Nachdem die Standortfrage mit dem einstweiligen Verbleib der gamescom in Köln fürs Erste geklärt ist, steht zunehmend eine andere Frage im Raum: Braucht es die Gaming-Messe in Zeiten der kompletten Vernetzung noch? Und: Welches Konzept hat die größeren Zukunftschancen? Die gamescom als Consumer-Messe oder doch die E3 als Fachbesuchermesse? Eine Gedankenskizze, die zur Diskussion anregen soll.
Der falsche journalistische Anspruch
Zugegeben, die Frage nach der Sinnhaftigkeit der gamescom ist beinahe so alt wie die Messe selbst. Früher drehte sich die Diskussion aber vor allem um den journalistischen Mehrwert, sprich die Anzahl an echten Neuigkeiten, die auf der Messe präsentiert wurden. Dieser war aufgrund der zeitlichen Nähe zur E3, bei der in der Regel die großen Bomben platzten, nie sonderlich hoch.
Ginge es also nach diesem Anspruch, hätte es die gamescom vermutlich von Beginn an nicht gebraucht. Dennoch war es für europäische Medien in einer Zeit, in der Informationen gefühlt noch langsamer flossen, eine gute Gelegenheit, sich mit den kommenden Spielen und ihren Machern intensiv auseinanderzusetzen und Eindrücke zu liefern, zu denen sonst nicht jeder Zugang hatte.
Heutzutage hingegen kann man davon ausgehen, dass die eben gespielte Gameplay-Session spätestens zur gleichen Zeit in einem Stream zu sehen ist oder längst im Zuge der E3 zu Tode analysiert wurde. Und selbst wenn eine gute journalistische Aufbereitung immer noch Wertschätzung erfahren kann und sollte, so ist dennoch klar, dass in Zeiten, in denen Let’s Player die dominierenden Charaktere der Szene und Videos und Streams die vorherrschenden Medien darstellen, sich die Spielregeln geändert haben. Das soll kein trauriger Abgesang sein, sondern bloß eine nüchterne Feststellung der Tatsachen.
Der Zahn der Zeit nagt an beiden Spielemessen
Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein Thema, das nur die gamescom betrifft. Ganz im Gegenteil. Eben weil die gamescom stets eine betonte Consumer-Messe war, die nie von bahnbrechenden News lebte, lassen sich leicht Argumente finden, weshalb die E3 als echte Fachbesucher- und somit Neuheiten-Messe möglicherweise noch viel stärker betroffen ist.
Der Trend hin zur Dezentralisierung der Aufmerksamkeit ist unübersehbar. Anstatt in der Masse unterzugehen, bleiben namhafte Publisher und Konsolenhersteller immer öfter fern und präsentieren im alleinigen Rampenlicht über Direktkanäle ihre Neuankündigungen. Das bedeutet freilich nicht, dass man den Messen völlig den Rücken gekehrt hat. Nintendo beispielsweise hatte in seiner Nintendo-Direct-Präsentation für die E3 2019 mit dem Nachfolger zu „Breath of the Wild“ einen ordentlichen Kracher im Gepäck. Es ist aber eben nur eine Gelegenheit von vielen im Jahr.
Dementsprechend wählerisch können die Publisher vorgehen. Es muss noch nicht einmal großes Marketing-Kalkül dahinterstecken, wenn es schlichtweg logischer ist, ein Spiel oder Produkt erst dann zu präsentieren, wenn es herzeigbar ist, anstatt zwanghaft für die Messe eine Demo zu basteln, die nur zusätzliche Ressourcen verschlingt.
Consumer-Messe als Vorteil?
Sofern man die Diskussion nur oberflächlich führen möchte, kann man sie blitzschnell mit einem Verweis auf die Besucherzahlen abwürgen. Beinahe jährlich jagt ein Besucherrekord den anderen. Da die gamescom zu hinterfragen, erscheint ziemlich realitätsfern. Ich bin jedoch der Meinung, dass die Anzahl der Besucher kein guter Gradmesser dafür ist, wenn wir über die Bedeutung als Games-Messe für interessierte Spieler sprechen. Selten wird der Jubel der Veranstalter über erneute Rekorde von den anwesenden Besuchern geteilt. Gerade weil die Messe immer wieder aus allen Nähten platzte, wurde die Standortdiskussion überhaupt erst so stark befeuert.
Warteschlangen von mehreren Stunden haben den Versuch, echte Blockbuster anzuspielen, schon seit der allerersten gamescom ad absurdum geführt. Besser ist es seither nicht geworden. Es ist kein Zufall, dass unsere (dennoch sehr nützlichen) Survival-Tipps eher an einen Dschungeltrip als einen Messebesuch denken lassen. Zumindest ermöglicht die erstarkte Indie-Szene in den letzten Jahren noch die Entdeckung so mancher Perle.
Dennoch muss das stundenlange Anstehen heutzutage umso stärker hinterfragt werden, wenn für Besucher ähnliches wie für die Presse gilt und die Inhalte ohnehin zur gleichen Zeit oder kurz darauf online ebenso verfügbar sind. Da kommt dann das Argument, die gamescom wäre eine Consumer-Messe und deshalb gegenüber der E3 im Vorteil, arg ins Schwanken. Zumindest dann, wenn man die gamescom als Informationsplattform für Konsumenten versteht.
Sehen und gesehen werden
Ich denke es schockiert niemanden, wenn ich die Behauptung aufstelle, dass diese Sichtweise veraltet ist und kaum noch der Realität entspricht. Wenn man aber über die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit der Messe diskutiert, ist es notwendig, dies klar festzuhalten: Die gamescom ist aus meiner Sicht in erster Linie ein soziales Happening. Vielleicht war sie das ohnehin schon immer, aber in der Hochsaison von Promi-Streamern und Cosplayern hat dieser Aspekt eine ganz neue Dimension angenommen.
Was für andere ein Musikfestival ist, bei dem die Musik teilweise oft nur die zweite Geige spielt, ist für Gamer womöglich die gamescom. Der Vergleich mag etwas hinken, aber es geht vor allem um das Gefühl, unter Gleichgesinnten zu sein. Als freier Redakteur habe ich die gamescom bereits früher vor allem als eine Art Klassen-/Familientreffen begriffen, bei dem ich zu Freunden gewordene (ehemalige) Kollegen wiedersehen konnte, um mit ihnen das gemeinsame Lieblingsmedium und die geteilte Leidenschaft dafür zu zelebrieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Besucher ähnlich empfinden.
Wie geht es weiter?
Der Eventcharakter zeigt sich nicht zuletzt an den diversen Bühnenshows und sonstigem Entertainment. Freilich, auf die marktschreienden T-Shirts-unters-Volk-Bringer, die den ohnehin schon lauten Lärmpegel noch zusätzlich in die Höhe treiben, könnte ich problemlos verzichten, aber sie sind mittlerweile genauso ein Teil der gamescom-DNA wie die völlig überteuerten Preise an den Fressbuden. All diese Kleinigkeiten sind für sich genommen natürlich nicht für das langfristige Fortbestehen und somit ebenso wenig für die Frage nach der Notwendigkeit der gamescom entscheidend.
Sie können aber Mosaiksteine einer Trendumkehr sein, wenn Besucher all die Strapazen oder die Aussteller die Kosten nicht mehr auf sich nehmen wollen. Es muss daran erinnert werden, dass sich gleichzeitig die E3 stets im Wandel befindet und bereits 2007 kurz vor dem Aus war, weil sie den Ausstellern zu teuer geworden war. Eine massive Verkleinerung war das vorübergehende Resultat.
Einstweilen geben die Besucherzahlen der gamescom allerdings Recht. Dennoch scheint eine Neudefinition auf lange Sicht unausweichlich zu sein. Einfach nur zu expandieren, wie es in diesem Jahr geplant ist, kann auf Dauer nicht die Antwort sein. Erst wenn klar ist, was die gamescom zukünftig sein will, können wir überhaupt versuchen einzuschätzen, ob es sie weiterhin noch braucht.
Mich würde eure Meinung dazu interessieren: Findet ihr, dass die gamescom weiterhin notwendig ist und das Konzept Zukunft hat? Was würdet ihr daran ändern, wenn ihr könntet?
Diskutiert mit und verratet uns, ob ihr die Messe dieses Jahr besuchen werdet und falls ja, was eure Hauptgründe dafür sind!