Artikel

Elex: Die Bestie von Piranha Bytes

Das Science-Fantasy-Rollenspiel des Essener Entwicklerstudios Piranha Bytes ist ein sperriges, detailverliebtes Gesamtpaket bestehend aus dem typischen rauen Gothic-Charme, einer riesigen prallgefüllten Spielwelt und spannenden Quests, die zu unterhalten wissen. Jeder Spieler, der auch nur ein wenig mit den vorherigen Spielen anfangen konnte, wird Elex lieben und unzählige Stunden in dem Titel versenken. Wo Schwächen liegen und was das Rollenspiel mit sanftem mehrlagigem Toilettenpapier zu tun hat, klären wir innerhalb unseres umfangreichen Testberichts.

Einmal sanftes Toilettenpapier zum mitnehmen, bitte!

Welche drei Gegenstände würdet ihr mit auf eine einsame Insel nehmen? Diese Frage habt ihr wahrscheinlich bereits des Öfteren gehört. Die entsprechende Antwort ist gar nicht mal so einfach. Vielleicht eine Spielekonsole? Ach nein, wir haben auf der Insel ja schließlich keinen Strom und mit Internet sieht es auch eher schlecht aus. Möglicherweise alle Staffeln von Lost? Mist, wieder das Stromproblem! Dann einfach ein gemütliches Bett, ein gutes Buch und eine Flasche Bier.

Doch was würdet ihr auf die Frage antworten, welchen Gegenstand ihr in einer möglichen Postapokalypse in jedem Fall mit euch nehmen würdet? Ebenfalls schwierig zu beantworten: Einige Waffen, eine Handvoll Munition und möglicherweise noch eine schusssichere Weste? Nein, im Grunde sind es oft die einfachsten Dinge, die man später am schmerzlichsten vermisst. Die richtige Antwort auf die ursprüngliche Frage lautet natürlich eine sanfte Rolle Toilettenpapier!

Aber wo ist denn nun der Zusammenhang zwischen der weißen, mehrlagigen Rolle Papier und Piranha Bytes Science-Fantasy-Rollenspiel Elex?

So viel sei an dieser Stelle schon einmal gesagt, der Entwickler besinnt sich bei Elex auf alte Stärken und serviert richtig gute Quests innerhalb einer riesigen Spielwelt, die prallgefüllt mit allerhand Gegenständen ist. Darunter selbstverständlich auch Toilettenpapier. Aber brauchen wir den Hygieneartikel im weiteren Handlungsverlauf wirklich? Nein, eigentlich nicht, aber wir haben trotzdem die Freiheit jeden Gegenstand in unserem Inventar verschwinden zu lassen und darüber hinaus an jeden beliebigen Ort zu reisen. Genau hier liegen die Stärken von Elex.

„Plötzlich, ein greller Blitz am Himmel! Ein flammender Meteor stürzt zur Erde!“

Aber beginnen wir ganz von vorne und betrachten das Setting, das den Ausgangspunkt von Elex darstellt. Die Handlung spielt auf dem erdähnlichen Planeten namens Magalan, der vor 160 Jahren von einem Meteoriten mit voller Wucht getroffen und dadurch nachhaltig verändert worden ist. Bei dem Aufprall sind beinahe alle Lebewesen ausgelöscht worden und zu allem Überfluss bevölkern nun unzählige Mutanten die Spielwelt.

Viele der Überlebenden flohen in die Wildnis und wurden größtenteils dezimiert oder versteckten sich hinter dem Schutz der neu formierten Gemeinschaften. Die Starken kämpften um die knappen Rohstoffe und Waffen, die ihnen die alte Welt hinterlassen hatte. Jedoch brachte der Meteor nicht nur Tod und Verderben mit sich, sondern auch ein bisher völlig unbekanntes Element namens „Elex“.

AllgemeinVon Gothic bis Elex: Die Geschichte von Piranha Bytes

Die Droge verlieh den Menschen eine unglaubliche Macht und die Fähigkeit übermächtige Technik zu entwickeln und verschiedene Arten von Magie zu wirken. Allerdings führt Elex in seiner reinen Form zu Degenerationen der vegetativen Systeme des Körpers. Doch die Menschen, die über einen starken Geist verfügten, konnten diesen Verfall überwinden und wurden zu emotionslosen und synthetischen Abarten der Gattung Mensch – die Albs.

Innerhalb von nur wenigen Jahren waren die Albs stark genug, um die letzten freien Menschen zu jagen und deren Existenz zu gefährden. Seitdem bekämpfen sich die letzten Gemeinschaften und lehnen sich gegen die Tyrannei der Albs auf.

Die Bestie von Xacor

Als Spieler schlüpfen wir in die Rolle eines Alb-Commanders namens Jax. Dieser wird zu Beginn der Handlung in seinem Gleiter über dem Land Edan abgeschossen und schließlich von seinen eigenen Leuten zum Tode verurteilt. Als wäre das nicht schon genug für einen Montag, wird ihm auch noch seine gesamte Ausrüstung gestohlen und er, seiner Kräfte beraubt, alleine zurückgelassen.

Ab hier darf der Spieler die Kontrolle übernehmen. Wir bekommen serientypisch noch schnell „ein paar aufs Maul“, durchlaufen anschließend ein kurzes Tutorial und werden zu den mittelalterlichen Berserkern gebracht, die Technik und Fortschritt fast gänzlich ablehnen und Elex für Magie und Mana für die sogenannte Weltenherzen nutzen, um den kränkelnden Planeten neu zu befruchten.

[inline_video_apexx id=40833]

Im genauen Gegensatz zu den Berserkern stehen die religiösen Kleriker, die auf hochentwickelte Technik sowie Maschinen setzen und ihre ganz eigene Meinung zu der „Droge“ Elex besitzen. Zu guter Letzt gibt es die Fraktion der Outlaws, die in der Wüste lebt, es mit Gesetzen nicht ganz so genau nimmt und für die Freiheit das wichtigste Gut ist – hier fühlten wir uns regelmäßig an Mad Max erinnert.

Freie Hand den Spielern

Sobald wir am Tor vor der Ortschaft Goliet angekommen sind, lässt uns Piranha Bytes freie Hand und wirft uns, wie wir es schon bei der Gothic-Serie gewohnt sind, ins kalte Wasser. An dem Gefühl der Hilflosigkeit wird sich die ersten Spielstunden auch nur wenig ändern und schon auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad müssen wir zuvor einige schmerzhafte Lektionen lernen. So beißt unser Protagonist öfter ins Gras, als dass wir Elex schreien können und ehe wir uns versehen, stecken wir schon in der Suchtspirale der Piranha Bytes-Formel. Genau wie bei der Gothic-Serie spüren wir plötzlich unbändige Motivation im Level aufzusteigen, eine schicke neue Ausrüstung zu erhalten und die riesige Spielwelt zu erkunden – und natürlich einigen Leuten ordentlich aufs Maul zu hauen! Immer wieder bekommen wir unsere Quittung für dumme oder schlecht überlegte Aktionen und lernen so nach und nach dazu.

Ist beispielshalber ein Mutant, der unseren Weg versperrt, schlicht noch zu stark für unseren Charakter, locken wir diesen einfach zu der nächsten Berserker-Wache und schauen aus sicherer Ferne zu – Nostalgie pur!

Die Spielwelt

Elex ist tatsächlich in vielerlei Hinsicht ein waschechtes Piranha Bytes-Spiel mit einer gehörigen Portion Charme sowie der typischen rauen Gothic-Attitude – jedoch auch mit einigen Ecken und Kanten.

Die Spielwelt ist etwa eineinhalb Mal so groß wie das Pendant aus Gothic 3 und bietet Abenteurern und Forschern verschiedene Klimazonen wie Wüsten, Wälder, Vulkangebiete oder schneebedeckte Berge. Doch eine riesige Spielwelt in Kombination mit Piranha Bytes, kann das funktionieren? Schließlich verfügte auch das zur Veröffentlichung stark fehlerbehaftete Gothic 3 über eine entsprechend große Spielwelt, die aber aufgrund von Zeitmangel nicht ordentlich gefüllt werden konnte und im großen Teil sehr leblos wirkte.

Genau diesen Fehler haben die Entwickler bei Elex nicht wiederholt, sondern genau das Gegenteil geschafft. An jeder Ecke treffen wir auf Questgeber, Mutanten, alte Ruinen, idyllische Flüsse, Hintergrundinfos oder interessante Gegenstände, die liebend gerne in unser Inventar wandern möchten.

Unzählige Male sind wir dadurch von unserem eigentlichen Plan abgewichen und haben den regulären Weg verlassen – soll die Hauptmission doch erst einmal eine Pause einlegen. Das wichtigste ist aber, dass Piranha Bytes uns wirklich zu jeder Zeit belohnt, wenn wir unserem Forscherdrang nachgehen. Erkunden wir eine alte Ruine, finden wir unzählige nützliche Gegenstände wie eine neue Waffe, einen Heiltrank, oder eine Rolle normales beziehungsweise sogar sanftes Toilettenpapier. Welchen Nutzen hat aber Klopapier und weshalb können wir es in unser Inventar packen? Vollkommen egal, wir haben es gefunden, also möchten wir es auch gerne fortan mit uns tragen – Besitz ist alles!

An diesem Beispiel wird die Leidenschaft und Detailverliebtheit der Entwickler ersichtlich. Die einzelnen Orte sind zudem handgesetzt und nicht durch einen Generator in der Welt verteilt worden.
Im Grunde werden uns tatsächlich kaum Grenzen gesetzt. Wir merken schon selber, wenn ein Gebiet noch zu gefährlich für uns ist. Und trotzdem sind wir dutzende Male gestorben, weil wir eine riesenhafte Kreatur zu einem örtlichen Jäger locken wollten. Der Plan ging schlussendlich aber leider nach hinten los, da unser Auftraggeber offensichtlich zu schwach war und das Zeitliche segnete. Blöd, weil unsere zuvor angenommene Mission so ebenfalls gescheitert ist – also ein weiteres Mal laden und es noch einmal versuchen!

Was ein Biest!

Elex ist ein richtiges Biest, das erst einmal gezähmt werden möchte. Je nachdem für welchen Schwierigkeitsgrad ihr euch entscheidet und wie penibel ihr die Welt erkundet, könntet ihr gut und gerne 60-80 Stunden auf eurem virtuellen Konto verbuchen. Alleine die ersten 20 Spielstunden haben wir kleinere Missionen erfüllt, uns mit dem Titel vertraut gemacht und die drei unterschiedlichen Fraktionen aufgesucht, ohne uns überhaupt einer Gemeinschaft anzuschließen.

Alle wichtigen Spielfiguren scheinen darüber hinaus große Langeweile zu haben und Quatschen mit uns ohne Punkt und Komma. Und das ist in keiner Weise negativ gemeint. Nur benötigen wir selbst für kleinere Quests oft sehr viel Zeit, da wir auf weitere Aufgaben stoßen oder im Vorfeld erst noch andere Dinge erledigen müssen. Wir empfehlen für Elex einfach mehre Wochen Urlaub zu nehmen und wirklich jeden Winkel der Welt zu erkunden.

Die Piranha Bytes-Formel?

Doch Elex hat nicht nur unglaublich viele und zum Teil sehr komplexe, wie gut geschriebene Quests sowie eine lebendige Spielwelt voll mit Inhalt zu bieten. Der Titel ist auch verdammt sperrig und eigensinnig. Spieler, die mit der Gothic- oder auch der Risen-Serie nichts anfangen konnten, werden sich auch bei Elex schwer tun und auf altbekannte Probleme stoßen, die sich durch die gesamte Historie von Piranha Bytes ziehen.

Elex ist sicherlich nicht hässlich und wahrscheinlich würde auch jedes andere Grafikgewand den unverwechselbaren Look des Rollenspiels unwiderruflich zerstören, trotzdem wirkt die Grafik in vielen Teilen schlicht altbacken und nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik. Immer wieder stolpern wir über matschige Texturen, nicht mehr ganz zeitgemäße Effekte oder einfach hölzerne Animationen, die schon in den vorherigen Teilen des Öfteren für ein Lächeln sorgten.

Vor allem die Animationen der Charaktere oder deren Mimik reißen immer wieder ein stückweit aus der sonst so lebendigen Welt. Ab und an waren wir zudem in einer Felsspalte gefangen, wodurch nur noch das Laden des letztens Speicherstandes Abhilfe verschaffen konnte. Clipping-Fehler bekamen wir zwar auch zu Gesicht, allerdings in verträglichem Maße. Wirklich gravierende Bugs, die Einfluss auf das Gameplay und den Spielspaß haben, sind uns bislang nicht aufgefallen.

Kritik muss zudem das Kampfsystem einstecken, das mehr schlecht als recht in das Rollenspiel integriert worden ist. Die im Tutorial beigebrachten Kombinationen wollen nicht so recht funktionieren und das Blocken von Angriffen bleibt gerade bei menschlichen Gegnern oft ohne Wirkung. Nervig: Die Reichweite von Schlägen ist oft nicht abschätzbar und viel zu weit. Fernkampfwaffen hingegen geben uns einfach nicht die Trefferrückmeldung, damit sich das System rundum gut anfühlt. An dieser Stelle kann Piranha Bytes möglicherweise noch einen Patch nachschicken und somit für Besserung sorgen. Spaß machen die Kämpfe, wenn es nicht gerade mehrere Gegner sind, aber trotzdem.

Ein weiterer Kritikpunkt ist das Inventar-System von Elex. Okay, wir geben zu unser Inventar sehr voll gepackt zu haben, da wirklich jeder Gegenstand mitgenommen worden ist. So ist es nicht einfach sämtliche Items gut zu sortieren. Aber ein wenig mehr Komfort hätte an dieser Stelle aber vermutlich Wunder bewirkt.

Die Auflistung unserer Quests ist da aber schon eher ein Problem. Schließlich bekommen wir innerhalb der ersten Spielstunden unzählige Quests von verschiedenen Spielfiguren zugeteilt. Diese sind nach Hauptquest, Regionen etc. unterteilt und lassen sich aufklappen. Bei der Fülle an Aufgaben verlieren wir hier aber schnell den Überblick, auch weil das Spiel gefühlt zufällig einige Quests aufklappt und andere wieder schließt. Außerdem müssen wir bei aktualisierten Missionen immer wieder in unseren Quest Log und diese aktiv schalten, um einen Marker zu setzen.

Die guten alten Zeiten

Während die Quests zu Beginn nach dem bekannten Schema ablaufen, wir also entweder Mutanten beseitigen oder Botengänge erledigen sollen, werden diese im Laufe der Handlung zunehmend komplexer. Um uns beispielshalber das Vertrauen der Berserker zu sichern, müssen wir einen mysteriösen Mord in deren Gemeinschaft aufklären. Hierfür gilt es verschiedene Personen zu befragen. Letztendlich klären wir den Fall auf und staunen nicht schlecht, als wir erfahren wer wirklich der Mörder ist. Oft haben wir zudem mehrere Möglichkeiten, wie wir eine Mission angehen beziehungsweise beenden möchten.

Unsere Entscheidungen haben jedoch auch Auswirkungen auf unsere Beziehung zu den jeweiligen Figuren. Haben wir zum Beispiel ein hohes Ansehen bei einer bestimmten Person, kann diese uns als Begleitung folgen und damit bei Kämpfen tatkräftig zur Seite stehen. Nach dem ersten Akt, der bereits viele Spielstunden erfordert, nimmt Elex erst richtig an Fahrt auf. Schließlich haben wir uns dann einer Fraktion angeschlossen, verfügen über bessere Ausrüstung und bekommen komplexere Quests präsentiert, bei denen wir erst einmal nachdenken müssen, welche Lösung wir anstreben möchten. Auch die Haupthandlung entwickelt sich dann interessanter und sorgt immer wieder für das eine oder andere Aha-Erlebnis.

Ein Wiedersehen mit Diego

Natürlich gehört auch eine anständige Soundkulisse zu einem Rollenspiel wie Elex. Und hier haben die Mannen von Piranha Bytes wirklich erstklassige Arbeit geleistet, wenn nicht sogar die beste Arbeit in der Geschichte des Studios. Wir fühlen uns immer wieder an Gothic und alte Zeiten zurückerinnert und merken ganz deutlich wie viel ein guter Soundtrack in puncto Atmosphäre ausmacht. Doch auch die Dialoge lassen wenig Luft nach oben. Wir bekommen zu einem großen Teil Sprecher präsentiert, die wir bereits aus Gothic oder Gothic 2 kennen und mit uns in dem typischen raubeinigen Ton sprechen, wie wir es von früher gewohnt sind.

Doch was wäre ein vernünftiges Rollenspiel ohne ein Level-System? Durch erledigte Quests oder erlegte Gegner erhalten wir Erfahrungspunkte, die uns im Rang aufsteigen lassen. Dadurch können wir Attributpunkte in Stärke, Geschick, Kondition, Gerissenheit und Intelligenz verteilen, um bessere Waffen zu nutzen oder verschiedene Skills zu lernen. Cool: Kleriker können sich zum Beispiel auf das Talent Gedankenkontrolle (Suggestion) spezialisieren, um Quests ganz ohne Schwert und Bogen zu lösen. Fehlen darf darüber hinaus auch ein Crafting-System nicht, um besondere Gegenstände oder Waffen herzustellen.

Aber das wahrscheinlich coolste Feature in Elex ist der Jetpack, über den wir von vornherein verfügen und der sich nach Nutzung selbständig innerhalb von kurzer Zeit wieder auflädt. Damit lässt sich nicht nur perfekt über fremde Mauern fliegen, sondern auch über Gegner und andere Hindernisse. Blöd nur, dass wir nicht auch geradeaus steuern können, sondern fast schnurrgerade nach oben beziehungsweise unten fliegen.

Wir haben uns regelmäßig dabei ertappt, wie wir dank der Flughilfe eine lohnende Abkürzung gefunden haben, nur um kurz darauf von einem Gegner volles Pfund aufs Maul (oder die Nase) zu bekommen. Wie gut, dass wir das mehrlagige sanfte Toilletenpapier bei den Outlaws in der Wüste haben mitgehen lassen!

1 2Nächste Seite

Patrik Hasberg

Schreiberling, Spieleentdecker, praktizierender Perfektionist und Mann fürs Grobe. Außerdem laufender Freizeit-Hobbit, der Katzen liebt. – Hunde gehen auch. „Auch sonst eigentlich ganz ok“.
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"