier Helden in eurer Schlachtgruppe, aber viele mehr als Weggefährten an eurer Seite habt. Vor jedem Kampf könnt ihr eure Gruppe, mit Ausnahme des Hauptcharakters Tungdil, komplett neu zusammenstellen und so nach und nach herausfinden, welche Konstellation euch am besten gefällt. Wir haben uns bei unserem Spieldurchlauf übrigens an den Verlauf der Ereignisse im Buch gehalten.

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