Fan-Herzen schlagen höher, wenn Capcom seine Charaktere wieder gegen die Helden und Schurken von Marvel in Marvel vs. Capcom: Infinite in den virtuellen Ring schickt. Iron Man gegen Spencer aus Bionic Commando, Ghost Rider gegen Dante aus Devil May Cry, Gamora gegen Chun-Li aus Street Fighter und zahlreiche weitere Matchups sind auf PlayStation 4, Xbox One und PC möglich. Wir haben uns das Aufeinandertreffen nicht entgehen lassen, vollends begeistert sind wir aber nicht. Warum das so ist, lest ihr in unserem Test.
Multiversum in Gefahr
In Marvel vs. Capcom: Infinite wird wieder mit Tag Teams zu je zwei Charakteren gekämpft, während zuvor in Marvel vs. Capcom 3 mit Dreierteams gespielt wurde. Im laufenden Duell könnt ihr mit RB/R1 zwischen euren Figuren wechseln, auf der Ersatzbank regenieren die Kämpfer einen Teil ihrer Energie. Mit Combos, Special Moves und effektstarken Hyper Combos wird sich so lange beharkt, bis beide Charaktere eines Spielers besiegt sind. Button-Layout und die Tastenkombinationen für Spezialattacken sind an Street Fighter angelehnt, mit diversen Vereinfachungen für Anfänger. Wiederholtes Drücken von Light Punch führt eine automatische Combo aus und mit Strong Punch + Strong Kick startet ihr eine Hyper Combo. Für den Einstieg ist das eine ganz nette Hilfe, aber mit der Zeit werdet ihr euch mit den individuellen Fähigkeiten des Casts und den jeweiligen Combo-Möglichkeiten vertraut machen müssen. Natürlich lassen sich diese Hilfsfeatures auch in den Controller-Einstellungen deaktivieren.
Herzstück von Marvel vs. Capcom: Infinite, zumindest für Einzelspieler, ist der Story Mode. Bisherige Ableger der Reihe hatten keine zusammenhängende Geschichte, in Infinite werden die Gameplay-Kämpfe anhand zahlreicher Zwischensequenzen miteinander verknüpft. Die Superschurken Sigma und Ultron haben sich zu Ultron Sigma vereint und tun dasselbe mit ihren beiden Welten, sodass ein Amalgam aus den Universen von Marvel und Capcom entsteht. Nur mit den sechs Infinity Stones haben die Helden von beiden Firmen die Möglichkeit, Ultron Sigma aufzuhalten und den Schaden wieder rückgängig zu machen. Es wurde sichtlich viel Arbeit in die Story investiert, aber der erzählerische Mehrwert hält sich in Grenzen. Zu vorhersehbar sind die Plottwists und zu konstruiert wirken die Begründungen, damit sich eigentlich Verbündete in einer Szene plötzlich als Gegner im Kampf gegenüberstehen.
Viele Textzeilen klingen lustlos runtergelesen und sind alles andere als lippensynchron, zudem scheint sich Morrigans Sprecherin nicht sicher zu sein, ob sie mit einem schottischen Akzent sprechen soll oder nicht. Gefühlt mehr als die Hälfte der Kämpfe sind nicht etwa gegen den Rest des Casts, sondern gegen Ultron Sigmas Handlanger in Gestalt von Roboterdrohnen oder infizierter Asgardianer. Noch dazu unterbrechen die zahlreichen Ladepausen den Erzählfluss der ohnehin schon holprig ablaufenden Geschichte. Zwischen den Szenen wird oftmals zwischen Locations und Zeiten gesprungen. Highlight der Story sind die kleinen Fanservice-Momente, zum Beispiel wenn Hulk und Ryu gemeinsam ein Fastball Special ausführen oder wenn Dante und Iron Man sich high-fiven. Nach knapp zweieinhalb Stunden werdet ihr mit einem eher unbefriedigenden Ende in die restlichen Modi des Spiels entlassen.
Da wäre zunächst einmal der Trainingsmodus, der in keinem Prügelspiel fehlen darf und mit allen wichtigen Optionen aufwartet. Unter "Missionen" findet ihr nicht nur Tutorials für komplexe Techniken wie Laufen und Springen, sondern auch charakterspezifische Combos. Leider drohen diese mit kommenden Balance-Patches obsolet zu werden, worauf das Spiel selbst mit einer Textbox hinweist. Zudem gibt es eine Galerie mit Konzeptzeichnungen und Sound Test für Themes und Sprachsamples, freizuschalten gibt es dort nur Grafiken von den Ladescreens aus der Kampagne. Fast schon pflichtbewusst hat Capcom auch einen Arcade-Modus beigefügt, der aber keine speziellen Endings bietet und deswegen eure Zeit nicht wert ist. Im Vergleich zu Marvel vs. Capcom 3 ist der Grafikstil realistischer gehalten, ohne die dicken Konturen und kräftigen Farben, die den Comic-Look des Vorgängers ausgemacht haben. Keine gute Entscheidung, wie sich mit der Zeit zeigt.
Ein Schritt nach vorn, zwei Schritte zurück
Der visuelle Stil des Spiels ist nicht einheitlich, weswegen sich betont stilisierte Charaktere, wie Mega Man X und Arthur, mit den restlichen Teilen des Casts beißen. Hinzu kommen bizarre Körperproportionen und Mimik, die manchmal unfreiwillig komisch anmutet. Über Chun-Lis Gesicht in einer früheren Fassung von MvC: Infinite hat sich das Internet bereits ausgiebig lustig gemacht, sie bleibt aber nicht die einzige Baustelle. Dantes Modell zum Beispiel ist ein bizarrer Mix seines Körpers aus Devil May Cry 3 mit dem Gesicht aus dem DmC-Reboot, was nicht so wirklich passen will. Im laufenden Kampf fällt das wegen des Spieltempos nicht auf, auf den Siegesbildschirmen und den Story-Sequenzen umso mehr, das Uncanny Valley lässt grüßen. Beim Aufeinandertreffen einiger der größten Ikonen aus zwei Bereichen des Entertainments hätten wir etwas mehr Sorgfalt bei der Darstellung erwartet.
Mit gerade einmal 30 spielbaren Charakteren in der Vollversion ist die Auswahl recht knapp bemessen. Beliebte Charaktere wie Deadpool, Magneto, Wesker oder Doctor Doom kehren nicht zurück. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Auswahl von Marvel dem Marvel Cinematic Universe entnommen, konkret bedeutet das: keine Kämpfer, die mit den X-Men oder Fantastic Four in Verbindung stehen. Das Fehlen von Wolverine schmerzt besonders, schließlich war der kurze Kanadier mit der noch kürzeren Zündschnur lange Zeit der Posterboy für Marvels Seite in der MvC-Reihe. Roster-Kuriositäten wie M.O.D.O.K. oder Phoenix Wright wurden entweder auf Cameos in der Story reduziert oder gleich komplett gestrichen, wodurch der Cast einiges an Originalität verliert. Bereits zum Launch ist ein Character Pass mit sechs zusätzlichen Figuren erhältlich, der aber nur mit echtem Geld und nicht wie in Street Fighter V mit einer Ingame-Währung erworben werden kann.
Überhaupt sind Umfang und Präsentation die zwei größten Kritikpunkte an dem Prügelspiel. Für welche der 16 Kampfarenen ihr euch entscheidet, macht im Endeffekt wenig Unterschied, da die meisten von ihnen einen leblosen Eindruck machen. Erneut müssen wir einen Verlgeich mit früheren Titeln der MvC-Reihe bemühen, in denen die Stages in Hintergrund mit Cameos gespickt waren und zum Teil sogar aus mehreren Ebenen bestanden. Neben eurem Team wählt ihr vor Beginn einer Runde auch einen von sechs Infinity Stones aus, zur Auswahl stehen: Power, Time, Space, Reality, Soul, und Mind. Mit LB/L1 konnt ihr einen für den Stein spezifischen Move ausführen, um dem Gegner Lebensenergie zu entziehen oder ein zielsuchendes Projektil zu feuern. Je nach Team bietet sich ein bestimmter Infinity Stone an, um eurer Auswahl eine neue Funktion hinzuzufügen.
Als Comeback-Mechanik dient der Infinity Storm, der sich auslösen lässt, wenn ihr genug Schaden genommen habt und die Leiste eures Steins mindestens halbvoll ist. Dann könnt ihr einen zeitlich begrenzten Buff aktivieren, der den Ausgang der Runde ausmachen kann. Im Multiplayer kann Marvel vs. Capcom: Infinite dann wieder am meisten glänzen, nicht nur lokal. Online fährt Capcom das volle Programm auf, mit Ranglistenkämpfen, Casual Matches, Lobbys für bis zu acht Spieler sowie eigene Menüpunkte mit weltweiten Bestenlisten und Replays. Auch beim Netcode wird gute Arbeit geleistet, Fights gegen Gegner aus Europa laufen zumeist ohne spürbaren Lag. Je weiter euer Gegner entfernt ist, desto eher habt ihr mit Lag zu rechnen. Wenn erst einmal ein Gegner gefunden wird, denn wir haben zum Teil recht lange gebraucht, bis erst einmal ein Match zustande kam.