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Splatoon 2: Mehr Tinte braucht das Land

Nintendos kuriose Kreuzungsexperimente gehen mit dem nächsten großen Switch-Titel in eine weitere Runde: In Inkopolis, dem Ort, an dem Tintenfische und Menschen aufeinander treffen, wird erneut der örtliche Baumarkt aufgekauft und mit Farbeimern um sich geworfen – viel getan hat sich im Vergleich zum Vorgänger allerdings nicht. Ist Splatoon 2 lediglich ein halbfertiges Sequel oder eine gelungene Fortsetzung der farbenfrohen Shooter-Grundidee?

Nicht einmal Nintendo dürfte mit dem Erfolg von Splatoon gerechnet haben. Ein komplett neues Franchise, in einem umkämpften Shooter-Genre, auf einer von Anfang an zum Scheitern verurteilten Konsole – der Release auf der Wii U hätte der vielleicht größten neuen Nintendo-Marke der letzten 15 Jahre nicht gut tun können. Die bereits fertig gestellten Todesanzeigen entpuppten sich als Fehler: Fast 5 Millionen Mal konnte sich Splatoon seit Release weltweit verkaufen, in Japan gilt der Titel als größter Neustart des vergangenen Jahrzehnts.

Im Heimatland Nintendos ist die Veröffentlichung von Splatoon 2 für den langfristigen Erfolg der Nintendo Switch umso wichtiger. Auch international wird der Titel beweisen, ob die Konsole weiterhin auf ihrem schnurstracks Richtung Erfolg liegenden Kurs bleiben wird – momentan spricht nur wenig dagegen. Die Magie des roten Konsolenherstellers ist mit vermeintlicher Logik von Analysten nicht zu erklären. Es ist ein besonderer Flair, der mit jedem neuen Spiel deutlich wird.

Klassik-Shooter mit Farbenliebe

Splatoon 2 setzt auf das exakt selbe Spielprinzip wie das Original: Im Prinzip handelt es sich um einen gewöhnlichen Multiplayer-Shooter mit Waffen, Karten, Teams, ablaufender Zeit und einem festen Ziel vor Augen. Die einzelnen Komponenten unterscheiden sich jedoch stark von üblichen Konventionen.

Simpel ausgedrückt: Beide Teams besitzen ihre jeweils eigene Farbe, mit der sie sich gegenseitig bekämpfen – Grün gegen Pink, Blau gegen Gelb, Türkis gegen Orange, eine Vielzahl an Kombinationen ist möglich. Die Waffen (Eimer, Sniper-Gewehr, Pinsel, Maschinenpistole, Dual-Pistole, Farbroller und viele weitere) verspritzen allesamt die Farbe des Teams, dem man angehört.

Ziel ist es, so viel horizontale Fläche wie möglich auf der Karte mit der eigenen Farbe einzukleistern und den Gegner davon abzuhalten, mehr zu versprühen als das eigene Team. Wer nach Ablauf des Timers am meisten Fläche auf der Karte eingefärbt hat, gewinnt. Die rivalisierende Farbe lässt sich überfärben, Gegner können außerdem mit den eigenen Waffen getötet werden. Keine Sorge, es gibt Respawns!

Hinter diesem eigentlich recht simpel klingenden Spielprinzip versteckt sich jedoch eine Menge Tiefe. Nicht nur horizontale Flächen können eingefärbt werden, sondern auch vertikale. Der Charakter, eine Mischung aus Mensch und Tintenfisch, kann nämlich jederzeit zwischen den beiden Grundformen wechseln. Als Mensch kann er seine Waffen nutzen, Fertigkeiten nutzen und mit seinen Teamkameraden interagieren. Als Tintenfisch ist es möglich in die Farbe der eigenen Mannschaft einzutauchen und in stark erhöhter Geschwindigkeit umherzuschwimmen. In der Tintenfisch-Form kann nicht geschossen werden, dafür ist es möglich, Wände empor zu schwimmen, Hindernisse wie Gitter zu überwinden und einen Sprung-Teleport in Richtung eines Teammates auszuführen. 

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Ich als Spieler muss aber nicht nur die Karte selbst zu meinem Vorteil nutzen, sondern obendrein auch die vielen Angriffsmöglichkeiten: Neben der Hauptwaffe verfügt mein Charakter über eine Sekundärwaffe wie Granaten, Saugroboter oder Minen. Beim Schuss mit jeder Waffe verbraucht der Spieler in Form von Tinte gespeicherter Munition, die aufgefüllt wird, sobald man als Tintenfisch in der eigenen Farbe umherschwimmt. Habt ihr genug Fläche eingefärbt oder besonders viele Gegner umgewälzt, wird eure Ultimate freigeschaltet: Hierbei handelt es sich um eine besonders starke Attacke wie eine tintentropfende Regenwolke, einen Jetpack oder einen regelrechten Farbtornado. Die Ultimate verbraucht keine Tinte, sondern füllt eure Munition beim Einsatz komplett auf – praktisch.

Alles frisch geblieben

Das Konzept aus dem originalen Splatoon funktioniert im Nachfolger immer noch verdammt gut: Die oftmals knappen, teilweise deutlichen Rennen um möglichst viele Kartenfläche sind weiterhin ein Garant für enorm viel Spaß und dank der schnellen Runden auch wenig ermüdend. Nach jedem Spiel erhält der Spieler Punkte, die irgendwann zum Upgrade des Levels führen – je höher das Level, desto mehr Waffen, statistikverändernde Klamotten und Modi werden freigeschaltet.

Insgesamt acht Maps stehen zum Release zur Verfügung, zwei davon wurden direkt aus dem Vorgänger übernommen, weitere sollen mit neuen Updates folgen. Alle zwei Stunden erfolgt eine Kartenrotation – standardmäßig sind nämlich gerade einmal zwei Karten spielbar. Will man eine neue Karte spielen, weil einem die aktuellen nicht gefallen, hilft nur warten – die Möglichkeit für eine Abstimmung ist nicht gegeben. Sechs neue Waffen und drei neue Sekundärwaffen sind in Splatoon 2 dabei, darunter die Klecks-Doppler und die Curling-Bombe. Sinnvolle Ergänzungen und keine Neuerfindung des Rads – in der Hinsicht unterscheidet sich Splatoon 2 nicht viel von anderen Shooter-Nachfolgern. 

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Enttäuschenderweise gibt es ziemlich genau gar keine Änderungen im Ranked-Modus, dem Weg für kompetitive Spieler: Wie im Vorgänger unterscheidet sich der Ranked-Modus vom normalen Modus in der Art des Gameplays. Anstatt möglichst viel Kartenfläche anzuhäufen, müssen sich Spieler in drei unterschiedlichen Modi messen: Herrschaft, Turmkommando und Operation Goldfisch. Es bleibt zu hoffen, dass Nintendo im Laufe der nächsten Monate weitere Modi nachliefert.

Apropos Nachliefern: Insgesamt zwei Jahre lang sollen sich Spieler auf neue Karten, Waffen, Klamotten und Events freuen dürfen. Solange will Nintendo frische Updates veröffentlichen, die noch mehr Farbe ins Spiel bringen.

Okay – genug von dem, was wir schon kannten, kommen wir zu dem, was die Quintessenz von Splatoon sein sollte: Die Frische. Die lässt sich bereits beim Besuch des Plazas ersichten, denn der wurde ein wenig umgeräumt und mit neuen Kleinigkeiten ausgestattet. Der charmante Stil des Vorgängers wurde beibehalten, die Grundstruktur ebenfalls: Links befinden sich weiterhin die Einkaufsläden, rechts ein kleiner Arcade-Bereich zum Starten eines LAN-Multiplayers und vorne die Online-Lobby für den Multiplayer.

Wer nicht hinlaufen möchte, kann mit dem Druck des X-Buttons bequem zu allen Orten reisen. Neu hinzugekommen ist ein kleiner Essensstand im hinteren Bereich, bei dem ihr Boni wie doppelte XP für den Multiplayer erwerben könnt, ein Briefkasten für Zeichnungen, die anschließend auf allen Maps und im Plaza verteilt werden und der Eingangsbereich des brandneuen Horde-Modus Salmon Run.

Der Horde-Modus ist eine überaus spaßige Neuerung, handelt es sich hierbei um einen kooperativen und nicht kompetitiven Modus. Salmon Run schickt euch in Vierer-Gruppen mit Mitspielern aus aller Welt oder euren Freunden in einen waschechten Überlebenskampf: Die mit Pfannen ausgestatteten Salmoniden wollen euch auf einer alten Ölplattform den Garaus machen, tragen jedoch wertvolle Gold-Fischeier mit sich. Für euren Auftraggeber Herr Bär müsst ihr nun die goldenen Fischeier aufsammeln und sie in einen Sammelkorb bringen, müsst euch dabei allerdings mit zahlreichen Gegnern auseinandersetzen.

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Diese sind verrückt liebevoll gestaltet, einige Exemplare verfügen sogar über wahnsinnig bescheuerte Spezialwaffen. Ist eure Jagd nach Goldeiern erfolgreich verlaufen und habt ihr möglichst viele Wellen überstanden, bekommt ihr am Ende einen netten Bonus, den ihr anschließend auch in allen anderen Multiplayer-Modi nutzen könnt. Schade: Es gibt bislang nur zwei Maps, Nintendo möchte aber einige weitere nachreichen.

Erreicht ihr im Ranked-Modus Rang B-, schaltet ihr zudem den brandneuen Liga-Modus frei: Hier müsst ihr im Team gegen eines oder sogar gleich drei weitere innerhalb von zwei Stunden so viele Punkte wie möglich ergattern. Wer am Ende die meisten zusammen kriegen konnte, gewinnt – dieser Modus ist aufgrund seiner Länge nur was für echte Hardcore-Spieler.

Platforming-Spaß der Extraklasse

Genug vom Multiplayer, kommen wir zum rund zehn Stunden langen Singleplayer-Part, der ganz und gar nicht drangeklatscht wirkt: Die Einzelspieler-Kampagne von Splatoon 2 versetzt euch erneut in den Widerstand gegen die Oktarianer, diesmal mit Unterstützung durch Limone, die auf der Suche nach ihrer verschwundenen Schwester Aioli ist. Dabei bereist ihr mehrere unterschiedliche Welten, die wiederum in kleine Level a là Super Mario Bros aufgeteilt sind: Jedes davon ist anders aufgebaut und bietet absurd spaßigen Platforming-Spaß.

Neben Hindernisparcouren und kleineren Rätseln erwarten euch vor allem auch viele Gegner, die mit Hilfe der Spielwelt oder der euch zum Einsatz bereitgestellten Waffen eliminiert werden müssen. Dabei erlebt ihr einige grandios gestaltete Abschnitte, die stellenweise sogar an ein 3D-Sonic-Spiel erinnern und mit enorm viel Abwechslung nicht nur kleckern (ha!) sondern auch klotzen. Am Ende einer jeden Welt erwartet euch ein kurioser, aber wahnsinnig einfallsreicher Bossgegner, die wir euch gar nicht groß spoilern möchten – gesagt sei nur, dass wir unter anderem gegen einen gigantischen Backofen kämpfen mussten.

Viel anpassen, viel Leben

Besonders faszinierend ist weiterhin, wie wahnsinnig lebendig der gesamte Plaza wirkt: Überall laufen Inklinge wie wir herum, bei denen es sich allerdings um echte Spieler handelt, dessen Avatare in eure Welt verfrachtet werden. Alles blinkt, alles ist farbenfroh, alles strotzt nur so vor Leben – auch dank der tollen Zeichnungen, die Spieler am Briefkasten erstellen. Diese werden über den Köpfen der Avatare und als Graffiti an den Wänden und Böden vieler Karten angezeigt und überraschen mit teils weniger, teils überaus beeindruckenden Kunstwerken aus aller Welt.

Überaus angenehm sind die vielen Anpassungsmöglichkeiten eures Charakters: Je weiter ihr im Level aufsteigt, desto mehr Waffen, Klamotten und Schmuckgegenstände schaltet ihr frei. Die Klamotten rotieren munter durch, dazu gehören Pullover, Shirts, Tanktops, Sweatshirts, Brillen, Mützen, Kopfhörer, Mundschutze und natürlich auch Schuhe. Jedes Kleidungsstück bietet euch Vorteile und Nachteile im Kampf mit den Gegnern, muss beim Kauf also nicht nur aus ästhetischer Sicht unter die Lupe genommen werden.

Besonders viel Atmosphäre wird durch den Grafikstil übermittelt: Das Design der Spielwelt, der Karten, der Tinte (wie gut kann Tinte bitte aussehen!), der vielen kleinen NPCs und Charaktere – alles stimmt, nichts wirkt unpassend. Auch der Soundtrack bietet mit seinen frechen Beats genug Motivation für viele, viele Spielstunden.

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Online-System der vorletzten Generation

So viel man auch positiv über Splatoon 2 träumen mag, die Schattenseiten der üblichen Nintendo-Online-Politik kommen einmal mehr verstärkt zur Geltung. Da ist die Tatsache, dass wir in den Online-Modi noch immer keine Karten auswählen können und stattdessen die zweistündliche Rotation abwarten müssen, fast noch zu verschmerzen. Auch wenn wir den Grund dafür, dass der Horde-Modus nur zu bestimmten Uhrzeiten geöffnet ist, absolut nicht nachvollziehen können. Jetzt mal ernsthaft, wer ist bei Nintendo dafür verantwortlich und wann kann die Person für diese Entscheidung gefeuert werden?

Es sind die kleinen Dinge, die das Online-Abenteuer von Splatoon 2 auf ein Minimum schmälern: Die Peer-2-Peer-Verbindungen, die durch den Mangel an echten Servern für ironisch-komische Situationen sorgen, die fehlende Möglichkeit eine Lobby zu verlassen, bis das Spiel vorbei ist, Verbindungsprobleme, weil die Konsole eines anderen Spielers Probleme macht – all das gehört leider zum Alltag. Obendrein ist es nicht möglich Mitspieler in eine Lobby einzuladen und mit ihnen zusammen nach einem Spiel zu suchen (merkwürdigerweise ist dies beim Horde-Modus problemlos möglich!), stattdessen muss jedem Freund einzeln nachgejoint werden.

Auch wenn die Companion-App und das SplatNet2 für Smartphones und Tablets nützlich erscheinen mag, gibt es keinen Grund, warum so viele Features auf eine App ausgelagert werden müssen. Eine Match-History existiert im Spiel nicht, sondern nur in der App, verdächtige Spieler melden geht im Spiel nicht, sondern nur in der App, Freunde zum Voice-Chat einladen geht im Spiel nicht – sondern nur in der App. Letzeres ist besonders kurios: Der Voice-Chat funktioniert nämlich nur in einer sogenannten Online-Lounge, die erst auf der Konsole gestartet werden muss, euch dann auf die App verweist, wo ihr dann eure Mitspieler einladen könnt, um dann auf die Spieler in der App zu warten, bis sie dann auch auf eurer Konsole in die Lobby kommen. Klingt kompliziert, ist es auch. All das ist nicht nötig, sondern entspricht dem Online-System der vorletzten Generation.

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