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Hogwarts Legacy, Blizzard & Co.: Kann der Boykott von Videospielen etwas bewirken?

Am 7. Februar erscheint endlich das lang erwartete Hogwarts Legacy. Viele Fans von Harry Potter und der Wizarding World freuen sich darauf, ihre eigene Geschichte als Hexe oder Zauberer zu schreiben.

Doch immer wieder fällt im Zuge der Transfeindlichkeitsdebatte um die Autorin J.K. Rowling auch die Frage, ob es überhaupt moralisch vertretbar ist, das Spiel zu kaufen? Manche fordern als Zeichen des Protests und Ausdruck der Solidarität den Boykott des Titels.

Die Gaming-Geschichte ist geprägt von Boykottaufrufen. Wir werfen einen Blick auf einige Fälle der jüngsten Vergangenheit und versuchen nachzuvollziehen, inwiefern der Boykott von Videospielen etwas bewirken kann.

Boykott als Kampfansage – Ein Blick auf vier Boykott-Debatten um Computerspiele

Unter einem Aufruf zum Boykott beziehungsweise jemanden oder etwas zu boykottieren, versteht man im alltagssprachlichen Gebrauch eine Möglichkeit, durch den bewussten Verzicht auf den Kauf von Produkten, den Besuch von Veranstaltungen oder Ähnliches, Druck aufzubauen, um dadurch eine Änderung zu erzwingen.

Ein prominentes Beispiel ist der Aufruf zum Boykott gegen die kürzlich stattfindende Fußball-WM in Katar. Hier wurde an Spieler appelliert, nicht zur WM anzureisen, während Fans aufgefordert wurden, als Zeichen gegen die menschenfeindliche Politik Katars die Übertragungen nicht anzuschauen.

Im Falle von Games geht es in der Regel darum, Konsumentinnen und Konsumenten zu ermutigen, ein bestimmtes Spiel oder mehrere Spiele eines Entwicklerstudios etc. nicht zu kaufen, um damit Druck auf die Konzerne dahinter auszuüben.

Obwohl eine Analyse der Games-Boykotte sicher von einem Vergleich mit dem Boykott anderer Konsumgüter oder Events profitieren würde, wollen wir uns in diesem Artikel jedoch nur auf den Computerspielkosmos konzentrieren, um den Rahmen nicht zu sprengen.

Der Fall Activision Blizzard

Diablo Immortal erscheint jetzt doch auch für den PC.
©Blizzard

Im Zuge der Missbrauchsaffaire um Activision Blizzard forderten Spielerinnen und Spieler zu einem Boykott aller Titel auf, die unter dem Publisher und Entwicklerstudio laufen. Die negative Publicity und fehlende Einnahmen sollten Activision Blizzard dazu bewegen, die Arbeitsverhältnisse zu verbessern und den Schutz der Mitarbeitenden zu garantieren.

Schließlich reagierte das Unternehmen mit einer grundlegenden Umstrukturierung und besetzte wichtige Positionen neu. Auch im Falle des wegen chinakritischer Äußerungen gesperrten E-Sportlers Blitzchung konnte das Engagement der Community eine Wirkung erzielen, indem die Laufzeit der Sperre reduziert und das zuvor verwehrte Preisgeld ausgezahlt wurde.

Der Haken an der Sache: Beim Versuch einer Personengruppe oder Einzelperson durch Spielboykott beizustehen, könnte anderen – teilweise den Betroffenen selbst – mehr geschadet als geholfen werden. Den Umsatzverlust müsse letztendlich das Team durch Lohnkürzungen und Entlassungen tragen, so die Sorge vieler Beschäftigten.

Die Kolleginnen und Kollegen von GamePro empfehlen, zu prüfen, ob die Betroffenen eigene Initiativen anführen, denen man sich anschließen kann. Als selbstgewähltes Zeichen des Protests agierten die Mitarbeitenden von Activision Blizzard unter dem Hashtag #ActiBlizWalkout.

Der Fall Nintendo (Pokémon)

Pokémon Karmesin Purpur
© The Pokémon Company

Verfolgt man die Berichterstattung zum Release von Pokémon Karmesin und Purpur, lässt sich durch diverse Reviews und Kommentarsektionen schnell ablesen, dass sich die Fanbase in zwei Lager spaltet: Es gibt jene, die die neuesten Ableger der Taschenmonster-Reihe genießen und teilweise sehr vehement gegen Kritik verteidigen, und die, die wegen mangelnder Qualität der Spiele bitter enttäuscht, wenn nicht gar erbost, sind. Die Kritik könnt ihr beispielsweise hier näher nachlesen.

Einige der erzürnten Fans gehen so weit, dass sie zu einem Boykott gegen Nintendo – im Speziellen gegen die neuen „Pokémon“-Spiele – aufrufen. Solange die Endkonsumenten bereitwillig den Vollpreis für lieblos entwickelte Computerspiele zahlen, gibt es für die Produktionsfirma dahinter keinerlei Anreiz, etwas zu verbessern, so der Gedanke.

Und das stimmt womöglich auch. Doch der Aktivismus nimmt toxische Ausmaße an, wenn ein Mitglied der Community einem anderen den Vorwurf macht, er oder sie sei ein schlechter(er) oder schwacher Mensch, sollte dem Boykottaufruf nicht Folge geleistet werden.

Dieser Vorwurf fällt natürlich nicht nur in der „Pokémon“-Debatte. Da es hierbei jedoch um die Verbesserung einer Spielerfahrung geht und weniger um schwerwiegende Themen wie Diskriminierung und Ähnlichem, scheint er besonders überzogen und unangebracht.

Es ist richtig und wichtig, Kritik zu üben, jedoch sollte niemandem dafür verurteilt werden, trotzdem Spaß an einem Produkt zu haben, auch wenn es durchaus verbesserungswürdig ist.

So entschied sich beispielsweise Gaming-Influencer Tim-Jannes Liese aka gutelaunetyp Anfang 2021 gegen einen Boykott von Pokémon Legenden: Arceus, obwohl Stimmen aus der Community ihn immer wieder dazu aufgefordert hatten, dem Spiel keine Plattform zu bieten. Nichtsdestotrotz wolle er ehrliche Kritik da äußern, wo sie berechtigt ist, ohne von der Gegenfraktion derer, die das Spiel verteidigten, direkt als Hater abgestempelt zu werden.

Der Fall Bayonetta 3

Bayonetta 3
© Platinum Games

Die Synchronsprecherin Hellena Taylor, die der exzentrischen Hexe Bayonetta in den ersten beiden Spielen ihre Stimme lieh, verweigerte ihre Mitarbeit an Teil 3, da sie die ihr dafür angebotene Summe für zu niedrig hielt. Sie rief zum Boykott des Computerspiels aus dem Hause Platinum Games auf und lenkte die Aufmerksamkeit auf ein lange bekanntes, aber immer noch akutes Problem: Die teilweise sehr schlechte Bezahlung von Synchronsprecherinnen und -sprechern.

Doch leider wurde diese wichtige Thematik in den Schatten gestellt, als sich offenbarte, dass Taylors Anschuldigungen nicht ganz der Wahrheit entsprachen. Durch ihre Falschaussage schadete ihr Aufruf zum Boykott am Ende der Bewegung, mutmaßt PCGames-Autor Daniel Link: Ehrlichen Betroffenen könnte nun deutlich weniger Glaube geschenkt werden.

Der Fall Hogwarts Legacy

Hogwarts Legacy Twitter Titelbild WB Games Avalanche
© Warner Bros./Avalanche Studios

Die Kontroverse um das anstehende Hogwarts Legacy unterscheidet sich ein wenig von den vorigen Beispielen, da es hier um die Ächtung einer Einzelperson geht, statt des dahinter stehenden Studios oder Publishers.

Stimmen aus der Transgender-Community sowie deren Unterstützerinnen und Unterstützer sprechen sich für einen Boykott von allen Produkten aus, an denen J. K. Rowling mitverdient, die in den vergangenen Jahren immer wieder wegen transfeindlicher Äußerungen auffiel. Da die Markenrechte an „Harry Potter“ und der darum gesponnenen Wizarding World bei der Autorin liegen und sie durch Lizenzgebühren an jedem Verkauf mitverdient, betrifft dies sämtliche Produkte des Franchises.

Journalistin Jessie Earl, die selbst Teil der Trans-Community ist, betont, dass es nicht darum gehe, bereits erworbene Produkte zu entsorgen, sondern keine weiteren zu kaufen. Denn mit jedem Kauf würde Rowling mitfinanziert werden und damit – sei es auch nicht intendiert – ihr transfeindlicher Aktivismus. Und eben weil es eine finanzielle Korrelation zwischen Künstlerin und Kunst gibt, könne man hier nicht Werk und Autorin voneinander trennen.

Bei der Vorstellung, auf das lang erwartete „Hogwarts Legacy“ verzichten zu sollen, blutet so manchem Fan das Herz und viele fragen sich: Macht es mich zu einem schlechten Menschen, wenn ich mir das Spiel kaufe, obwohl ich von der Problematik um die Schöpferin des Franchises weiß und ihre Ansichten nicht teile?

Auch bei diesem Fallbeispiel wird von einigen argumentiert, dass das Team, das an dem Spiel gearbeitet hat, deutlich mehr unter einem Boykott zu leiden hätte, als Rowling selbst.

Was die ganze Angelegenheit besonders schwierig macht: Üblicherweise handelt es sich bei einem Boykottaufruf gegen ein oder mehrere Computerspiele um einen zeitlich begrenzten Boykott nach dem Motto: Wir kaufen so lange nichts mehr, bis sich die Situation bessert.

Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass Rowling jemals die Markenrechte am „Harry Potter“-Universum aufgibt oder nochmal mit der Transgender-Community ins Reine kommt (auch wenn letzteres sehr wünschenswert wäre). Die Konsequenz wäre demnach, nie wieder ein (neues) Produkt der Wizarding World erwerben zu können.

Wie also damit umgehen?

Was können wir aus den Debatten um den Boykott von Games lernen?

Mediale Aufmerksamkeit ist wichtig. Boykottaufrufe benennen und den Fokus auf Missstände lenken. Auch wenn es unter den Initiatorinnen und Initiatoren von Boykotten schwarze Schafe gibt, die aufgrund von egoistischem Handeln eine ganze Personengruppe in Verruf bringen, dürfen wir dadurch das eigentliche Problem nicht aus den Augen verlieren. Dafür muss informiert und kritisiert werden.

Womöglich ist es der mediale Backlash, der zu einem Umdenken und einer Veränderung führt, und weniger der eigentliche Umsatzverlust durch eine meist doch zu geringe Gruppe von Partizipierenden.

Manchmal ist für Betroffene der Missstände ein Boykott auch nicht der richtige Weg. Sie suchen aufgrund von finanzieller Abhängigkeit oder tiefer Passion zum eigentlichen Produkt nach einer Möglichkeit, die ihnen angehörige Branche oder das Unternehmen zu ihren Bedingungen von innen zu verändern. Deshalb sollten wir hinhören, welche Lösungsansätze der Kreis der Betroffenen vorschlägt.

Niemand sollte eine andere Person dafür anprangern, dass sie einen Boykott nicht unterstützt. Die Gründe dafür können mannigfaltig sein. Umgekehrt sollte man niemanden angreifen, wenn er oder sie sich persönlich dafür ausspricht, ein Produkt nicht mehr zu kaufen. Das ist die Entscheidung, die diese Person für sich getroffen hat. Wer jedoch mit dem Mittel des Boykotts hadert, hat das Recht, einen anderen Lösungsweg zu wählen.

Am wichtigsten ist die Reflexion des eigenen Konsumverhaltens und das Bewusstsein für dessen Konsequenzen. Vielleicht resultieren daraus weitere Optionen, um ein Vorhaben zu unterstützen, wie beispielsweise durch Spenden oder ehrenamtliche Arbeit.

Wer den Neukauf von „Hogwarts Legacy“ (oder einem anderen Game) nicht mit dem eigenen Gewissen vereinbaren kann, könnte abwägen, ob zum Beispiel der Griff zum Second-Hand-Markt eine Alternative wäre, um trotzdem in den Genuss des Titels zu kommen.

Verzicht fällt uns unterschiedlich schwer. Der eine hat kein Problem damit, ein bestimmtes Spiel oder Franchise zu boykottieren, für die andere stellt es eine gewaltige Herausforderung dar. Trotzdem macht es sie nicht automatisch zu einem schlechteren oder ihn zu einem besseren Menschen.

Es gibt so viele Möglichkeiten Gutes zu tun. Wir sollten uns mehr auf diese Möglichkeiten konzentrieren und sie unterstützen – und das kann auch die Entscheidung zum Boykott sein – muss es aber nicht. Vielleicht liegt dein Beitrag zu etwas Gutem in einer anderen Sache und das ist genauso wunderbar.

Angelina Ekkert

Spieleforscherin, die regelmäßig in die Schuhe von stummen Heldinnen und Helden schlüpft, um die Welt zu retten. Das ist selbstverständlich Feldforschung für den angestrebten Doktor in Videogames. Immer auf der Suche nach Indieperlen, dem One Piece oder wertvollen Schriftstücken in Form von Visual Novels.
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