Es ist eine Schlacht, die eigentlich gar nicht erst gewonnen werden kann. Die Rede ist nicht etwa von dem Kampf gegen Biowaffen-Terrorismus, sondern Capcoms Situation mit Resident Evil 6. Mit im Vorfeld getätigten Aussagen, dass man einerseits die Call of Duty-Crowd ansprechen möchte, aber auch langjährigen Fans den liebgewonnenen Survival Horror bieten will, hat man den Argwohn beider Seiten heraufbeschworen. Es KANN also bei logischer Betrachtung kein gutes Spiel geworden sein – oder vielleicht doch?
Die Welt geht vor die Hunde, traurig aber wahr
Die Handlung ist auf insgesamt vier verschiedene Kampagnen aufgeteilt, von denen die letzte erst einmal freigeschaltet werden muss. Umspannt wird ein Zeitraum von gut einem halben Jahr, der aus der Sicht verschiedener Protagonisten erzählt wird. Mit dabei sind auch alte Bekannte, wie z.B. Chris Redfield, Leon S. Kennedy und Sherry Birkin, welche den Raccoon City-Vorfall überlebten, und die mysteriöse Ada Wong. Im Fokus stehen die Entwicklung eines neuen Virus durch die Neo Umbrella Corporation und das noble Vorhaben des Präsidenten mit den Fakten über Raccoon an die Öffentlichkeit zu treten. Natürlich ist Chaos vorprogrammiert, als diese Enthüllung, bei der auch Leon und die Agentin Helena anwesend sind, von Terroristen sabotiert wird. Geschichte wiederholt sich als bei der Rede des Präsidenten in Tall Oaks der C-Virus freigesetzt wird und die Infizierten sich an den Überlebenden verköstigen. Weitere Anschläge werden in Osteuropa und letztlich auch in China verübt, bevor es in der Volksrepublik zum großen Finale kommt. Dabei gibt es nicht nur Unterschiede bezüglich der Settings und der Hauptdarsteller, auch vom Gameplay her fühlen sich die Parts unterschiedlich an. Leons und Adas Kampagnen erinnern am stärksten an Resident Evil 1-4 und sind atmosphärisch mit dem Remake des Klassikers Dawn of the Dead vergleichbar. Die Kampagne von Chris und seinem BSAA-Kollegen Piers dagegen ist eine konsequente Weiterführung des direkten Vorgängers und spielt sich ähnlich wie ein gewisser Third-Person-Shooter von Epic Games, aber mit einem wesentlich hakligeren Deckungsssystem. Die Segmente von Sherry und Albert Weskers Sohn Jake Muller bleiben vor allem dadurch in Erinnerung, dass sie immer wieder von einer nahezu unzerstörbaren Biowaffe namens Ustanak verfolgt werden.
So geht Zombiebekämpfung heute
Ganz egal mit welcher Kampagne und welchem Charakter ihr nun anfangt, ihr werdet immer einen nicht unbeträchtlichen Teil der Spielzeit mit dem Kampf gegen bioorganische Waffen verbringen. Das geschieht zum Großteil gewohnt aus der Verfolgerperspektive mit frei bewegbarer Kamera, vereinzelt sitzt ihr auch zeitweise am Steuer eines Schneemobils oder eines Kampfjets. Waren in Resident Evil 5 noch dezente Anzeichen der trägen Steuerung aus den Neunzigern spürbar, sind die Spielfiguren jetzt deutlich agiler. Neben der Fähigkeit euch gleichzeitig zu bewegen und zu schießen könnt ihr rennen und dürft bei Gefahr zur Seite hechten und selbst im Liegen mit eurer Waffe zielen. Um dem entgegenzuwirken, verfolgt euch der Untote 2.0 auch im Sprint oder springt euch an, manche Zombies verstehen es sogar mit Schusswaffen umzugehen. Die Gegnertypen passen sich an die gewählte Story an, so trifft Leon vermehrt auf klassische Infizierte, Chris dagegen liefert sich deutlich mehr Shootouts als andere Charaktere. Neben dem typischen Zombie-Fußvolk lauft ihr auch zäheren Mutanten in Gestalt von Bossgegnern über den Weg, deren Schwachstellen ausgenutzt werden sollten, da ihr sonst eure ganze Munition verpulvert. Nahkampfattacken lassen sich zwar jederzeit aus dem Stand ausführen, jedoch nur so lange eure Ausdauer-Anzeige nicht gänzlich geleert wurde. Mit Ausnahme von Adas Kampagne seid ihr immer zu zweit unterwegs, entweder mit einem Mitspieler oder mit der KI. Wirkliche Verbesserungen an der Kumpel-KI hat Capcom nicht vorgenommen, als Kompromiss wird der Partner mit unendlich Lebensenergie und Munition ausgestattet. Bei Überschneidungen zwischen den Stories könnt ihr in Online-Partien zeitweise sogar zu viert gemeinsam spielen.
"Halt dich bloß ans Drehbuch!"
Was die Präsentation betrifft erreicht Capcom Spielfilmqualität, und dass nicht nur für die zahlreichen Zwischensequenzen, auch für den regulären Spielablauf. Regelmäßig fliegt irgendwas in die Luft, außer Kontrolle geratene Fahrzeuge schlittern durch die Straßen und der Boden bricht euch unter den Füßen weg. Wenn ihr sehen wollt, wie ein Motorrad über einen Kampfhubschrauber springt, dann seid ihr hier an der richtigen Adresse. Kaum ein Action-Klischee wird ausgelassen, mehrmals fasst man sich an den Kopf und fragt sich, ob in der Konsole tatsächlich das neue Resident Evil rotiert. Von Anfang bis Ende ist das RE6 durchgeskriptet, was das Gameplay stark auf eine vorgefertigte Schiene drängt. Mit Chris einem gemächlich durch Edonia tuckernden Panzerwagen hinterherzudackeln macht ungefähr so viel Spaß wie in der Warteschlange eines Postschalters mit einem einzigen Angestellten zu stehen. Die Entwickler hatten offenbar klare Vorstellungen davon, was ihr wann zu sehen bekommen sollt. Immer präsent auf dem Bildschirm ist eine Zielmarkierung, die euch den Weg zum nächsten wichtigen Objekt zeigt. Mal ganz abgesehen davon, dass die Areale ohnehin ausgesprochen linear ausgefallen sind und ihr euch auf Knopfdruck kurz den Weg weisen lassen könnt und das Icon somit im Grunde überflüssig ist, wirkt es so als würde man euch sagen:"Komm her, ich will dir etwas zeigen. Verdammt, jetzt komm endlich!" Deaktivieren lässt sich diese Markierung nur zusammen mit dem restlichen HUD und komplett auf Gesundheits- und Munitionsanzeige zu verzichten ist nicht empfehlenswert. Viel zu entdecken gibt es sowieso nicht, ihr könnt nur mit wenigen Objekten in der Umgebung interagieren. Was ist aus den Zeiten geworden, in denen man ein Bücherregal untersuchte und dann ein paar Zeilen Text zum Inhalt eingeblendet wurden? So etwas machte doch gerade die Atmosphäre aus.
Wie rettet man die Welt? Indem man rechtzeitig X drückt.
Hinzu kommen noch zahlreiche Quick Time Events, in denen ihr vermutlich öfters sterben werdet als im eigentlichen Spiel. Spätestens wenn ihr zum zehnten Mal den Analogstick hektisch hin- und herrütteln müsst, wird diese Prozedur nervtötend. Checkpoints werden in fairen Abständen verteilt und wenn ihr nicht allzu verschwenderisch mit eurer Artillerie umgeht, habt ihr auch immer genug Munition dabei. Vier verschiedene Schwierigkeitsgrade stehen zur Auswahl, von denen ihr die Höheren nur mit einem Partner aus Fleisch und Blut in Angriff nehmen solltet, weil die KI meist sehr unzuverlässig agiert. Die wenigen Schockmomente lassen sich an einer Hand abzählen, statt Ersatzunterwäsche solltet ihr lieber kannenweise Kamillentee bereit halten, denn Capcom versucht weniger euch zu erschrecken als euren Puls in die Höhe zu treiben. Wie gehabt läuft das Spiel weiter, auch wenn ihr das Inventar aufruft. Kombiniert also vorsichtshalber in den wenigen Verschnaufpausen eure Kräuter zu Heilsprays zusammen und rüstet sie aus, ihr werdet sie brauchen. Der Austausch von Munition oder Heilitems mit dem Partner ist nicht mehr möglich, auch lassen sich zwischen den Missionen keine Waffen aufrüsten oder Items kaufen. Stattdessen wurde ein Fertigkeitssystem eingeführt, mit dem ihr Sets mit bis zu je drei speziellen Fähigkeiten ausstatten könnt, zum Beispiel kürzere Nachladezeiten oder mehr Feuerkraft. Anstelle von Gold hinterlassen besiegte Gegner jetzt Skill Points, mit denen ihr die Fähigkeiten bezahlt. Die verschiedenen Sets lassen sich auch im laufenden Spiel austauschen, damit ihr für alle Situationen passend gewappnet seid.
Gut auszusehen ist nicht alles
Wie bereits erwähnt werden bei der Präsentation schwere Geschütze aufgefahren. Sofern man nicht jede Textur aus nächster Nähe in Augenschein nimmt, macht die MT Framework Engine auch in Resident Evil 6 eine exzellente Figur. Überzeugende Mocap-Animationen und gut choreografierte Cutscenes können fast schon mit den CGI-Filmen zur Reihe mithalten. Auch wenn im Hintergrund die komplette Welt unterzugehen scheint, bleibt das Spiel flüssig. Es ist jedoch ziemlich nervig, dass eure Protagonisten ständig auf Leichen ausrutschen und dabei kurz ins Straucheln geraten. Zudem ist die Kamera etwas zu nah an eurem Charakter positioniert, was an einigen Stellen auf Kosten der Überschaubarkeit geht. Mit Ausnahme der Passagen in Edonia, die im Farbschema 50 Shades of Grey gehalten sind, bietet euch RE6 ein ansprechendes Leveldesign mit stimmigen Locations. Die Uni, der U-Bahn-Schacht und die Kirche in Leons Kampagne wecken nostalgische Erinnerungen und selbst wenn im Hintergrund die ganze Welt unterzugehen scheint, kommt es nicht zu Rucklern. Sprachausgabe liegt unter anderem in Deutsch und Englisch vor, in der XBOX 360-Version ist eine zweite Disc enthalten, mit der die zusätzlichen Sprachen installiert werden. Wirklich vom Hocker reißen wird euch die Story nicht, zu vorhersehbar sind die Wendungen und zu profillos ist der Ersatz für Oberschurke Albert Wesker. Sie fühlt sich zudem etwas unvollständig an, beispielsweise wird nur in Textform erläutert, wie Präsident Benford mit dem C-Virus infiziert wurde. Mit RE.net hat man auch eine kostenlose Online-Plattform aufgebaut, die Statistiken speichert und die Teilnahme an regelmäßig aktualisierten Challenges mit Punkten vergütet. Als Belohnung winken unter anderem Bonuskostüme, die Teilnahme lohnt sich also.
Ein Ex-Horror-Franchise in der Identitätskrise
Im Agent Hunt-Modus dürft ihr in der Rolle eines Zombies Jagd auf menschliche Spieler machen, was zwar eine spaßige Idee ist, aber auch nicht dauerhaft fesseln kann. Mehr Suchtpotenzial hat da schon The Mercenaries, in dem ihr eine möglichst hohe Punktzahl innerhalb eines knappen Zeitlimits erreichen müsst, entweder alleine oder zu zweit. Das war's eigentlich auch schon mit den Bonusinhalten, abgesehen von ein paar freischaltbaren Storyerweiterungen in Form von Textbeilagen. Dass die alternativen Kostüme von The Mercenaries nicht im Hauptspiel benutzt werden, ist unverständlich, das war selbst in den Vorgängern möglich. Man wird das Gefühl nicht los, dass man bei Resident Evil 6 geprüft hat, welche Titel sich in letzter Zeit gut verkauft haben. Anders lässt sich nicht erklären, warum der Einfluss von nicht horrorbezogenen Titeln wie Uncharted, oder Gears of War 3 spürbar ist. Selbst für Stealth-Einlagen in Jakes Geschichte war man sich nicht zu schade. Für die einen sorgen solche Design-Entscheidungen für ein abwechslungsreicheres Gameplay, für andere sind solche Elemente in einem Resident Evil ganz klar fehl am Platz. Vielleicht ist die Zeit gekommen, sich mit den Änderungen abzufinden und weiterzugehen. An den guten Erinnerungen an die Vergangenheit ändert das nichts und es ist nicht verkehrt, dem neuen Stil zumindest eine Chance zu geben. Fest steht, dass Capcom noch weiter von den Horror-Wurzeln fort driftet und sich dem Genre der Third-Person-Shooter annähert. Aber wenn man schon diversen Konkurrenten nacheifert und diese als Inspiration nutzt, sollte auch sichergestellt werden, dass das Ergebnis auch halbwegs kohärent ausfällt.