Für alle, die Horrorfilme mögen, denen das Genre aber längst zu ausgelutscht und durchschaubar geworden ist, gibt es seit 2017 die Visionen des ehemaligen Comedian Jordan Peele, der bisher mit wahnwitzigen Ideen sowie cleveren Wendungen auf sich aufmerksam machen konnte. Nach „Get Out“ und „Wir“ folgt nun Nope, ein Horrorwerk der kontroversen Art.
In unserer spoilerfreien Kritik wollen wir euch verraten, warum „Nope“ der beste Beweis dafür ist, dass Peele sein Handwerk versteht, warum diese cineastische Abstrusität dennoch weit hinter den Erwartungen zurück bleibt, und warum Filmkenner*innen deutlich glücklicher mit der Ausrichtung sein dürften als die gewöhnlichen Kinogänger*innen unter euch.
Nope: Das erste Drittel des Films (Kritik)
Die bisherigen Trailer zu „Nope“ haben geschickt falsche Vorstellungen geweckt, was im Grunde bereits ein Vorgeschmack auf das ist, was euch ab dem 11. August 2022 in den Lichtspielhäusern erwartet, denn Peele ist sich durchaus bewusst, dass viele Kinogänger*innen erwarten, von ihm überrascht zu werden und er nimmt sich diesen Anspruch sichtlich zu Herzen.
So spielt der US-amerikanische Filmschauspieler, Comedian, Regisseur und Drehbuchautor im ersten Drittel von „Nope“ immer wieder mit der Erwartungshaltung der Zuschauer*innen und durchbricht diese nicht nur, sondern nutzt sie zudem, um sich gleichsam vor dem Horrorgenre der 1980er zu verbeugen … und es ein wenig auf die Schippe zu nehmen.
Leider ist das auch schon der geschickteste Kniff an der Einleitung, die euch erst einmal die Charaktere vorstellt, damit ihr eine Idee davon bekommt, warum wer später wie handelt. Statt hier bereits erste gruselige Szenen oder zumindest interessante Eigenideen einzubauen, begnügt sich Peele mit einem seichten Kennenlernen.
Lediglich unterbrochen von dem zuvor erwähnten Hasardieren mit dem, was das Publikum zu erwarten glaubt. Dabei stellt sich der Emporkömmling im Horrorgenre aus rein technischer Sicht extrem geschickt an, beweist obendrauf ein gehöriges Fingerspitzengefühl für seine Arbeit, weitgehend langweilig und zäh ist das Ganze aber nichtsdestoweniger.
Schmackhaft gemacht wird dieser mühselig langsame Erzählfluss lediglich von gewissen schockierenden Szenen, die später eine erklärende Rolle einnehmen, erst einmal aber befremdlich und auch irrelevant wirken. Ihr Gewicht für die spätere Handlung ist zudem nicht annähernd groß genug, um die Abschweifungen wirklich zu rechtfertigen.
Generell scheint Peele, der ebenfalls das Drehbuch zu „Nope“ verfasst hat, mehr Spaß daran gehabt zu haben, Statements zu setzen, als für schaurig schöne Unterhaltung zu sorgen. Der Horroranteil ist für einige Zeit quasi nicht vorhanden, die Spannung entsprechend mau und das eigene Sitzfleisch stärker in der Wahrnehmung des Publikums als die Geschichte.
Nope: Das zweite Drittel des Films (Kritik)
Für Cineasten und Kritiker*innen ist das dennoch ein Fest, denn die Anspielungen und die technische Raffinesse des Filmschöpfers sind auf einem höchst erstaunlichen Niveau und bereitet wohl beinahe jedem Kenner und jeder Kennerin des Fachs Freude. Durchschnittliche Kinogänger*innen gucken aber in die Röhre.
Ist alles aufgebaut, jede Figur eingeführt und die Prämisse verständlich gemacht worden, zieht der Horrorautor jedoch extrem an und beweist, dass er in diesem Genre durchaus zuhause ist. Mutet die Bedrohung erst einmal vielleicht merkwürdig an, entwickelt sie sich schnell zu einem famosen Spaß für alle, die sich gerne überraschen sowie gruseln lassen.
Bild, Ton und schauspielerische Leistung bilden schnell eine Einheit und schaffen eine enorm beängstigende Atmosphäre, die in einer der bedrohlichsten und visuell erschreckendsten sowie schönsten Szenen mündet, die das Horrorgenre je gesehen hat. Hier treffen Der Weiße Hai und Independence Day aufeinander und erschaffen etwas Großartiges.
Der direkte Weg bis zu dieser Szene ist clever durchdacht und wartet mit tollen Wendungen und Überraschungen auf, weswegen man „Nope“ die zu lange, etwas langweilige Einführung gerne verzeihen möchte. Wäre der Film nur sein Mittelteil, ja, er wäre viel zu kurz, aber voll mit schauerlichen Bildern und scheußlich-guten Ideen.
Nope: Das letzte Drittel des Films (Kritik)
Zu unser aller Pech baut Peele nach diesem famosen Paukenschlag zur Halbzeit aber nicht weiter auf dem düsteren Aspekt seines Werks auf, sondern widmet sich stattdessen erneut der Ehrerbietung an das Horrorkino von vor knapp vierzig Jahren. Aus einem Horrorfilm wird wieder eine Hommage an die Werke anderer Regisseure.
Dies mag hier und dort, also sozusagen in manch einer Szene, durchaus angemessen und vielleicht sogar wünschenswert sein, als vordergründige Prämisse wird es aber schnell langweilig. Vor allen Dingen deswegen, weil Peele dabei die Stärken seiner eigenen Geschichte vernachlässigt, um jemand anderem den Kopf zu kraulen.
Die Spannung geht so schneller in den Keller als die Kakerlaken in einem alten Landhaus, da eine an sich schreckliche und ebenso furchterregende Bedrohung plötzlich zum Platzhalter für etwas ganz anderes wird. Die Beklemmung und die Atmosphäre des zweiten Drittels gehen flöten und zurück bleibt nur noch ein Schmunzler und ein Augenzwinkern.
Schlimmer noch, der Regisseur und Drehbuchautor beginnt zum Ende hin, Dinge nicht mehr zu erklären beziehungsweise aufzulösen, sondern lässt sie stattdessen einfach geschehen, was zu manch einem losen Faden und einigen unnötigen Logikfragen führt. Sein Versuch, zum Schluss die Bilder für sich selbst sprechen zu lassen, funktioniert ebenfalls nur bedingt.
Pro:
- Erstklassige Eigenideen
- Gute Schauspielleistung
- Hervorragende Regiearbeit und technische Herangehensweise
- Wahnsinnig guter Mittelteil mit bedrohlicher, dichter Atmosphäre
- Gute Hommage an das Horrorkino der 1980er
- Viele Anspielungen und Seitenhiebe für Cineasten
- Tolle Sounduntermalung
Kontra:
- Die Einführung ist zu lang
- Das letzte Drittel des Films ist kaum gruselig
- Unaufgeregtes, beinahe langweiliges Finale
- Kaum für Gelegenheitskinogänger*innen geeignet
- Zu viele lose Fäden am Ende
Wer sich für die Kunst des Filmemachens und die Geschichte des Kinos interessiert, kommt in „Nope“ von Jordan Peele sicherlich auf seine/ihre Kosten, alle anderen dürften aber im ersten sowie im letzten Drittel gegen den Schlaf ankämpfen, da sich der Regisseur lieber mit Insiderwitzen und belanglosen Anspielungen beschäftigt, statt einen ordentlichen Horrorfilm zu liefern.