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Mit dem Fantasy-RPG Gothic stieg das bis dahin kaum bekannte Studio Piranha Bytes im Jahr 2001 zu einem der wichtigsten deutschen Entwickler auf. Seither veröffentlichte die inzwischen zu THQ Nordic gehörende Firma aus Essen fünf weitere Rollenspiele, zwei Fortsetzungen zu „Gothic“, die ebenfalls dreiteilige RPG-Reihe Risen und schließlich das Science-Fantasy-Abenteuer Elex.
Alle Spiele fanden großen Anklang, vor allem im deutschsprachigen Raum, aber auch in Osteuropa. Der wichtigste Grund dafür: Trotz aller Unterschiede ist die besondere Handschrift der Entwickler aus dem Ruhrpott immer erkennbar und in Teilen bis heute einzigartig im Genre. Fünf Jahre nach ihrem letzten Spiel erscheint nun das direkte Sequel Elex 2 für PC und Konsole. Wir konnten bereits vorab in die Welt von Magalan eintauchen.
Fraktionsloser Weltenretter
„Elex 2“ versetzt euch einige Zeit nach den Ereignissen des ersten Teils erneut auf den Planeten Magalan, den Hauptfigur Jax im ersten Teil vor der drohenden Zerstörung durch den sogenannten Hybriden bewahrte. Ausgerechnet mit diesem, oder besser gesagt dessen menschlichem Rest Adam Dawkins, muss Jax nun zusammenarbeiten. Denn überall in der Welt tauchen sonderbare Kreaturen auf, die Dawkins Skyands nennt. Und die sind bloß die Vorboten einer Invasion feindlicher Aliens. Um sich für den Angriff zu rüsten, muss Jax eine schlagkräftige Armee zusammenstellen, die er in der alten Bastion um sich schart.
Die dient als Basis für eure „sechste Macht“ und damit auch als Sammelpunkt für all eure autonom kämpfenden Gefährten, von denen ihr ähnlich wie im Vorgänger jeweils einen auf eure Streifzüge mitnehmen könnt. Fast alle davon sind aus dem ersten Teil bekannt, darunter Caja, die Ex von Jax und Mutter ihres gemeinsamen Sohnes, oder Jax‘ immertreue Kampfdrohne C.R.O.N.Y. U4.
Die Gefährten allein reichen zur Abwendung der Invasion natürlich nicht aus, weshalb ihr auch auf die Hilfe der fünf untereinander zerstrittenen Fraktionen angewiesen seid. Anders als in allen vorherigen Piranha-Bytes-Spielen müsst ihr euch in „Elex 2“ aber keiner davon anschließen, sondern könnt auch bis zum Schluss fraktionslos bleiben. Der Nachteil dabei: spezielle Waffen und Rüstungen der Gilden bleiben euch dann weitestgehend verwehrt.
Nur als Berserker könnt ihr etwa deren Mana-Künste erwerben. Die Aufnahme bei den Fraktionen ist jedoch an verschiedene Voraussetzungen geknüpft, die über den üblichen Vertrauensgewinn durch das Erfüllen von Aufträgen hinausgeht. So müsst ihr, um in die Reihen der kriegerisch und kaltblütig veranlagten Morkons aufgenommen zu werden, einen hohen Zerstörungswert besitzen, der von der Summe eurer moralischen Entscheidungen abhängt. Vereinfacht ausgedrückt: Verhaltet ihr euch rechtschaffend, sinkt eure Zerstörung. Nutzt ihr ohne Not Gewalt oder versucht, andere durch Drohungen einzuschüchtern, steigt er.
Mehr Freiheiten denn je
In „Elex 2“ seid ihr von Beginn an noch ein bisschen freier unterwegs als in Teil 1. Ihr könnt also bereits nach dem kurzen Prolog theoretisch (fast) jeden Ort auf der Karte erreichen, als erstes versuchen, das Hauptquartier der Albs im verschneiten Norden besuchen oder bei den Outlaws im Krater des Meteoriten vorbeischauen, der einst das Elex nach Magalan brachte. Grenzen werden euch jedenfalls praktisch keine gesetzt, innerhalb der Lager müsst ihr euch den Zugang in bestimmte Bereiche aber teils erst verdienen.
Da ihr von Beginn an den später umfassend verbesserbaren Jetpack besitzt, sind meist auch Berge kein unüberwindbares Hindernis. Lediglich besonders starke, anfangs unmöglich besiegbare Monster, versperren euch hier und dort den Weg. Ihr könnt aber im Regelfall problemlos an ihnen vorbeilaufen oder aus dem Kampf flüchten.
Möchtet ihr die mit unzähligen spannenden Hotspots und Geheimnissen ausstaffierte Umgebung jedoch in Ruhe erkunden, müsst ihr den Monstern definitiv gewachsen sein. Anders als im ersten Teil, und das ist ein klarer Fortschritt, müsst ihr euch aber nicht erst stundenlang im ersten Lager verkriechen, bevor ihr euch überhaupt mal in die Außenwelt vorwagen könnt. Das Gegenteil wäre aufgrund des anderen Konzepts von „Elex 2“ aber auch reichlich kontraproduktiv.
Alles in allem bleibt „Elex 2“ schon auf normal ein vergleichsweise anspruchsvolles Rollenspiel. Die Spielbalance ist aber dennoch ausgewogener geglückt. Nur ein paar wenige Missionen, vor allem die Gefährtenaufträge, führen zum Teil schon früh im Spiel in etwas zu harte Kämpfe, die dann teilweise nur mit Glück und häppchenweise unter eifriger Nutzung der auch auf Konsole verfügbaren Quicksave-Funktion bewältigt werden können.
Die unzähligen Missionen, wenngleich diese oft etwas zu kleinteilig in separate Unterquests aufgespalten sind, verlaufen natürlich linearer, und für sie können im Questlog manuell punktgenaue Zielmarker oder Suchbereiche auf Karte und Minimap aktiviert werden. Aber auch die Quests bieten oft viele Freiheiten und unterschiedliche Lösungswege, wie man das von den Piranhas gewohnt ist. Die Bandbreite ist groß. Es gibt zwar auch immer wieder Standard-Aufgaben wie Hol- und Bringquests. Aber selbst in deren Rahmen habt ihr im Gespräch mit dem Questgeber immer wieder alternative Optionen im Dialog, um etwa mehr Geld (Elex-Splitter) herauszuholen.
Seid ihr zu forsch, werdet ihr womöglich aber auch mal schlechter bezahlt als sonst. In den komplexeren Quests und Questreihen, die ziemlich clever oft auch gleich Aktionen in mehreren Lagern verbinden, gehen die Alternativen deutlich weiter und sind mit schwierigeren Entscheidungen verbunden. Im Lager der Morkons sollt ihr euch als Detektiv betätigen und den Besitzer eines Medaillons finden, das die Bildnis einer verbotenen Gottheit zeigt.
Über kurz oder lang findet ihr die Besitzerin, der der Tod droht, wenn ihr sie verratet. Stattdessen könnt ihr euch auf einen Deal mit ihr einlassen, wofür jedoch ein anderer unbeteiligter NPC als Bauernopfer herhalten muss. Andere Quests schließen sich auch gegenseitig aus. So könnt ihr einfach die Kopfgeldjagden bei den Outlaws annehmen und ordentlich Kasse machen, wenn ihr die Zielpersonen tötet.
Die Ausgestoßenen könnt ihr, das Wissen darum vorausgesetzt, aber alternativ auch für die Kleriker anwerben, die immer noch ihre schweren Verluste ausgleichen müssen. Auch daraus sowie aus den kernigen Dialogen resultiert eine besonders hohe Glaubwürdigkeit von Welt und NPCs, zumal die Quests auch im optionalen Bereich selten so clever mit Story und Spielwelt vernetzt sind wie hier.
Motivierender Fortschritt, schwache Kämpfe
Ziemlich motivierend gelungen ist einmal mehr auch das Charaktersystem. Die nur fünf steigerbaren Attribute muten sparsam an. Das System ist aber sehr durchdacht und sinnvoll gestaffelt, da ihr zwar bei jedem Stufenaufstieg zehn Punkte auf die Attribute verteilen könnt, ab bestimmten Schwellenwerten aber pro Attributspunkt später zwei, drei Punkte und so weiter investiert werden müssen. Zudem erfordert das Anlegen einer Waffe jeweils die Erfüllung von jeweils zwei Attributswerten.
Da dies je nach Waffengattung unterschiedliche Attribute sind, müsst ihr euch entsprechend (zumindest anfangs) stärker spezialisieren. Ähnlich sieht es bei den oft perkartigen Skills aus, die unter anderem Verbesserungen für Ausdauer oder Trefferpunkte, aber auch Fertigkeiten wie das Reißen von Zähnen und anderen Tiertrophäen, die Schmiedekunst oder Chemiekenntnisse, die euch das Brauen von Tränken ermöglichen.
Motivierend ist das durchaus komplexe System dabei nicht zuletzt, da ihr durch bereits gefundene Waffen ein konkretes Ziel vor Augen habt, das Ding endlich einsetzen zu können, aber eben auch, da man allgemein den Fortschritt spürt, da gerade anfangs knüppelharte Monster mit jeder Verbesserung etwas leichter werden und man sich an immer größere Biester herantrauen kann.
Während uns das Design der Gegner und die Vielfalt an Typen sehr zusagt, können wir das von den Kämpfen selbst nicht wirklich behaupten. Das System steuert sich hakelig und ungenau, sieht nicht sonderlich galant aus und das Trefferfeedback müssen wir als mangelhaft bezeichnen. Das ist als einziger grober Schwachpunkt in einem doch recht zentralen Bereich natürlich alles andere als optimal und einfach nur schade, da im Rahmen der Jetpack-Upgrades die Vielfalt sogar anwächst und unter anderem neue Moves und Kämpfe in der Luft möglich sind.
Unterm Strich ist das Kampfsystem aber dennoch kein Beinbruch, besonders nicht für Piranha-Bytes-Fans, die in diesem Bereich schon leidgeprüft sind. Vor allem aber überwiegen die Stärken die Probleme des Kampfsystems deutlich auf und ändern nichts an einem insgesamt gelungenen Spielerlebnis, das auch der Grafik zu verdanken ist.
Leicht angestaubt, aber schön
Die Zeiten, in denen Spiele der Piranhas unfertig veröffentlicht wurden, sind schon lange vorbei. Die technische Umsetzung ihrer Werke ist aber bis heute immer wieder ein Thema, wenn auch eben nicht so sehr wegen Bugs, sondern im Zusammenhang mit veralteter Grafik oder mit Blick auf die Performance der mittlerweile selbst entwickelten Konsolenversionen.
Bei „Elex 2“ können wir in beiden Bereichen Entwarnung geben, zumindest in Bezug auf die von uns getestete Next-Gen-Fassung auf Xbox Series X. Die läuft nämlich, von einem gelegentlichen Mini-Ruckler beim Aktivieren der Autosave-Funktion auf der aktuellen Microsoft-Konsole mal abgesehen, für unsere Augen absolut flüssig. Im Spiel selbst stören zudem praktisch nie sichtbare Ladezeiten den Spielfluss. Selbst bei Nutzung der Schnellreise landen wir meist ohne Unterbrechung am gewählten Portal. Nur bei der Reise vom einen ans andere Ende der Map kann für ein, zwei Sekunden ein kurzer Ladebildschirm zu sehen sein.
„Elex 2“ läuft aber nicht nur absolut stabil, sondern sieht dabei auch noch ziemlich schick aus. Ja, einzelne Elemente wie die Charaktermodelle oder -animationen wirken nicht mehr ganz up to date. Die Spielwelt ist dafür aber so liebevoll und detailverliebt gestaltet und der Gesamteindruck so stimmig, dass wir keinen ernsthaften Grund zum Meckern sehen.
Andere mögen sich an weiteren Kleinigkeiten stoßen. So werden bereits in relativer geringer Entfernung feinere Details wie Löcher in einem rostigen Wellblechdach auf einer Hütte ausgeblendet beziehungsweise tauchen diese plötzlich auf, sobald wir uns dem Dach nähern. Im unterirdischen Lager der Morkons wird das Feuer von Fackeln in der Umgebung praktisch vor unseren Augen erst entzündet. Und auch sonst kann man bei genauerem Hinsehen kleinere Fade-ins oder auch in der Ferne aufpoppende Gegner entdecken.
Aber das Wenigste davon ist sonderlich auffällig, als dass es das Gesamtbild auch nur ansatzweise zerstören könnte. Letztlich ist es sogar eher bemerkenswert, was die Piranhas aus der zwar seitdem mehrfach modernisierten, im Kern aber seit „Gothic 3“ verwendeten, selbst entwickelten Genome-Engine herausholen.