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The Callisto Protocol unter den hohen Erwartungen im TEST

Vielfältige Gegner, wenig Bosse

Was uns an „The Callisto Protocol“ gut gefällt, ist die relativ große Bandbreite an Feindtypen. Es gibt eine Reihe besonders schneller Exemplare oder auch krabbelnde Biester, die sich zwischenzeitlich tarnen und dabei fast unsichtbar machen können.

Es gibt explosive oder entflammten Typen, die ihr keinesfalls zu nah an euch heran lassen solltet. Andere beherrschen auch Fernangriffe, denen nur schwer zu entkommen ist. Und, auch wenn sich solche Jump-Scare-artigen Momente im späteren Verlauf zunehmend abnutzen, schrecken wir doch immer wieder hoch, wenn sich plötzlich neben uns eine vermeintliche Leiche erhebt oder vor und hinter uns ein Mutant durch einen Lüftungsschacht oder Ähnliches bricht. Im weiteren Verlauf der Kampagne kommen auch Gegner hinzu, die mitten im Kampf zu stärkeren Varianten mutieren. Verhindern könnt ihr dies nur, wenn ihr ausreichend schnell auf die kurz davor aus dem Bauch sprießenden Tentakel schießt.

© Striking Distance Studios

Blöd an diesen Feinden ist allerdings, dass es offenbar immer zum Versuch der Mutation kommt. Greift ihr also einen dafür vorgesehenen Gegner, wobei ihr natürlich von außen nicht erkennen könnt, ob dieses oder jenes Monster eine solche Verwandlung einleiten soll, und werft ihn etwa auf eine der Stachelwände, landen diese automatisch auf dem Boden davor. Da wird „Callisto Protocol“ also regelrecht künstlich.

Nicht optimal gelöst ist zudem das Stealthkill-System. Jacob kann aktiv schleichen und zumindest einen praktisch blinden Feindtyp mit seinem Messer von hinten attackieren und damit heimlich ausschalten. Aber offenbar können die Biester auch nichts hören und fühlen, denn selbst, wenn wir wenige Zentimeter gehockt an ihnen vorbeigehen, oder vermutlich recht lautstark wie ein Berserker mit dem Messer auf sie einstechen, bekommen die Kollegen davon nichts mit. Schon ein bisschen billig. Andererseits trefft ihr in einem bestimmten Spielabschnitt auf so viele dieser Gegner auf einmal, dass das Stealth-System doch wieder irgendwo Sinn ergibt. Denn lasst ihr es zu einem offenen Konflikt kommen, ist es nahezu unmöglich, diesen zu überleben.

Während die Vielfalt an normalen Feindtypen passt, enttäuscht „Callisto Protocol“ bei den Bossen. Man kann deren Anzahl gewiss unterschiedlich berechnen, da einer davon an gleich mehreren Stellen erneut auftaucht. Aber wenn man ehrlich ist, gibt es im Spiel lediglich zwei echte Bossfights, den ersten (wobei weitere Exemplare dieses Typs später mehrfach wieder auftauchen) nach ungefähr der Hälfte der Kampagne, den zweiten kurz vor dem Ende. Obgleich wir damit vielleicht bereits einmal zu oft den Vergleich zu „Dead Space“ ziehen mögen, das ist echt mager und für ein Survival-Actionspiel letztlich zu wenig.

Tolle Grafik, durchwachsene Performance

Während „The Callisto Protocol“ in so manchen Bereichen Glen Schofields früheren Werken nur bedingt auf Augenhöhe begegnet, gibt es bei Grafik und Sound nur wenig zu meckern.

Das Spiel auf Basis der Unreal Engine 4 sieht überwiegend richtig klasse aus, bietet erstklassige Texturen und überwiegend gute (Partikel-)Effekte. Sehr cool ist auch, wie auf Jacobs Kleidung Matsch, nachdem er durch einen Abwasserkanal kriecht, oder auch das Blut der Gegner in seinem Gesicht oder auf seiner Häftlingskluft oder später am Raumabzug seine Spuren hinterlässt.

© Striking Distance Studios

Stark sind auch Soundeffekte und Sounddesign, die besonders über Kopfhörer, aber auch mit einer gescheiten Soundbar eine höchstatmosphärische Wirkung erzielen. Lediglich die Abmischung der deutschen Sprachausgabe, die häufiger zu leise, und fälschlicherweise auf Englisch abgespielte Voicetakes darin, stören dezent die Atmosphäre. Bei ein paar Sprachschnipseln, etwa wenn die für die Story bedeutende Figur Dani (gespielt von der Schauspielerin Karen Fukuhara) fordernd „Lass mich rein“ brüllen sollte, intoniert die deutsche Sprecherin dies schlichtweg mit einer unpassenden Ruhe. Wer gleich auf Englisch spielt, zumal Jacob darin nicht ganz so unsympathisch rüberkommt, kann dieses Problem aber natürlich leicht umschiffen.

Mit Blick auf die Performance allerdings leistet sich „Callisto Protocol“ ein paar unschöne Aussetzer, wenngleich diese sich allenfalls begrenzt auf die Spielbarkeit auswirken.

Während unseres Tests auf Xbox Series X waren bereits in früheren Spielabschnitten, etwa immer wieder teils heftige Slowdowns zu beobachten. In einzelnen späteren Passagen geriet das Spiel gar zur Diashow, lag also über einen längeren Zeitraum hinweg deutlich sichtbar unter 30 Frames. Mitunter auch im niedrigen zweistelligen fps-Bereich, wobei die Wirkung durch den leicht wackeligen „Handkamera-Stil“ der Verfolgerkamera verstärkt wird. Es mag sein, dass sich an diesen Performance-Problemen mit kommenden Updates noch etwas ändert – immerhin gibt es ja auch vergleichbare Szenen, in denen „Callisto Protocol“ weitgehend sauber performt. In unserer Testfassung (zuletzt Version 1.2.0.0) sind die genannten Performance-Schwächen aber noch eher die Regel als die Ausnahme.

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Benjamin Braun

Wortkarger Lange-Texte-Schreiber. FC-Fan und Piranha-Bytes-Vergötterer. Heizt mit Spielekonsolen statt mit Gas. Könnte täglich Pizza futtern, hat aber nie mehr als fünf Tage am Stück geschafft.
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