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Horizon Forbidden West: Aloy wird zum Mobbing-Opfer und darüber müssen wir sprechen

Horizon Forbidden West wird uns Aloy als Protagonistin wieder zurückbringen und die Geschichte von Horizon Zero Dawn endlich fortsetzen. Eigentlich ein Grund zur Freude, die Nora-Kriegerin zu einem neuen Abenteuer begrüßen zu können. Die Reaktionen zum jüngst veröffentlichten Gameplay scheinen sich allerdings zu großen Teilen um ein Thema zu drehen: Aloys Aussehen.

Entgegen der allgemeinen Annahme, dass es sich hierbei um einige wenige, sehr laute Stimmen handelte, sind mir die beleidigenden und anmaßenden Kommentare zu Aloys Aussehen in erschreckender Regelmäßigkeit unter die Augen gekommen, in überaus extremer, aber auch in abgeschwächter, jedoch nicht weniger verletzender Form.

Meine Feeds waren voll von Oberflächlichkeiten, ebenso wie die Kommentare unter geteilten Beiträgen auf unseren Social-Media-Plattformen. Ich möchte einige dieser Aussagen aufgreifen und erklären, weshalb es wichtig ist, dass wir über dieses Phänomen sprechen und sich zu positionieren nicht bedeuten muss, den hypothetischen Troll zu füttern.

Aloy sei zu alt, zu fett und zu männlich

Doch was ist überhaupt passiert? Nach der Gameplay-Präsentation von „Horizon Forbidden West“ trat allgemeine Verwunderung über Aloys Erscheinung auf. Einige meinten, dass das Design der Maschinenjägerin nicht mehr ins Design von „Horizon Forbidden West“ passen würde, ein großer Teil nahm dagegen das Äußere der Protagonistin als verändert wahr, verglich Aloys Gesicht mit dem aus Horizon Zero Dawn und zog teils vernichtende Schlüsse.

Horizon Forbidden West Zero Dawn Vergleich
Aloy in Horizon Zero Dawn (links) und Aloy in Horizon Forbidden West (recht) © SIE/PlayCentral-Bildmontage

Aus der faszinierenden Protagonistin mit dem roten geflochtenen Haar, die sich mit ihrer einzigartigen Erscheinung durch eine postapokalyptische Welt kämpft, um die Menschheit ein weiteres Mal vor dem Untergang zu bewahren, wurde eine „hässliche“, „fette“, „aufgedunsene“, „alte“ und viel zu „maskuline“ Figur. Das Recht als weiblich gelesen zu werden, hat man ihr kurzerhand abgesprochen; immerhin trägt sie kein Make-up, hat kein Dr. Best-Lächeln und zeigt viel zu wenig Dekolleté. Und was ist eigentlich mit ihrem Gesicht passiert? Zu viel gesoffen oder was?

Ihr möchtet nicht glauben, dass Menschen sich so über eine fiktive Videospielfigur echauffieren? Dann lest doch den Auszug einiger Kommentare, die sich unter nur zwei Beiträgen von beinahe ausschließlich männlichen Verfassern finden lassen:

Jaja,der scheiß Alkohol

Wie dünn sie da noch war 🤣

Sollten lieber mal Aloys Gesicht überarbeiten 🤣 die ist seit Teil 1 hässlicher geworden.

nun es gab wohl reichlich Nahrung zwischen Teil 1 und 2

Nö. In Teil 1 ist sie halt relativ hübsch, und in Teil zwei mega schraddelig und aufgedunsen 🤷🏻‍♂️

Sie wurde leider eindeutig fetter.

Fand die erste hübscher. Die neue sieht etwas mobelig aus

Ich könnte diese Liste noch lange fortsetzen. Es sind nicht nur ein paar wenige, die aus Spaß pöbeln, hier sind ernst gemeinte Kommentare dabei, die Weltanschauung, Schönheitsideal und Meinung von tatsächlich existierenden Menschen widerspiegeln. Wer hier glaubt, dass nur getrollt wird, weicht gefährlich weit von der Realität ab.

Barbie-Aloy als realistischeres Bild der „Durchschnittfrau“

Dem Ganzen die Krone aufgesetzt hat wohl der häufig rezitierte Twitter-Nutzer ApexAlphaJ. Mit seinem Post zu diesem Thema hat er die Welle der Empörung noch höher schwappen lassen und zahlreiche Menschen dazu angeregt für Aloy, für Frauen und die Entwickler einzustehen.

Doch womit? Er bezeichnete Aloy als „nicht kurvig genug“, meint, sie hätte zu wenige „weibliche Attribute“ und bezeichnet sie als „zu maskulin“, um einer „Durchschnittsfrau“ entsprechen zu können.

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The Last of Us an. Dabei stehen gerade Ellie und Aloy als Inbegriffe eines Wandels in der Gaming-Branche, der seit der Zeit einer vollbusigen, hypersexualisierten Lara Croft allmählich gedeiht. ApexAlphaJ‘ Worten scheint man jedoch entnehmen zu können, dass ihm gerade diese Frauenfiguren missfallen, sobald sie nicht seiner persönlichen Vorstellung von einer weiblichen Hauptfigur in einem Videospiel entsprechen. Warum wird hier aber eine gewissen Allgemeingültigkeit proklamiert?

Frauen in Videospielen

Dafür ein kleiner Ausflug in die Sexismus-Kritik von Games: Lara Croft ist das Paradebeispiel, wenn es um Frauen in Videospielen geht. In den frühen Teilen als Pixel noch die Größe einer Zitrone hatten und hauptsächlich Männer für die Spieleentwicklung verantwortlich waren, wurde Lara als sexualisierte Archäologin mit schmaler Taille, übergroßer Oberweite und knapper Bekleidung in die Welt des Gamings eingeführt. Als idealisiertes Fantasieobjekt. In den Filmen mit Angelina Jolie wurde dieses Bild der Hypersexualisierung weiter bestätigt, gefestigt und in allerlei anderen Medien über Jahrzehnte hinweg reproduziert und nach dem Sex Sells-Motto beworben.

Gleichzeitig wurde sexualisierte Gewalt in Spielen wie GTA normalisiert, indem die männlichen Protagonisten die Dienste einer Sexarbeiterin beanspruchen und sich ihr Geld nach erledigter Arbeit durch das Töten der Betroffenen wieder zurückholen konnten. Der narrative Sinn? Es gibt keinen. Es dient lediglich als ein Gameplay-Element mit Machtfaktor, ohne jeglichen Zweck, der zum Spielfortschritt beiträgt.

Seither hat sich jedoch schon einiges getan und Spiele wie Horizon Zero Dawn mit Aloy als erfrischend neu entworfene Protagonistin oder gar The Last of Us 2 mit zwei weiblichen Hauptfiguren sind das perfekte Beispiel dafür. Ebenso wie das Re-Design der Lara Croft in den neuesten „Tomb Raider“-Games oder die Möglichkeit zwischen einem weiblichen oder männlichen Charakter mit gleichwertiger Backstory zu wählen wie in Assassin’s Creed Valhalla.

Die neue Lara Croft. © Square Enix/Eidos Montreal

Allerdings sind all das noch die selteneren Ausnahmen, die die Regel bestätigen und zwischen nach wie vor bestehenden Normativen, etablierten Sichtweisen und männerdominierten Strukturen existieren, die sich tief in die Gaming-Branche und ihre Beteiligten gefressen haben – zu denen auch die Spieler*innen zählen.

Männer in Videospielen

Werfen wir einen Blick auf das männliche Geschlecht in Videospielen, wird deutlich, dass auch hier eine gewisse einseitige Präsentation erfolgt. Vor Kraft strotzende Muskeln, sexuelle Überflieger und bestenfalls angst- und emotionsbefreite Wesen. Auch das Männerbild in Games basiert auf Klischees wie diesen und damit auf einem nicht weniger unrealistischen, toxischen Bild von Männlichkeit wie das einer knapp bekleideten Lara Croft.

Der Unterschied ist die Kombination aus Ästhetik und Narration. Männern wird in dieser Darstellung häufig eine gewisse Macht verliehen und als tragweitenstarke und vorteilhafte Figur ins Zentrum der Story gerückt, während Frauen diese Macht oftmals entzogen wird, indem sie objektifiziert und zu Randfiguren degradiert werden, ohne besondere Entscheidungsgewalt. Diese Frauenfiguren sind also nicht immer nur leicht bekleidet und entsprechen einer „idealtypischen Männerfantasie“, sondern sind gleichzeitig schwache Entführungsopfer wie Prinzessin Peach oder stumpfe PR-Mittel wie die Frauencharaktere auf Battlefield-Plakaten.

Zwischen Gender-Problematik und Ästhetik

Kommen wir also zurück zu ApexAlphaJ. Was ist diese Weiblichkeit also, von der er da spricht? Sein Bild von Weiblichkeit griff er hierbei mit einem Bild auf, das ein Reddit-User eigentlich als überspitzte Gegenreaktion auf den Hate erstellt hat und eine stark geschminkte, durch Morphing-Tools verzerrte Aloy zeigt, die nur noch wenig mit dem Original zu tun hat. Statt diese Version als Satire wahrzunehmen, motivierte die künstlich feminisierte Aloy ApexAlphaJ nur zu der Äußerung, dass besser „Fans angestellt“ werden sollten, um sich um das Charakterdesign zu kümmern.

Horizon Forbidden West Aloy geschminkt
Aloys Gesicht im Instagram-Filter: So wünschen sich manche die neue Aloy. © PlayCentral.de

Doch wer darf und kann beurteilen, wie eine durchschnittliche Frau aussieht, die in einer postapokalypischen Welt voller Maschinenwesen lebt? Wer darf ein überholtes Schönheitsideal sogar von einer fiktiven Figur verlangen und regelrecht einfordern, dass sie schön auszusehen hat? Hat Aloy Zeit für den Lidstrich nach der Jagd, das Auftragen der Sonnencreme, bevor sie ihr Lager verlässt? Und wann genau soll der Lipgloss aufgefrischt werden?

Wenn wir von Realismus sprechen, kann kaum von einem allgemeingültigen Realismus die Rede sein, sondern vielmehr von einer individuellen Wirklichkeit, persönlichen Wünschen und – im Falle von Aloy – einem über lange Zeit reproduzierten Frauenbild. Und selbst wenn ich den Fakt der Ästhetik hierbei berücksichtige, die jeder Mensch auf eine andere Weise wahrnimmt und anstrebt: Berechtigt mich mein persönliches Verständnis von Schönheit dazu, alles und jeden zu kommentieren, zu bewerten, ohne meine Wortwahl oder bestehende, festgefahrene Normen zu hinterfragen?

Warum zeigen sich insbesondere Männer empört? Games wurden in den ersten Jahrzehnten beinahe ausnahmslos von Männern entwickelt. Erst spät kamen zunehmend Frauen hinzu, die sich an der Entwicklung beteiligten und mehr und mehr für real existierende weibliche Körper einstanden. Bis dahin konnten Männer jedoch ein idealisiertes Bild von Frauen zeichnen, das sich bis heute hält. Journalistin und Podcasterin Lara Keilbart, die sich schon länger mit Sexismus im Gaming beschäftigt, formulierte hierzu sehr treffend:

„Deswegen ist auch so etwas wie „GamerGate“ entstanden, weil sie eben jahrelang Spiele konsumiert haben, die Frauen für sie als Objekt da waren. Und deswegen hat sich da auch so eine Einstellung weitergetragen.“

Quelle: DLF

Man nehme The Last of Us 2 und Attack on Titan

Es ist also kaum überraschend, dass solche Reaktionen immer wieder erfolgen und in Zukunft vorest auch weiter folgen werden. In der näheren Vergangenheit wurde so zuletzt die ebenfalls von vielen als zu männlich“ wahrgenommene Erscheinung von Protagonistin Abby in „The Last of Us 2“ kritisiert. LGBTQIA-Elemente und ein Story-Twist mündeten schließlich sogar in Todesdrohungen an den Creative Director und die einzelnen Schauspieler*innen.

The Last of Us 2 Abby
Abby in ©„The Last of Us 2“ Naughty Dog/SIE

Noch aktueller ist der Shitstorm, der sich um das veränderte Aussehen von Charakter Mikasa aus Attack on Titan“ drehte. Der Aufschrei beinhaltete dieselben Empörungen wie die, die wir von Abby und Aloy kennen. Mikasa sei mit Staffel 4 des Anime nicht mehr weiblich genug“, zu muskulös“, würde wie ein Junge aussehen“ und sei deshalb zu hässlich“.

Dass Menschen gerade im Internet via Foren und Social Media-Plattformen Meinungen, Weltanschauungen und Beleidigungen wie diese im Schutze der Anonymität frei herausposaunen, ist bekannt und ein Problem, dass wohl so lange bestehen wird, wie Twitter, Facebook und Co. existieren. Allerdings sollte uns dieser Zustand nicht daran hindern, darauf zu reagieren und vielmehr noch dazu motivieren, derartigen Äußerungen auf den Grund zu gehen, sich auszutauschen, um Ansätze zu finden, die die bestehenden Probleme langfristig lösen könnten.

Die schwierige Frage der Repräsentation

Und ich gebe zu: Aloy hat sich verändert. Sei es durch die verbesserte Technik oder einer kreativen Entscheidung der Entwickler*innen. Aber Nathan Drake sieht in Uncharted 4 auch nicht mehr aus wie in den ersten Teilen. Wurde seine Veränderung zum Thema gemacht? Die älter wirkende Erscheinung? Nein. Warum? Weil es bei männlich gelesenen Personen kaum auf Interesse stößt, während sich weiblich gelesene Frauen beinahe jedes Mal dafür rechtfertigen müssen, wenn sie nicht (mehr) dem gewohnten und allseits erwünschten „Eyecandy“ entsprechen.

Uncharted Nathan Drake Vergleich
Nathan Drake in „Uncharted 4“ (links) und in „Uncharted 1“ (© Naughty Dog/SIE

Fraglich ist hierbei jedoch auch, wie es zum neu gedachten Aussehen einer Frau kommt, insbesondere, wenn Kritiker plötzlich von einer „zu maskulinen“ Erscheinung sprechen. Frauen sollen in der Rolle einer entscheidungsgewaltigen, kämpfenden und schlagfertigen Protagonistin entsprechend „stark“ wirken. Damit scheinen sie jedoch Verhaltensweisen und Eigenschaften aufzuweisen, die seit jeher als „männlich“ gelesen werden.

Eine „starke Frau“ (auch in einem Videospiel) wird also durch gemeinhin traditionelles männliches Verhalten und Aussehen definiert. Ein ausgeprägtes Kinn ist deshalb maskulin. Das Fehlen von Make-up ist ebenfalls Männern zuzuschreiben und der Kampfgeist einer Soldatin fundiert ebenfalls auf den Pfeilern der Männlichkeit. Eine Frau ohne Lippenstift, mit kantigeren Gesichtszügen und einem selbstbewussten, furchtlosen Auftreten wird also eher als männlich gelesen, anstatt für sich selbst stehen zu können und keiner Kategorie zugeschoben zu werden.

Kurzum: es ist kompliziert und ein wenig paradox. Frauen zu repräsentieren, ohne sie einem bestehenden, als männlich gelesenen Typus zuzuordnen und gleichzeitig den Eindruck verleihen zu können, stark und resolut zu sein, scheint sich bislang auszuschließen. Allerdings nur, wenn die Repräsentation so bleibt, wie sie ist. Vielfalt ist das Zauberwort, denn um so mehr Figuren verschiedene Eigenschaften und Erscheinungen haben, desto mehr sehen sich repräsentiert und entfernen sich von dem einen Bild, dem eine Frau, ein Mann oder ein diverses Geschlecht entsprechen muss. Auch hierzu trifft Lara Keilbart eine treffende Aussage:

Wenn Frauen sich eben immer in einer gewissen Rolle oder in einer gewissen stereotypen Darstellung sehen, dann hat das eine gewisse Normierungsfunktion, so dass die auch denken: Okay, so müssen Frauen wohl handeln, agieren, aussehen. Und das ist natürlich schon ziemlich schädlich. Deswegen sind andere Bilder auch total wichtig.

Quelle: DLF

Die Suche nach der Ursache, nicht den Schuldigen

Ich möchte also niemanden verteufeln oder mich auf Verallgemeinerung ausruhen. Auf keinen Fall. Ich möchte Tweet-Verfassern wie ApexAlphaJ auch keine Plattform geben, um sich in Aufmerksamkeit zu suhlen. Mit meinen Worten möchte ich gleichzeitig nicht verletzen oder an den Pranger stellen, sondern aufzeigen, dass nach wie vor Handlungsbedarf bei der Entsexualisierung von Frauen, aber auch genereller Gleichberechtigung innerhalb der Gaming-Branche besteht.

Deshalb kritisiere ich sowohl die Kritiker als auch den Umgang mit den Kritikern, ohne Hater in Schutz nehmen zu wollen. Gleichzeitig möchte ich nicht unter den Tisch kehren, dass viele die Gaming-Community zurecht als immer bunter und fortschrittlicher wahrnehmen. Nicht immer treffen Aussagen dabei einen sachlichen Ton, lassen allerdings zunehmend neue Denkansätze zu, treten für Veränderung ein und stellen sich so der Negativität entgegen:

Wer sagt sie sieht nicht feminin genug aus hat einen an der Waffel. Meiner Meinung nach. Sie sieht verdammt realistisch aus und das allein ist beeindruckend aber zu sagen, ein Charakter soll ‚femininer‘ aussehen, ist nichts anderes als sexistisch.

Ich bin doch nicht der einzige, der Aloy immer noch hübsch findet oder? Es ist doch langweilig perfekt zu sein, gerade das Unperfekte macht jemanden doch erst wirklich aus. Schade, dass in unserer heutigen Gesellschaft der Großteil anscheinend aber nur noch auf das perfekte Aussehen Wert legt, weniger auf die anderen Werte. Es kommt nicht immer nur auf ein schönes Gesicht, Po und Brüste an.

Dafür müssen jedoch auch die Entwicklerstudios weiter mutig nachziehen und von Haus aus für Diversität und den Aufbruch bestehender Strukturen sorgen. Danach sollte der Diskurs erfolgen dürfen, der den Umgang mit neu gedachten Weltbildern, Schönheitsidealen und Denkweisen diskutiert, um auch zunehmend Aussagen hinterfragen zu können, die im Grundton positiv wirken, beim genauem Hinsehen jedoch nicht weniger anmaßend sind:

Aber ich finde am Verlauf am Hals, wirkt sie auch etwas massiver. Zugenommen? Mögliches Horizon Baby in Anmarsch? Stört mich aber beides nicht. Es ist ein Spiel, wie jedes andere und nicht Nerd Tinder. Dann wird sie halt älter und legt etwas an Gewicht zu 😉

Das wird man wohl auch noch sagen dürfen, sollte eben nur solange gelten, wie man nicht vorsätzlich verletzt oder damit provoziert, negative Gefühle wie Angst und Selbstzweifel in anderen Menschen auslöst. Oder das Gefühl vermittelt, nicht dazuzugehören und nicht richtig zu sein. Und ja: Das gilt auch für eine Videospielfigur, denn bei ihrer Bewertung kommen Denkmuster zum Einsatz, die nicht allein beim Gaming angewendet werden, sondern das alltägliche Urteilen und Handeln der Menschen begleitet.

Hinzu kommt, dass Aloy von einem realen Menschen verkörpert wird: Hannah Hoekstra. Eine echte, wahre Schauspielerin aus Fleisch und Blut, die mit den beleidigenden Äußerungen unbewusst mit adressiert wird. Ist die Hemmschwelle also lediglich geringer, weil Aloy das vermeintlich unbelebte Produkt eines Motion-Capture-Verfahrens ist und als Protagonistin eines Games wie „Horizon Forbidden West“ nur so viel Rechte besitzt, wie ihnen ihr Wert als lebloses weiblich gelesenes Objekt vom Einzelnen zugestanden wird?

Aloy Darstellerin
Hannah Hoekstra in „Arthur & Claire“ © Universum Film

Warum ich aus der Mücke einen Elefanten mache

Das schlimmste an der Aloy-Debatte ist für mich die Wertung im Allgemeinen. Das Bedürfnis der Menschen ständig bewerten zu müssen, egal ob über Aussehen oder Leistung ist meiner Meinung nach einer der trügerischsten und schädlichsten menschlichen Eigenschaften. Sie lässt häufig vergessen, dass hinter einem gigantischen Berg erledigter Arbeit oder einem augenfälligen Merkmal immer noch Wesen mit eigener Biografie und Gefühlen stecken. Ein respektloser, kopfloser und unreflektierter Kommentar ist oft die Folge und etwas, von dem ich weiß, dass es diese Kolumne nicht ändern kann.

Und auch wenn ich weiß, dass es sich bei Aloy um eine Videospielfigur handelt, konnte ich dieses Thema nicht einfach so stehen lassen, denn hier geht es nicht nur um ein paar aberwitzige Trolle, sondern um das Symptom eines toxischen Weltbildes, das nach wie vor existiert, verletzt und ausschließt. Die öffentliche Debatte muss stattfinden, um nicht nur die Videospielindustrie immer wieder neu denken, sondern auch die Spielerinnen und Spieler Fortschritte machen lassen zu können – und zwar gemeinsam. Unser Wort hat Gewicht.

Natürlich könnte man derartige Diskussionen einfach aussitzen, warten bis die Welle der Empörung abgeschwächt ist und die Aloy-Hater verstummen. Doch nur weil sich augenscheinlich mehr verteidigende Stimmen melden, heißt das nicht, dass der Hass nicht trotzdem existiert. Ich halte Ignoranz also für rückschrittlich, denn auch, wenn man den unqualifizierten Kommentaren mit diesem Vorgehen nicht noch mehr Raum einräumen würde, sind stoisches Schweigen, müde Akzeptanz und mangelnder Austausch der Grund, weshalb wir stehen, wo wir stehen. Deshalb sollten wir gerade jetzt in Zeiten des Wandels nicht aufhören miteinander zu sprechen und nach der Ursache zu fragen.

Ich kann natürlich keine endgültig Lösung bieten, aber Schweigen scheint mir nicht der richtige Weg zu sein. Vielleicht sollten wir alle versuchen mehr nachzufragen und zu reflektieren, statt zu verurteilen, mehr respektieren statt blind zurückzuschießen, weniger Meinung und mehr Zuhörer sein. Ich weiß, wie frustrierend es ist, immer wieder auf etwas reduziert zu werden und es tut weh immer noch darüber sprechen zu müssen, obwohl wir denken in einer so progressiven Welt zu leben. Die Realität (eines jeden) sieht leider häufig noch ganz anders aus – und das sollten wir zum Wohle aller ändern.

Cynthia Weißflog

Eigentlich Elbennymphe der Unsterblichen Landen, die sich bei PlayCentral.de als Videospiel- und Buchliebhaberin tarnt. Löffelt beim Artikeltippen exzessiv Nussmus und führt eine Dreiecksbeziehung mit Geralt und Yennefer. Rollenspiel-Enthusiastin, die in CS:GO grundsätzlich keine Hühner tötet.
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