Als Redakteur für Onlinespiele bekommt man den ein oder anderen Shitstorm über ein Spiel sehr intensiv mit. Wenn ich an 2014 denke, fallen mir reihenweise Titel ein, die sehr unter negativen Kommentaren zu leiden hatten. Was aber 2015 mit dem Zombie-MMO H1Z1 passiert, toppt das schon echt deutlich. Ich spiele H1Z1 seit dem Startschuss, habe schon ungefähr 35 Stunden auf dem Konto und muss feststellen: Mir macht der Titel Spaß! Wie kann das sein, wo die Meinung der Magazine doch so wahnsinnig schlecht ausfällt? Gibt es doch schöne Dinge im MMO zu erleben? Dieser Artikel ist meine ganz persönliche Meinung über H1Z1 und spiegelt nicht zwingend den Standpunkt unserer anderen Redakteure wieder. Ich halte es nur für fair, wenn man neben all der Kritik auch lobende Worte findet. Viel Vergnügen.
Der verteufelte Early Access
Da ich durch frühere Tätigkeiten für eine Online-Redaktion einen guten Bezug zu Sony Online Entertainment habe, hatte ich schon lange das Zombie-MMO H1Z1 auf dem Schirm. Nahezu seit Ankündigung der Idee habe ich regelmäßig Reddit, Twitter und Twitch nach neuen Informationen zum aktuellen Entwicklungsstand abgesucht. SOE hat den Ruf, sehr offen mit der Community über alle Schritte der Kreation zu sprechen – wie ich später noch schreiben werde, haben sie manchmal sogar zu offene Worte. So hat man als allererste Ankündigung vermerkt, dass H1Z1 ein kleines Nischenprodukt sein soll, welches auf Basis einer hauseigenen Engine erschaffen wird. Keinerlei Worte wurden darüber verloren, mit H1Z1 den nächsten großen Kracher in der Hinterhand zu haben. Warum ich das erwähne? Liest man sich durch die gängigen Magazine, dann könnte man schnell den Eindruck gewinnen, das Spiel wäre als Meisterwerk gehandelt worden.
Natürlich geht noch einiges schief und der Start war absoluter Bockmist. Doch kann man das einem Early Access, also einer frühen Alpha, überhaupt vorwerfen? Ich möchte mit Sicherheit nicht alles mit dem Begriff Early Access entschuldigen, aber stückweit muss man auch einfach fair und realistisch bleiben. Der Großteil der Fehler, die H1Z1 absolut unspielbar gemacht haben, wurden unter beispiellosem Einsatz des Teams sehr schnell gefixt – und das an einem Wochenende! Zwar ziehen sich über die bisherigen Tage immer wieder auch Probleme mit neuen Updates, die weitere Probleme hervorrufen, doch war bisher kein Bug lange unentdeckt und unbehandelt. Der SOE-Präsident John Smedley und seine komplette Truppe haben zahllose Beiträge auf Reddit verfasst und sich die Finger via Twitter wundgetweetet. Sieht so eine Entwicklung aus, die mit einer verfrühten Version eine schnelle Mark machen und dann das Spiel Spiel sein lassen will? Ich glaube nicht. Ich glaube auch nicht, dass SOE nur die klischeehaften paar Wochen aktiv an H1z1 arbeiten will. Die werden konstant mit all ihren zur Verfügung stehenden Mitteln schuften, bis der Großteil der Community glücklich ist. Wenn ich dabei an den omnipräsenten Vergleich zu DayZ denke, frage ich mich, wo der "Genreprimus" nach all der ewig langen Entwicklungszeit erst angelangt ist – aber über Fehler eines Spiels meckern, welches wenige Tage alt ist.
Eine berechtigte Frage wird sich häufig gestellt: Sony Online Entertainment – das ist doch ein riesiges Entwicklerstudio. Warum brauchen die einen Early Access, der normalerweise kleinen Studios dazu dient, ohne größere finanzielle Mittel eine Idee zu verwirklichen? Auf den ersten Blick habe ich mich das auch gefragt. Auf den zweiten Blick muss man da wohl seine Erwartungen zurückschrauben. SOE hat viele große Titel hervorgebracht, in letzter Zeit waren erfolgreiche Spiele allerdings eher rar gesät. PlanetSide 2 funktioniert gut, wirft aber erst seit wenigen Monaten Geld ab. Ich würde mir niemals zutrauen, irgendwelche Prognosen zur finanziellen Lage von Sony Online Entertainment aufzustellen, doch glaube ich, dass es durchaus legitim ist, wenn SOE hier um Unterstützung aus der Community bittet. Fakt ist schließlich: Niemand muss sich gezwungen fühlen, 20 oder 40 Euro in den Titel zu investieren. Eine ebenfalls sehr frühe Aussage der Entwickler? "Überlegt euch gut, ob ihr zum Early Access greifen wollt. Was ihr erwarten dürft, ist ein kleiner Ausschnitt der kommenden Features – das Spiel braucht noch eine lange Entwicklungszeit und wird während der frühen Anfangsphase noch zahlreiche Updates brauchen."
Abenteuer, Atmosphäre, Angst
Mit der Zeit legten sich die anfänglichen Serverprobleme und man konnte vernünftig in das Spiel starten. Okay, hier bin ich also. Mitten in einer Apokalypse, nur mit der üblichen Ausrüstung à la Taschenlampe und Klamotten am Leibe. Was macht man da denn so? Da die Frage mit "überleben" wohl zu einfach beantwortet werden würde, erzähle ich einfach mal davon, was mir in letzter Zeit so alles widerfahren ist.
Nachdem ich ein wenig planlos durch die Gegend streifte und schnell mal von einem Wolf, einem Zombie oder wahlweise einem anderen Spieler getötet wurde, kam ich immer besser in H1Z1 hinein. Ich habe gelernt, möglichst jeden Beerenstrauch gegen den doch stark vorkommenden Hunger und Durst zu plündern, sollte mich unausgerüstet den Städten fernhalten, sollte nachts nicht immer mit der Taschenlampe herumrennen, da ich sonst Zombies anlocke und vor allem sollte man bereit sein, die Funktion des Voice Chats zu nutzen. Was ist das für ein Spaß, wenn ich mich rollenspielgerecht mit anderen Apokalypsen-Bewohnern darüber unterhalte, wie man am besten die nächsten Tage überleben kann. Klar, das ist kein Alleinstellungsmerkmal – ganz im Gegenteil. Doch es gehört eben dazu und nur weil alle anderen Spiele des Genres das auch haben, muss es nicht unerwähnt bleiben. Manchmal trifft man auch ganz seltsame Typen, die einem Lieder vorsingen oder so tun, als wären sie Zombies.
Im Gegensatz zu den Kritikern, die darin ihre Atmosphäre gestört sehen, bin ich begeistert von der großen Anzahl an Spielern. Es wäre mir sogar öde, wenn ich die manchmal doch sehr langen Strecken ereignislos überbrücken müsste. So kann an jeder Ecke ein anderer Mensch warten. Dann geht das Spiel von vorne los: Ist er freundlich? Will er reden? Schießt er mir stillschweigend einen Pfeil in den Kopf? Wenn man ein wenig Ausrüstung sammeln konnte, dann auf feindliche Überlebende trifft, sich verstecken muss, dabei Zombies brüllen, der Mond am Himmel steht und man von allen Ecken Schritte hört, dann ist das Nervenkitzel pur. Selten so viel Herzklopfen durch ein Spiel bekommen!
Normalerweise bin ich ein sehr friedfertiger Spieler, der immer nett grüßt und erst angreift, wenn er angegriffen wird. Doch warum nicht einmal den Bösewicht spielen und schauen, was bei rum kommt? Ich habe mir in H1Z1 den Spaß gemacht und mich mit einem Bogen bewaffnet auf Spielerjagd gemacht. Jeden, den ich gesehen habe, wollte ich umbringen. Totales Arschverhalten, aber für eine Runde war das wirklich Action pur. Ich konnte zugegebenermaßen eh nicht viele killen, aber es war eine der vielen Möglichkeiten, sich stundenlang wundervoll unterhalten zu fühlen. Wenn man dann noch Base Building betreibt oder gezielt Ortschaften entdecken will, hat man erst mal ordentlich zu tun. Der Palast ist fertig gebaut und die Map auswendig gelernt? Ab auf die Event-Server, auf denen man zusätzliche Abwechslung geboten bekommt.
Airdrops = Pay-2-Win und SOE = Lügner?
Verfolgt man die Internetplattform Reddit aufmerksam, war dort kein Thema so explosiv, wie die Angelegenheit der Airdrops. Kurz zur Erklärung: Airdrop-Tickets kann man sich für Echtgeld im Ingame-Shop von H1Z1 kaufen. Aktiviert man diesen Gegenstand, fliegt ein Flugzeug gut hörbar über die Map und schmeißt in einem willkürlichen Abstand zum Spieler die Kiste auf den Boden. Der Flug der Kiste wird von einem Fallschirm so stark abgebremst, dass die mit Blinklichtern ausgestattete Riesentruhe gut sichtbar vom Himmel schwebt. Nun beginnt die wilde Jagd: Da erst ab einer Mindestanzahl von Spielern die Airdrops aktiviert werden können, muss man davon ausgehen, dass zahlreiche Leute diesen Abwurf gesehen haben und nun fetten Loot wittern. Durch den von der Absturzstelle ausgehenden grünen Rauch hat man einen guten Orientierungspunkt, wo die Inhalte abzugreifen sind. Ist man dann tatsächlich als erster am Ort, entsteht ein weiteres Problem: Irgendwie haben es Zombies in die Kiste geschafft und laufen nun um die Beute herum. Verdammt! Schnell hinrennen, looten und dann abhauen ist also nicht. Bis man die wilden Bestien getötet oder weggelockt hat, sind allerspätestens andere Spieler angekommen und kämpfen erbittert um die Fracht. Hier von Waffen und Munition gegen Bezahlung zu sprechen, finde ich riskant. Mir selbst ist es einige Male passiert, dass ich für mein Geld nichts Geringeres als den Tod bekommen habe. Ich zahle aber auch nicht für Waffen, für Munition oder für tolle Rucksäcke. Ich zahle für das Erlebnis. Ich habe Lust auf Action und Nervenkitzel. Wenn dann noch ein Stück des Kuchens für mich übrig bleibt – umso besser. Wenn nicht, dann bin ich vermutlich qualvoll aber spaßig gestorben. Das sind mir die 5 US-Dollar wert. Wem das nicht passt, der wird auch ohne Echtgeld an Waffen kommen. Mit fetten Knarren ist seit einem Update eh nahezu Sense: SOE hat auf die harsche Kritik geantwortet und aus allen Airdrop-Kisten die Schusswaffen entfernt. Ausnahme bildet hierbei die seltenste Form der Truhe, die aber nur zu 10% vom Flugzeug geworfen wird.
Apropos Airdrop. War da nicht diese unfassbar dreiste Lüge, die man unter das Volk gemischt hat, damit diese das Spiel kaufen? Der Senior Game Designer Adam Clegg hat in einem Stream kurz vor der Veröffentlichung die Aussage getroffen, dass man mit Echtgeld keine spielentscheidenden Gegenstände kaufen können wird. Die Überraschung der Leute war groß, als dann plötzlich Airdrops Waffen spendierten. Doch haben die Entwickler da bewusst gelogen? Adam Clegg entschuldigte sich unlängst für diese Aussage und gab zu verstehen, dass er niemanden belügen wollte. Er habe den Satz so gemeint, dass man nicht einfach Geld investieren kann und dann sofort eine Waffe im Inventar findet. Glaubt man ihm weiter, dann dachte er in der Situation nicht an die Airdrops, die ja über Umwege Waffen für Geld ermöglichen. Und ich glaube ihm. Wer die Truppe kennt, der kennt auch ihren Enthusiasmus hinter ihren Spielen. Die Jungs sind selbst Zocker und würden nicht bewusst auf Falschaussagen pochen. Man muss dabei bedenken: Während solchen Streams sprechen die Entwickler oft stundenlang und müssen stückweit auch Unterhalter spielen. In der Eile der Sache kann da schon mal eine unglückliche Formulierung rausrutschen. Hätte SOE wirklich die Spieler hinters Licht führen wollen, hätte es nicht schon im August des vergangenen Jahres beispielsweise diesen Artikel auf VG247.com gegeben.
Mein ganz persönliches Fazit
Vielleicht bin ich zu blind, um die Mängel an der Grafik zu sehen. Ich mag die Grafik. Vielleicht habe ich zu wenig DayZ oder andere Survival-MMOs gespielt, um die Atmosphäre und das Gameplay zu kritisieren. Ich mag die Atmosphäre und das Gameplay. Versteht mich nicht falsch, ich will H1Z1 nicht schönreden und bin meilenweit davon entfernt, H1Z1 als perfektes Spiel zu bezeichnen – gerade in letzter Zeit ging doch so manches Update gründlich schief. Mich stört nur, mit welcher brachialen Wucht der Titel nach wenigen Tagen niedergemacht wird. Das hat er nicht verdient. Das hat Sony Online Entertainment nicht verdient. Wer sich wirklich mit dem Spiel auseinandersetzt und hier und da Schwächen verzeihen kann, der wird definitiv seinen Spaß in H1Z1 haben. Für einen Early Access läuft vieles schon sehr sehr rund. Bugs und Glitches mag es geben, ich habe bisher so gut wie keine erlebt und Disconnects waren nur am Anfang ein Problem. Möglicherweise ist H1Z1 auch einfach kein Spiel, welches eine breite Masse anspricht. Gut möglich, dass der Titel als Nischenprodukt sein Dasein fristet und sich im Schatten von DayZ langsam weiterentwickelt. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Im Gegenteil: Wenn die Aufmerksamkeit langsam abflacht, kann SOE unter ruhigen Bedingungen gemeinsam mit einer interessierten Community das Produkt formen, was beide Seiten spielen möchten. Vielleicht trifft man sich dann ja mal in der Apokalypse. Ich werde nicht schießen – es sei denn, ihr greift mich an.