In Zeiten, in denen Videospiele immer anspruchsvoller und zeitaufwändiger werden, präsentiert sich das malerische Indie-Spiel The First Tree als gelungenes Gegenbeispiel. Was das Abenteuer um eine stumme Füchsin so besonders macht und ob sich der Ausflug in die mystische Welt lohnt, verraten wir euch in unserem Test der Xbox One-Version.
Spiele wie Firewatch oder What Remains of Edith Finch sind positive Beispiele für das Genre der Walking-Simulatoren oder “narrative Explorations-Adventures”. Titel, in denen wir die Geschichte selbst entdecken müssen, während wir spielen.
Über ein Jahr nach dem PC-Release ist das Adventure The First Tree zum Jahresende 2018 auch für die Konsolen erschienen.
Auch The First Tree von Entwickler David Wehle schlägt in diese Kerbe und präsentiert sich als wunderschönes Adventure, das uns im Test emotional berührt hat. Komplexe Spielmechaniken suchen wir in dem Titel vergebens und auch die Spielzeit fällt mit knapp zwei Stunden überschaubar aus. Doch wer sich auf The First Tree einlässt, bekommt es mit einer spannenden Geschichte zu tun, die uns sogar besser verstehen lässt, wer wir wirklich sind.
Eine Reise zum eigenen Ich
Genau genommen sind es sogar drei Geschichten: Zum einen die Geschichte, die sich auf dem Bildschirm abspielt. Wir schlüpfen in die Haut einer Mutterfüchsin auf der Suche nach ihren Jungen. Gleichzeitig tritt jedoch der Erzähler in Erscheinung, der seiner Partnerin von seiner Jugend, Rebellion und dem tragischen Verlust seines Vaters erzählt.
Wie sich herausstellt, ist die Füchsin Bestandteil eines seltsamen Traumes, der den Erzähler heimsuchte und dessen Inhalt er im Rahmen der knapp zweistündigen Handlung mit seiner Partnerin teilt. Die dritte Geschichte hingegen, die das Spiel nicht explizit erwähnt, ist unsere eigene und spielt sich in unserem Kopf ab, während wir mit dem einsamen Fuchs abwechslungsreiche Landschaften erkunden.
Der Erzähler spricht von seiner Jugend und den Sünden die er begangen hat. Er berichtet von Auseinandersetzungen mit seinem Vater und der späten Erkenntnis darüber, warum sein Vater in bestimmten Situationen so reagiert hat. In unserem Kopf häufen sich die Fragen: Wie war das eigentlich in meiner Jugend? Vielleicht war dieser nervige Druck von meinen Eltern doch hilfreicher als ich eigentlich gedacht hatte?
The First Tree regt zum Nachdenken an und sorgt mit seinem melancholischen Grundton für eine ganz besondere Atmosphäre. Während auf dem Bildschirm die Verzweiflung der Füchsin auf ihrem Weg zur Quelle des Lebens immer greifbarer wird und gleichzeitig der Erzähler von der Verbundenheit zu seinem Vater berichtet, wird schnell klar, dass der Weg das eigentliche Ziel ist.
Die Geschichte steht im Fokus
In The First Tree dreht sich alles um die unglaublich emotionale Handlung, die vom unaufhaltsamen Kreislauf des Lebens, der Akzeptanz von Verlusten und dem Schöpfen neuen Mutes erzählt. Die eigentlichen Spielmechaniken des Adventures fallen äußerst überschaubar aus, trotzdem entfaltet das Spiel eine unglaubliche Faszination, die dafür sorgt, dass wir unbedingt mehr über die Welt und den Erzähler erfahren möchten.
Natürlich gibt es auch typische Videospiel-Elemente wie Sprungpassagen oder Sammelgegenstände, Rätsel oder Action glänzen in dem ruhigen Abenteuer allerdings gänzlich durch Abwesenheit. Das ist schade, vor allem da die Steuerung trotz begrenzter Möglichkeiten nur bedingt funktioniert und immer wieder für Probleme oder Ungenauigkeiten sorgt.
Das alles ist jedoch nur Mittel zum Zweck, damit wir durch die wunderschönen, in Pastellfarben gehaltenen Gebiete navigieren, in denen wir an bestimmten Stellen immer wieder auf Holzspielzeuge oder Kindheitserinnerungen treffen. Diese verlorenen Objekte kombinieren die beiden Geschichten gekonnt miteinander, die mehr und mehr zu einem großen Ganzen verschmelzen.
Gerade die sammelbaren Sterne sorgen zum Ende hin für eine gewaltige Überraschung, die wir hier allerdings nicht vorweg nehmen wollen. Nur so viel: Das außergewöhnliche Finale lässt die gerade erlebte Reise noch einmal in einem ganz anderen Licht erstrahlen.
Aus technischer Sicht macht The First Tree trotz aufpoppender Elemente und Texturen eine Menge richtig. Dies verdankt das von nur einem Entwickler produzierte Spiel vor allem dem stimmigen und farbenfrohen Low-Poly-Look, der stimmungsvolle Szenerien auf den Bildschirm zaubert.
Besonderes Lob gebührt aber vor allem der erstklassigen Vertonung: Nicht nur der Soundtrack transportiert mit herzzerreißenden Klängen die ohnehin dichte Atmosphäre hervorragend, auch der englische Sprecher (und seine Partnerin) sorgen mit nahezu perfektem Voice-Acting für stets passende Stimmung. Immerhin gibt es zum Nachlesen auch deutsche Bildschirmtexte, die zwar nicht gänzlich frei von Fehlern sind, trotzdem die Stimmung sehr gut einfangen.