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Sea of Solitude: Ein Weg der Einsamkeit, Angst und Trauer im Test

„Sea of Solitude“ warnt bereits auf dem Startbildschirm, dass die Spieler hier mit starken Emotionen konfrontiert werden. Diese Warnung verstehend, haben wir uns gut vier Stunden auf eine Reise durch die Gefühlswelt von Kay begeben. Ihr Weg ist gespickt mit Monstern, Rätseln und bedrückenden Gefühlen. Wie sich das äußert und ob es uns gefallen hat, lest ihr in diesem Test.

Eine Achterbahn der Emotionen

Trauer, Angst und Einsamkeit sind nur drei der vielen Gefühle, die im Gegensatz zu den schönen Empfindungen auf dieser Welt stehen. Jeder von uns hat sie bereits auf die eine oder andere Art gespürt und weiß, wie sich das anfühlt. In Sea of Solitude von dem deutschen Entwicklerstudio Jo-Mei Games werdet ihr genau damit konfrontiert und erleidet mit der Protagonistin Kay eine Achterbahn der Gefühle. Erlebt Selbstzweifel und die inneren Qualen, die das junge Mädchen zu zerreißen scheinen.

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Halb Monster, aber irgendwie doch noch ein Mensch, ist Kay in einer paranormalen Welt gefangen, die wie ein Teil ihres tiefsten Inneren wirkt. Schauplatz ist eine riesige Stadt, die im Wasser nahezu versunken ist. Deshalb muss sich Kay über die Dächer bewegen oder mit ihrem Boot durch die so entstandenen Wasserstraßen fahren. Ein Lichtstrahl, der auf Knopfdruck aus eurer linken Hand schießt und dabei „I hate you“ flüstert, weist euch den Weg. Die leise gesprochenen Worte wiegen mit der Zeit immer schwerer und ihr werdet merken, wie sie sich schmerzhaft in eure Seele brennen, um so mehr ihr über Kays Vergangenheit erfahrt.

Auf ihren Wegen kommen von Zeit zu Zeit Erinnerungen hoch – an die eigene Kindheit, das Verhältnis zu ihrem Bruder oder schlimme Ereignissen. Ihr könnt sie nicht sehen, aber hört die damaligen Gespräche erneut wie ein Echo in eurem Kopf. Um euch nicht zu viel von der Geschichte zu verraten, lassen wir die erzählerischen Inhalte des rund vier Stunden umfassenden Spiels ohne genaue Ausführungen und raten euch, das Abenteuer ganz in Ruhe selbst zu erleben.

Das Monster in mir

Ihr werdet in dieser Stadt aus Angst und Einsamkeit auf Monster treffen, die sich (meist) feindselig in euren Weg stellen. Ihre schwarze Färbung, Größe und zermürbenden Erzählungen machen Kay zu schaffen. Um ihnen aus dem Weg zu gehen und weiter voranzuschreiten, müssen sie jedoch besiegt werden. Damit das gelingt, wird setzt sich das junge Mädchen ihren größten Ängsten und schlimmsten Gedanken aus und befreit ihr inneres Licht.

Und genau diese bildhafte Umschreibung passiert tatsächlich: Eine helle Silhouette ist gefangen von dunklen Gedanken, denen sich Kay stellen muss. Auf Knopfdruck saugt ihr das Böse in euren Rucksack ein und befreit das Licht, mit dessen Hilfe ihr einen hellen Strahl auf das Monster schießen könnt. Dieses Gameplay-Element wiederholt sich häufig im Spiel, sodass ihr schon bald permanent die Augen danach offenhaltet.

Generell spielen Licht und Schatten als Ausdruck ihrer Gefühlswelt eine wichtige Rolle. Während das Wasser der Stadt ruhig und klar bei den Erkundungstouren ist, kann das Wetter ebenso komplett umschlagen und alles in Dunkelheit hüllen. Dann ist nichts mehr zu sehen von sanften Wellen oder glitzernder Wasseroberfläche. Zum Glück habt ihr an eurem Boot ein kleines Licht, das euch immer den Weg erhellt und vor bösen Kreaturen beschützt.

Taucht ihr nämlich in das Wasser ein, wenn ein Monster in der Nähe ist, wird es versuchen euch zu fressen. Da hilft nur schnelles Schwimmen und das Retten auf nahgelegene Häuser und Kisten, die im kühlen Nass treiben. Die Fantasiewesen werden dagegen rammen, um euch Angst einzujagen. Dabei schwappt das Wasser eindrucksvoll über die Gebäude und die kleine Kay hat Schwierigkeiten, sich in dieser Situation auf den Beinen zu halten – passt also gut auf euch auf!

Kleine Rätsel – große Wirkung

In jedem neuen Abschnitt werdet ihr vor kleine Rätsel gestellt, die oft mit Geschicklichkeit zu tun haben. Große Sprünge macht das Gameplay dabei nicht, ihr sollt euch in „Sea of Solitude“ viel mehr auf die Story und die Emotionen konzentrieren, während ihr euch als kleine Kay den Weg durch die Stadt bahnt. Deshalb sind die Rätsel nicht besonders schwer. Manchmal macht euch lediglich die Steuerung, vor allem in besonders dunklen Abschnitten, ein wenig zu schaffen. Aber insgesamt sind die Aufgaben durchaus machbar.

Das ist auch gut so, denn an einigen Stellen werden dabei wichtige Bestandteile der Geschichte erzählt, die ihre Dramatik durch permanentes Wiederholen verlieren könnten. Während ihr über die Dächer wandert und mehrere kleine Vögel für die Extra-Trophäe verscheucht, werden euch weitere kleinere Story-Fetzen in Form von Flaschenpost zugetragen. Sie ergänzen gerade Geschehenes, fügen Schnipsel zusammen oder geben Einblicke in die Gedanken der Personen. Für das Verstehen der Story sind sie nicht relevant, geben aber in wenigen Sätzen nette Zusatzhinweise, anstatt ein reines Sammelobjekt ohne Inhalt zu sein.

Geschichten aus dem Leben

Das Spiel denkt sich seine Geschichten und Darstellungen nicht gänzlich aus: Entwicklerin Cornelia Geppert hat mit Betroffenen aus ihrem Bekanntenkreis gesprochen und möglichst viele ihrer Geschichten in Bilder umgesetzt. Dabei bedient sie sich einer Symbolik, die wie alle kennen. Ein einzelner Mensch, umgeben von Wasser und ganz allein. Oder dunkle Gestalten mit leuchtenden Augen, die jemanden auf Schritt und Tritt verfolgen. All das kennen wir aus Büchern und Filmen mit dieser Thematik. Hier werden sie erneut aufgegriffen und erzählen zusammen mit der malerischen Kulisse und dem Soundtrack eine Geschichte voller starker Gefühle. Dabei bilden die Erzählstränge eine Straße, gepflastert von Trauer und Einsamkeit, ohne viel Spielraum für eigene Interpretationen zu lassen.

Nicht jeder wird diesen Weg nachvollziehen können, denn Gefühle wirken sich bei jedem Menschen unterschiedlich aus. In diesem Spiel beschreitet ihr allerdings den Weg von Kay – mit ihren Erlebnissen und den daraus resultierenden Empfindungen, die vielleicht nicht eure Entscheidungen widerspiegeln. Trotzdem werdet ihr merken, dass das bedrückende Gefühl des Spiels auf euch überschwappt und zum Nachdenken anregt. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger.

Ein bisschen schade finden wir, dass „Sea of Solitude“ zwar deutsche Untertitel, aber nur eine englische Vertonung bekommen hat. Bei einem Spiel eines Indie-Entwicklers aus Amerika verschmerzbar, jedoch ist „Jo-Mei Games“ in Deutschland angesiedelt. Eine entsprechende Synchronisation würde das Spiel unter Umständen sogar etwas zugänglicher machen, da nicht jeder über fließende Englischkenntnisse verfügt und das permanente Lesen etwas von der Stimmung nimmt.

What Remains of Edith FinchWhat Remains of Edith Finch: So traurig und doch so schön

„Sea of Solitude“ ist mitreißend, tut weh und führt euch vor Augen, wie schlimm sich negative Gefühle bei manchen Menschen äußern. Das kann verschiedene Ursachen haben und lässt sich nicht pauschal über einen Kamm scheren. Gefühle zulassen ist keine Schwäche und jeder darf mal traurig sein. Das gehört zum Leben dazu, so wie jeder Lacher, den ihr mit euren Liebsten erlebt. Sollte es euch jedoch insgesamt nicht gut gehen, bitten wir euch, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Wer in Deutschland wohnt und Fragen oder Sorgen hat, Hilfe sucht oder jemanden zum Reden braucht, der kann täglich 24 Stunden die Telefonseelsorge unter den Nummern 0800-111 0 111 und 0800-111 0 222 erreichen!

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