In einer Zeit, in der Spieleverkäufe vermehrt von den jährlich erscheinenden Ablegern populärer Serien dominiert werden, kommt es immer seltener vor, dass ein Publisher den Versuch wagt eine neue Marke zu etablieren. Verständlich, sind doch schließlich die Produktionskosten in den vergangenen Jahren rapide angestiegen und ausbleibender Profit hatte schon für mehr als nur ein Studio die Schließung zur Folge. Nichtsdestotrotz gibt Capcom dem Entwickler Dontnod Entertainment eine Chance und veröffentlicht das Action-Adventure Remember Me für PlayStation 3, XBOX 360 und PC.
Vergissmeinnicht
Ihr habt noch nie etwas von Dontnod Entertainment gehört? Das ist keine große Überraschung, denn bei Remember Me handelt es sich um die erste Veröffentlichung des Pariser Studios. Das Team setzt sich zum Teil aus ehemaligen Mitarbeitern anderer Entwickler zusammen, darunter auch Criterion Games und Quantic Dreams, einen Mangel an Erfahrung in der Branche braucht man also gar nicht erst zu unterstellen. Erstes Material zu ihrem aktuellen Projekt machte bereits zur Zeit der gamescom 2011 unter dem Arbeitstitel "Adrift" im Netz in Form von Artworks und Teasern die Runde. Schon damals gab es erste Konzeptzeichnungen und Ingame-Modelle von der fiktiven Metropole Neo-Paris zu erhaschen, welche als Schauplatz des Abenteuers dient. Wir schreiben das Jahr 2084 und die Bevölkerung steht unter der Fuchtel des Konzerns Memorize, welcher einen Überwachungsstaat aufgebaut hat. Propaganda und Gedankenkontrolle sind neben physischer Gewalt die wichtigsten Werkzeuge, um das Regime an der Macht zu erhalten. Das bekommt auch Protagonistin Nilin zu spüren, mit der wir zu Beginn des Spiels aus der Bastille ausbrechen. Nilin ist darauf spezialisiert die Erinnerungen anderer Personen auszulesen und zu verändern, ironischerweise hat sie selbst jegliche Erinnerungen an ihre Vergangenheit durch die Machenschaften von Memorize verloren. Dass ihr Gesicht auf so ziemlich jedem Fahndungsplakat in Neo-Paris abgedruckt ist, macht die Suche nach der eigenen Identität nicht einfacher. Euer Ziel ist es also Nilins Erinnerungen wiederherzustellen, herauszufinden warum Memorize hinter euch her ist und weshalb euer Gedächtnis gelöscht wurde.
Kämpfe mit Style, kämpfe mit Groove
Eure Erinnerungen stellt ihr wieder her, indem ihr PMP-Punkte sammelt. Diese erhaltet ihr von besiegten Gegnern oder bestimmten Schlüsselpersonen in der Story. Einen Großteil des Gameplays machen die Kämpfe aus, in denen ihr euch gegen die Streitkräfte von Memorize, Kopfgeldjäger und sonstige üble Gestalten zur Wehr setzen müsst. Dabei kommt ein Freeflow-Kampfsystem zum Einsatz, dass euch akrobatisch über den Bildschirm schnellen lässt und eine Art Baukasten für Combos bietet. Unterschiedliche Abfolgen der beiden Angriffs-Buttons haben verschiedenen Effekte zur Folge, beispielsweise richten Nilins Attacken mehr Schaden an oder sie gewinnt im Kampf verlorene Gesundheit wieder zurück. Im Combo Lab könnt ihr vorgefertigte Angriffe nach eurem Wunsch speichern, im laufenden Spiel wird am unteren Bildschirmrand eine Anzeige eingeblendet, mit der ihr leichter die gespeicherte Combo ausführt. Das verlangt auch ein klein wenig rhythmisches Gefühl, so werden die Kombinationen schneller verinnerlicht. Neben Martial Arts hat Nilin auch in Sachen Parcours einiges auf dem Kerbholz, denn Nilin bewegt sich bevorzugt mit akrobatischen Sprüngen und Kletter-Partien durch Neo-Paris. Erschwert wird dies gelegentlich durch Hindernisse in der Umgebung, wie Funkensprünge an einer Starkstromleitung oder ein Memorize-Fluggerät, das euch verfolgt und unter Beschuss nimmt. Insgesamt macht euch Dontnod Entertainment diese Abschnitte fast schon zu einfach, weil der nächste Ankerpunkt für euer Fortkommen automatisch auf dem Bildschirm markiert wird. Wirklichen Freiraum habt ihr beim Parcours nicht, vielmehr wirkt es wie ein schnöder Trip von A nach B.
Blade Runner lässt grüßen
Remember Me könnte das x-te von Blade Runner inspirierte Action-Adventure mit Cyberpunk-Anstrich sein, wäre da nicht die originelle Fähigkeit in den Erinnerungen eurer Gegner herumzuschnüffeln und diese zu verändern. Personen mit für die Story notwendigen Erinnerungen werden markiert und lassen sich auch aus geringer Entfernung mühelos auslesen. Kniffliger wird es schon, sofern es eure Aufgabe ist die Erinnerung eines anderen Charakters gezielt zu manipulieren. So bekommt Nilin von einer Widerstandsgruppe den Auftrag einen gewissen Frank Forlan, Sicherheitschef bei Memorize, aus dem Weg zu räumen. Also geht es auf zu seinem Büro und dann wird erst einmal in seinem Oberstübchen herumgestöbert. Forlan macht ein Streit mit seiner Ehefrau Alexia zu schaffen und in seinem Unterbewusstsein läuft in einer Art Virtual-Reality-Kulisse vor unseren Augen diese Setzung erneut ab. Jetzt gilt es ihm zu suggerieren, dass er seine Frau zu diesem Zeitpunkt getötet hätte. Verschiedene Objekte in dem Appartment werden dann gehighlightet, die von euch benutzt werden können, unter anderem eine griffbereit liegende Pistole oder eine Glasflasche, jedoch nur ein Gegenstand auf einmal. Werft ihr die Flasche auf den Boden, rutscht Frank darauf aus und richtet die Waffe auf die ihn verspottende Alexia. Da seine Pistole aber immer noch gesichert ist, verlässt Alexia die Wohnung und es wird ein Stück zurückgespult. Entsichert ihr jetzt noch die Waffe, nimmt das Unglück seinen Lauf und der gewünschte Effekt tritt ein. In der Realität glaubt Frank tatsächlich, dass er Alexia auf dem Gewissen habe und richtet seine Pistole an die eigene Schläfe. Peng. Mission erfüllt.
Die Zukunft ist zum Greifen nah
Für die Memory Remixes gibt es immer nur einen Lösungsweg, diesen zu finden ist dann eine Trial & Error-Angelegenheit. Dafür stehen euch unbegrenzt viele Versuche zur Verfügung, bestraft werdet ihr für eure Fehlschläge nicht. Im Gegenteil, sämtliche möglichen Konstellationen auszuprobieren macht sogar einen gewissen Reiz aus. Hier wird euch ein gewisser Freiraum gelassen, während der Rest des Spiels einen eher linearen Eindruck macht. Wege und Ziele sind vorgegeben und die Gebiete sind durch Barrieren deutlich eingegrenzt. Auf eine Open-World-Umgebung hat man zugunsten von Erzähl- und Spielfluss bewusst verzichtet, sonst würde die Story vermutlich zu schnell aus den Augen verloren werden. Dontnod Entertainment möchte, dass ihr alle für eure Augen bestimmten Ereignisse auch wahrnehmt. Neo-Paris ist ein visuell ansprechender Schauplatz und man merkt den Entwicklern ihre Freude am Design an. Für den Bosskampf gegen den bulligen Wonneproppen Kid Xmas werdet ihr unfreiwillig zum Teilnehmer einer an Running Man erinnernden TV-Show, begleitet von unterhaltsamen Cutscenes. Das Leitmotiv von dem Verwischen von Realität und Gedanken wird durch die vielen Partikel-Effekte noch weiter verstärkt, bei schweren Angriffen verformen sich Teile des Bildes und bei den Memory Remixes setzen passende Kameraschnitte das Geschehen gekonnt in Szene. Für den Score hat man die Stücke zunächst vom Londoner Philharmonieorchester einspielen lassen und diese dann durch Digitalisierungsprozesse an das Setting von Neo-Paris angepasst. Das Ergebnis ist ein dynamischer Soundtrack, der sich hinter den Kompositionen anderer großer Spiele und Filme nicht zu verstecken braucht.