„Half-Life 3“ ist wohl das bis heute am sehnlichsten erwartete Videospiel in der Geschichte der gesamten Branche. Nach den ersten beiden Ablegern Half-Life und Half-Life 2 folgten in den Jahren 2006 und 2007 die beiden Episoden „Half Life 2: Episode One“ und „Half Life 2: Episode Two“. Nachdem die zweite Episode mit einem großen Cliffhanger endetet und Spieler mit einem offenen Ende zurückließ, begann das große Warten, das bis heute nicht beendet wurde. https://www.youtube.com/watch?v=O2W0N3uKXmo&feature=emb_logo Der lange Weg bis Half-Life: Alyx Doch Ende letzten Jahres kündigte Valve überraschend einen Half-Life-Ableger mit Gordon Freemans Sidekick Alyx Vance als Protagonistin an. Die Freude der Fans hielt sich zunächst in Grenzen, schließlich handelt es sich hierbei um einen reinen VR-Titel, der ausschließlich mit entsprechenden Virtual-Reality-Headsets gespielt werden kann. Am 24. März 2020, also einen Tag nach dem offiziellen Release von „Half-Life: Alyx“, sprach Entwickler Dario Casali in einem Interview mit IGN Entertainment über die bislang fehlende Episode Three zu „Half-Life 2“. Er erklärte, dass die Entscheidung, einzelne Episoden zu entwickeln, getroffen wurde, damit Fans nicht noch einmal ganze sechs Jahre auf ein Sequel warten mussten. Doch schon während der Arbeiten an Episode Two wurde klar, dass diese deutlich umfangreicher als geplant ausfallen würde. Letztendlich arbeitete Valve zwei Jahre an der zweiten Episode. Die Hürde für „Half-Life 3“ war also von vornherein groß. Hinzu kam, dass Valve nach Episode Two mit Source 2 schon die nächste Engine entwickeln wollte. Schließlich fiel die Entscheidung, dass die beiden Entwicklungen nicht parallel stattfinden sollten. Erst 2016 war die Engine ausgereift genug, um mit den Arbeiten von „Half-Life: Alyx“ zu beginnen, das sich insgesamt vier Jahre in der Entwicklung befand. Somit vergingen zwischen dem Release von „Half-Life: Episode Two“ und „Half-Life: Alyx“ satte 13 Jahre. © Valve Zeitliche Einordnung und Handlung Bei „Half Life: Alyx“ handelt es sich um ein Prequel zu den Ereignissen von „Half Life 2“ und den beiden ersten Episoden, in dem der Spieler in die Rolle von Alyx Vance schlüpft, die bereits aus dem zweiten Teil und den folgenden zwei Episoden bestens bekannt sein dürfte. Zeitlich ist der Shooter zwischen den Ereignissen von „Half-Life“ und „Half-Life 2“ angelegt. Die außerirdischen Eroberer, die Combine, haben seit dem Black Mesa-Vorfall ihre Vorherrschaft über den Planeten weiter ausgebaut und die übriggebliebene Bevölkerung in Städte eingepfercht. Auch Eli Vance, der Vater von Alyx, befindet sich in Gefangenschaft und stellt zu Beginn des Spiels die Motivation ihres und somit eures Handelns da. Später stellt sich heraus, dass die Combine eine geheimnisvolle Waffe bewachen, die von euch zerstört werden muss, was wiederum einen große Teil der Hanldung darstellt. So viel also zu der groben Handlung, von der wir an dieser Stelle nicht mehr verraten möchten. Schließlich solltet ihr euch am besten ein VR-Headset überstreifen und selbst in das Half-Life-Universum abtauchen, denn in einer solchen Form habt ihr dieses garantiert noch nie erlebt. © Valve Ein VR-Meisterwerk, das mir wieder das Fürchten lehrte Als Valve seinen neuen VR-Titel ankündigte, war ich im ersten Moment wenig begeistert. Möglicherweise war es die Enttäuschung darüber, dass ein „echtes“ „Half Life 3“ weiterhin in unerreichbare Ferne rückte, wie bei so vielen. Ich erwartete schlicht einen seichten VR-Ableger der bekannten Reihe, der eher zu Werbezwecken diente und letztendlich nur die Verkäufe von Valves eigenem VR-Headset Index ankurbeln sollte. Und genau dies funktionierte vor dem Release wunderbar, auch wenn Geräte anderer Hersteller wie zum Beispiel die Oculus Rift ebenfalls mit dem Spiel kompatibel sind. Aber als „Half Life: Alyx“ schließlich auf der Festplatte meines PCs installiert war und ich das erste Mal die Oculus Rift überzog, hätte der Wow-Moment wohl nicht größer sein können. Im Körper der charmanten Alxy stand ich plötzlich auf einem Balkon und ließ meinen Blick über die Dächer von City 17 schweifen. Eben jener Stadt, die ich schon so oft in den anderen Ablegern erlebt habe. Es war ein vertrautes Gefühl und doch war alles irgendwie völlig anders. Ich drehte meinen Kopf und anschließend meinen gesamten virtuellen Körper um 360 Grad, um das gesamte Panorama vor mir zu erkennen. Mit dem rechten Stick meines Rift-Controller bewegte ich mich vorwärts, verscheuchte dabei einige Tauben, die auf dem Dach saßen und musterte aufmerksam die Umgebung. Schließlich ist die Interaktionsfülle nahezu unerschöpflich. Mit herumliegenden Stiften kann auf verschiedene Oberflächen geschrieben oder gemalt werden, Objekte lassen sich auf die Straße werfen und besonders geschickte Spieler können sogar mit mehreren Objekten gleichzeitig jonglieren. Und trotz der vielen Gegenstände wirken die Schauplätze trotzdem zu jeder Zeit in sich stimmig und nicht unnatürlich überladen. © Valve Alle Optionen, die ihr euch wünscht Habt ihr in VR-Titeln regelmäßig mit Motion Sickness zu kämpfen, findet ihr im Menü nahezu alle wichtigen Optionen, um die Bewegungsart und Steuerung an eure individuellen Ansprüche anzupassen. Beispielsweise kann gewählt werden, ob ihr euch per Analogstick an von euch markierte Stellen teleportiert oder es doch lieber ein flüssiges Bewegungsschema sein darf. Auch bei der Drehung wählt ihr, ob sich Alyx bei Berührung des Sticks nur zum Beispiel um 30 Prozent herumdreht oder eine größere Drehung einlegt (oder eben übergangslos). Für euer Wohlgefühl ist es zu Beginn wichtig, dass ihr die perfekten Einstellungen findet, denn „Half Life: Alyx“ wird euch im Laufe der 15-20 stündigen Kampagnen körperlich wie mental an eure Grenzen bringen. Wer VR-Spiele nicht gewohnt ist oder Horrospiele schon in normaler Form nicht verträgt, dem raten wir an dieser Stelle ausdrücklich von einem Spieldurchgang ab! Virtuelle Schießeisen Schon früh erhaltet ihr eure erste Waffe in Form einer einfachen Pistole, die sich aber in der authentischen VR-Welt beinahe wie eine echte Waffe anfühlt. Dieses Gefühl wird noch einmal dadurch verstärkt, dass ihr diese von Hand nachladen müsst. Hierzu muss erst einmal per Button das Magazin ausgeworfen werden. Mit einem Griff nach hinten über die Schulter nehmt ihr euch aus dem Rucksack ein frisches Magazin, das anschließend in die Waffe eingeführt werden muss. Als letzten Schritt zieht ihr den Schlitten der Pistole nach hinten und ladet die Waffe somit durch. Diese Bewegungsabfolge solltet ihr zu Beginn unbedingt verinnerlichen. Sitzen die Handbewegungen im späteren Spielverlauf nicht, kann dies ganz schnell euer virtuelles Aus bedeuten. Das sind die Russels! Das aber wohl coolste Feature im Spiel besteht aus Gravitationshandschuhen, die ihr von eurem Verbündeten namens Russel erhaltet. Dieser steht über Funk immer wieder mit Alyx in Kontakt und sorgt mit seinen trockenen Sprüchen für herrlich humorvolle Momente, die ihr in „Half-Life: Alyx“ definitiv vertragen könnt. Sind die Handschuhe erst einmal in euren Besitz übergegangen, könnt ihr damit entfernte Objekte ganz einfach durch eine einzige Handbewegung zu euch herüberziehen. Auch das benötigt am Anfang etwas Übung, doch ist der Knoten erst einmal geplatzt, könnt ihr zum Beispiel während eines Kampfes ein in der Umgebung liegendes Pistolenmagazin zu euch herüberfliegen lassen und dieses anschließend mit einer flüssigen Handbewegung fangen und in eure Waffe schnellen lassen. Was gibt es bitte Cooleres? © Valve Glücklicherweise lässt sich das Spiel Zeit, damit ihr genügend Spielraum habt, um alles Gelernte später abrufen zu können. Denn spätestens, wenn ihr das erste Mal einer Kopfkrabbe (Headcrabs) in natura (VR) gegenübersteht, werdet ihr euch überlegen, das Headset wieder abzuziehen. Denn diese Wesen sind schon in „Half-Life“ nervig und vor allem eklig anzusehen. Doch in VR haben die Parasiten, die Menschen befallen und schließlich zu willenlosen Zombies machen, eine völlig andere und deutlich nahbarere Wirkung. Jedes Mal, wenn diese Viecher auf euch zugesprungen kommen, werdet ihr unweigerlich Gänsehaut bekommen. Auch die ekligen Barnacles, die in dunklen Ecken an Decken hängen und mit ihrer langen Zunge unvorsichtige Opfer zu ihren langen Reißzähen hinaufziehen, dürften in VR durchaus eine verstörende Wirkung auf Spieler haben. Zwar haben die Entwickler extra betont, dass sie bei ihrem Titel auf billige Jumpscares verzichtet haben, da diese in einem solchen VR-Spiel nichts zu suchen haben, Horror erhaltet ihr aber trotzdem mehr als genug. Die Taschenlampe, die ihr später im Spiel dankenswerterweise erhaltet, die an einem eurer Handschuhe befestigt wird, ist zwar ein hilfreiches Werkzeug gegen die oft völlige Finsternis, doch gerade mit solchen Passagen treiben die Entwickler die mentale Auslastung so gekonnt auf die Spitze, dass man sich mit seinen Controllern oft nur noch zitternd und halb geduckt durch die Level schleicht. Dabei müsst ihr gleichzeitig ständig mit eurer Pistolenhand auf mögliche Gegner hinter der nächsten Ecke zielen und mit der anderen Hand den Lichtkegel der Taschenlampe lenken. Wie gut, dass es auch Kämpfe gegen die Combine-Soldaten bei Tageslicht gibt, die euch aber ebenfalls schwitzen lassen. Doch weniger aus Angst, sondern vielmehr aufgrund der körperlichen Betätigung. Ihr könnt euch aus Deckungen lehnen, hinter Tonnen oder Autotüren verstecken und müsst dabei ständig die Umgebung nach Feinden im Blick haben. Wenn dann wieder ein Magazinwechsel ansteht, kann schon einmal leichte Überforderung einsetzen. Nach einer Partie „Half Life: Alyx“ wisst ihr definitiv, was ihr gemacht habt - wer muss da dann noch in ein Fitnessstudio gehen? © Valve Das Model unter den VR-Spielen Ob wir die fantastische Grafik an dieser Stelle noch einmal hervorheben müssen, erscheint fraglich. Doch wir können euch versichern, dass die Source 2 Engine ein wahnsinnig gutaussehendes Spiel auf euren Monitor beziehungsweise auf eure zwei Linsen im VR-Headset zaubert. City 17 steckt voller Details und ist an so vielen Stellen mit kleinen Extras versehen, die einfach ausprobiert oder betrachtet werden wollen. Genau so würde man sich die Stadt wohl vorstellen, wenn sie denn nur in der Realität existieren würde. Ebenfalls fantastisch umgesetzt sind die verschiedenen Minispiele und Rätsel, auf die ihr immer wieder treffen werdet. Denn all eure Waffen lassen sich im späteren Verlauf gegen sogenannte Polymere, die ihr immer wieder in Kisten und Co. findet, verbessern. Doch um entsprechende Automaten erst einmal zugänglich zu machen, wollen diese von euch gehackt werden. Dazu müsst ihr in einem Minispiel zum Beispiel innerhalb einer holographischen Kugel einen Schlüssel zu einem Schloss bewegen, dürft dabei aber nicht gegen an sich bewegende rote Pfeile stoßen. Diese Funktionsweise fordert von euch, dass ihr nach intensiven Kämpfen oder heftigen Horror-Passagen blitzschnell auf ruhige Konzentration umschaltet und eine ruhige Hand beweist. Ebenfalls über jeglichen Zweifel erhaben ist die Soundkulisse in „Half-Life: Alyx“. Schon aus einiger Entfernung könnt ihr die parasitären Barnacles wahrnehmen oder hört die spinnenähnlichen Kopfkrabben, wie sie sich in einer verborgenen Ecke auf einen blitzschnellen Angriff vorbereiten. Wuchtig klingen hingegen die verschiedenen Waffen, wodurch Gefechte noch packender und intensiver erlebt werden. Lediglich die Explosionen von Granaten hätten sowohl in grafischer als auch akustischer Hinsicht etwas mehr hermachen dürfen. © Valve Kleine Fehler und Schwächen Bei all dem Lob müssen wir aber natürlich auch auf eventuelle Schwächen eingehen, von denen „Half-Life: Alyx“ glücklicherweise nicht sonderlich viele besitzt. Aber vor allem mit kleineren Clipping-Fehlern solltet ihr immer mal wieder rechnen. Zum Beispiel, wenn Gegenstände wie eine Spritze in den Arm von Alyx ragen und damit das Körpergefühl minimal negativ beeinflusst wird. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch erwähnen, dass genau dieses Gefühl in den meisten Fällen wunderbar funktioniert, wenn wir uns zum Beispiel mit der flachen Hand an Wänden abstützen oder uns so ganz nah an Deckungen schmiegen, um nicht getroffen zu werden und die Umgebung dadurch noch einmal ganz anders erleben. Wie viele VR-Titel wird auch in „Half Life: Alyx“ das Gewicht von Gegenständen und Objekten nicht akkurat wiedergegeben. Selbst schwere Kisten oder Tonnen können wir immer mindestens mit beiden Händen locker anheben, ohne dabei das Gefühl zu bekommen, dass wir hier 20 oder 30 Kilogramm bewegen. Eine weitere Kleinigkeit betrifft die fehlende deutsche Sprachausgabe, denn ihr könnt lediglich einen deutschen Untertitel hinzufügen. Das stört zum einen etwas die Immersion und zum anderen kann es in hitzigen Situationen, bei denen ihr euch nicht auf Untertitel oder englische Sprache konzentrieren könnt, dazu führen, dass ihr einem Gespräch nicht vollständig folgen könnt, wenn ihr dieser nicht mächtig seid. Wichtig: Eines solltet ihr vor dem Kauf von „Half-Life: Alyx“ übrigens unbedingt beachten. Neben einem VR-Headset müsst ihr über einen potenten PC mit einer starken Grafikkarte und einem entsprechenden Prozessor verfügen. Ansonsten werdet ihr mit dem VR-Titel nur wenig Spaß haben.