Mit der Geburt des Indie-Titels Minecraft haben sich die Entwickler des schwedischen Studios Mojang und insbesondere Schöpfer Markus Persson die ideale, erfolgreiche Basis für einen steilen Aufstieg in der Spieleindustrie geschaffen – und das bewusst, ohne sich zu den professionalisierten Global Players der Branche zu zählen. Kein Wunder, ließen es die Stockholmer doch bisher aus, sich um einen Beweis ihrer Vielfalt zu bemühen. Diese ausbleibenden Bemühungen finden spätestens aber mit der Veröffentlichung des Taktik-Titels Scrolls ihr Ende. Interessanterweise ist es recht still um das etwas ausgefeiltere Kartenspiel geworden. Zu allem Übel profitiert zudem neben Minecraft auch noch vor allem 0x10c vom Notch-Hype und so scheint es, als bliebe Scrolls trotz des begonnenen Alpha-Status ein wenig auf der Strecke. Zurecht? Wir beleuchten die Features des nur scheinbaren Minecraft-Erben.
Rückkehr einer Jahre alten Vision
So offensichtlich der Gedanke auch aufkeimt: Scrolls ist nicht als das Spiel konzipiert worden, das auf Minecraft folgen soll. Daher sind auch sämtliche Maßstäbe, die den Erfolg von Scrolls an dem der Klötzchen-Welten messen, etwas weit hergeholt. Schließlich verloren Markus Persson und Jakob Porsér, heute Game Developer bei Mojang, schon vor mehr als sechs Jahren ihre Gedanken an ihre Neuauflage des Sammelkarten-Genres. Dass man Scrolls nicht schon früher wie heute für PC, Mac, geschweige denn Android und iOS entwickeln konnte, lag damals wohl vorrangig an den fehlenden finanziellen Mitteln. Gegenwärtig hingegen bleibt verständlicherweise viel Raum für die Umsetzung aller kreativen Einfälle. Von absolutem Hochmut ist allerdings keine Spur. Ganz auf dem Teppich geblieben, wägt Mojang rational das Mögliche und Schwierige ab und erteilte so etwa schon früh der Umsetzung Scrolls‘ als nicht-virtuelles Sammelkartenspiel eine vorzeitige Absage.
Kartenspiel trifft Schachbrett
Den nun Enttäuschten lässt sich zumindest versichern, dass die Distanz zu einer solchen Umsetzung wohl begründet ist. Letztlich spricht dieser Umstand nämlich auch dafür, dass Scrolls auf Rechnern, Tablets oder Handys umso komplexer im Hinblick auf die Spielmechaniken ausfällt. Aufatmen also unter denen, die sich ohnehin nur eine ordentliche PC-Version wünschen.
Wie genau aber gestaltet sich das Spielprinzip von Scrolls, das in diesem Punkt einen derart vielschichtigen Eindruck weckt? Ehe man hierbei seine Aufmerksamkeit der selbstverständlich umfangreichen Sammelkarten-Komponente widmet, lohnt sich ein Blick auf den Bestimmungsort der Scrolls, die im strengen Sinne auch gar keine Karten, sondern Schriftrollen – und damit bestimmend für den Namen – sind. Ausgetragen werden die ausschließlichen 1vs1-Begegnungen nämlich nicht etwa wie bei der gemütlichen Kneipenrunde am Tisch, sondern auf einer Art Schachbrett. Der Ort des Geschehens teilt sich in zwei Bereiche, die je aus drei Reihen mit jeweils fünf Sechsecken bestehen, wobei ein Abschnitt ausnahmslos einem der Spieler zugeschrieben wird. In eben diesem 3×5-Feld kommen während des Spielverlaufs die eigenen Karten zum Einsatz, indem die beschriebenen Wesen quasi ins Leben gerufen werden. Eure Karte beschreibt einen furchtlosen Ritter? Dann erscheint auch eben dieser und sichert sich eines eurer 15 Sechsecke.
Das Kartendeck: Sieg oder Niederlage?
Trotz dass sich Scrolls im Fantasy-Setting positioniert, ist das Beispiel des furchtlosen Ritters doch noch recht traditionell gewählt und wird somit der tatsächlichen Vielfalt an Karten nicht gerecht. Denn die begehrenswerten Scrolls halten neben allerlei Lebewesen auch Komponenten wie Belagerungswaffen, Zauber oder Verzauberungen bereit. Das wiederum lässt bereits erahnen, dass ohne die richtige Nutzung der Synergieeffekte zwischen den Karten ein Sieg nur auf Basis eines glücklichen Zufalls wahrscheinlich ist. Taktische Überlegungen sind also schon bei der Zusammenstellung des eigenen Decks unabdingbar. Wer glaubt, sich allein durch die Nutzung der angriffsstärksten Kreaturen einen Vorteil verschaffen zu können, der fehlt allein deswegen, weil man sich manchmal mit dem Durchschnitt zufriedengeben muss. Scrolls unterscheiden sich nämlich nicht nur im Hinblick auf ihre Wirkung, sondern auch durch ihren Seltenheitsgrad. Ehe eine seltene Karte ergattert wird, können gerne zahlreiche gewöhnliche oder schwache Scrolls dazwischen kommen.
Damit aber insbesondere Neulinge im Genre sich von Beginn an wohlfühlen und auch zurechtfinden, stattet Mojang die Spieler zusätzlich mit vorgefertigten Decks aus. Im Laufe der Zeit kann der Spieler so auf Tuchfühlung mit den Besonderheiten sowie Vor- und Nachteilen der einzelnen Karten gehen und ein Gespür für richtige Spielweisen entwickeln. Nach und nach steigt so auch die Bereitschaft, eigene Ideen ins Deck einzubringen oder ein solches von Grund auf selbst zu entwickeln. Natürlich braucht es hierzu auch eine gewisse Auswahl. Dafür, dass genügend Scrolls ins eigene Repertoire wandern, sorgen beispielsweise im Ingame-Shop erhältliche Kartenpakete. Ganz im Sinne des Balancing und der Tradition des Genres folgend, weiß der Spieler nicht, welche Überraschungen ihn nach dem Kauf im Paket erwarten. Damit kein Unmut aufkommt, darf sich der Käufer aber auf eine Mischung gewöhnlicher und seltener Karten verschiedenen Typs einstellen. Im Interview mit Gamasutra deutete sich darüber hinaus bereits an, dass Scrolls wohlmöglich auch durch absolvierte Matches oder weitere Erkundungen freischaltbar sind.
Gradlinig zum Ziel
Völlig gleich ob im Tutorial, im Einzelspieler-Modus oder online: Nur auf dem Kampffeld selbst entscheidet sich die Qualität des eigenen Decks – oder besser gesagt die Fähigkeit, dieses zu beherrschen. Im Aufeinandertreffen von Angesicht zu Angesicht gilt es, die fünf am hinteren Ende des gegnerischen 3×5-Feldes positionierten Götzen zu vernichten. Da der Gegner aber selbstverständlich sowohl seine Offensive als auch seine Defensive ausbaut, entsteht eine Hürde, die es vorher zu überwinden gilt. Wilde Bewegungsmuster in gleichzeitiger Verbindung mit einem Angriff, wie etwa beim Schach, sind nämlich nicht möglich. Der Feind, der auf der graden Linie zwischen Götze und eigener Beschwörung sein Unwesen treibt, ist so ein notwendiges Opfer auf dem Weg zum Zielobjekt.
Von Null auf setzen die Kontrahenten Zug für Zug ihre Strategien auf dem Feld um. Damit die animierten Objekte überhaupt erst auf dem Feld ihre Stellung einnehmen, müssen Ressourcen in die Beschwörung der Wesen und Gerätschaften investiert werden. Das kann auch heißen, andere verfügbaren Karten aufzuopfern, um Ressourcen zu gewinnen. Relevant ist daher nicht nur die Frage, wie man spielt und was man spielt, sondern ganz besonders auch, was nicht. Harmlos wirkende Scrolls wie etwa Blockaden, die sich nur in der Gegend herumlangweilen und keinen Schaden austeilen, sind dabei so unverzichtbar wie verteidigungsschwächere Damage-Dealer. Es kommt eben auf die richtige Mischung an. Defensive Schutzsuchende können in Gegenwart eines Zerstörers gerne auch alles verlieren, während Freunde dicht stehender Einheiten der Angst vor dem Flächenschaden einer Blitzwelle nicht entkommen können. Wie bei einer verspielten 4-0 Führung einer Fußball-Mannschaft sind in Anbetracht solch dramatischer Wendungen aber vor allem die Lerneffekte von Bedeutung. Mit zunehmender Erfahrung und dank der Kartenvielfalt gleicht so kein Match dem anderen. Ungeduldige Spieler nehmen sich so in Zukunft wohlmöglich die volle Zugzeit, um zu überlegen, wie sie auf neue Situationen reagieren sollten.
Wer sich anstrengt und nicht blind agiert, mausert sich in den ebenfalls vorhandenen Ranglistenspielen so mit etwas Können auf die vorderen Positionen und kann sich einen Namen machen. Damit ist Scrolls nicht nur für Casual-Gamer von Interesse. Positiver Nebeneffekt: Dank der Turniere mit Beobachter-Modus dürfen die Unerfahreneren von den Taktiken der Vollprofis lernen.