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The Lion’s Song: Episode 1 – Silence: Kostenlose Indie-Perle oder doch alles umsonst?

In The Lion's Song: Episode 1 – Silence von Entwickler und Publisher Mi'pu'mi Games schlüpfen wir in die Haut der jungen Musikstudentin Wilma. An Erfolgsdruck und einer Schreibblockade leidend, versucht diese in der Einsamkeit einer österreichischen Berghütte genügend Inspiration für die Beendigung ihres aktuellen Werkes zu finden, denn ein großes Konzert steht kurz bevor. In unserem Test sprechen wir darüber, was das Indie-Adventure zu bieten hat und wo wir für die folgenden Episoden noch Verbesserungsbedarf sehen.

The Lion's Song von Entwickler und Publisher Mi'pu'mi Games ist ein narratives Adventure, das den Spieler in vier Episoden an dem Leben verschiedener Menschen teilhaben lässt. Jeder für sich mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet, sehen sich eine Komponistin, ein Maler und eine Mathematikerin Anfang des 20. Jahrhunderts mit kreativen Krisen konfrontiert, die sie ihren lang ersehnten Erfolg kosten könnten. Ihre Geschichten sind hierbei noch nicht in Stein gemeißelt, denn am Ende ist es der Spieler, der durch seine Entscheidungen ihr Schicksal besiegelt. Sämtliche Episoden erscheinen zunächst für PC, kurz darauf aber auch für iOS und Android. Bisher ist nur die erste, kostenlose Episode erhältlich, die drei folgenden können aber gemeinsam über den Season Pass für 9,99 Euro vorbestellt oder später einzeln für je 3,99 Euro erworben werden. Der Titel ist in deutscher, englischer, italienischer, französischer und spanischer Sprache spielbar. Die erste Episode erschien am 07. Juli 2016 auf Steam.

In The Lion's Song: Episode 1 – Silence lernen wir die junge Musikstudentin Wilma kennen. Unter einer Schreibblockade leidend, fällt ihr die Komposition ihres neuesten Stückes besonders schwer. Das Angebot ihres Mentors und Professors Arthur, sich in seiner einsamen Berghütte zurückzuziehen, zur Ruhe zu kommen und ihr Werk zu vollenden, hört sich in diesem Kontext ziemlich verlockend an. Doch der Druck steigt, denn erst in der österreichischen Einsamkeit erfährt Wilma, dass Arthur bereits hinter ihrem Rücken ein Konzert geplant hat. Nur noch wenige Tage verbleiben, bis die junge Studentin als Hauptakt zwischen anderen kreativen Köpfen ihr neuestes Werk präsentieren soll.

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Entscheidungen und ihre Folgen

Die Entscheidung ist längst gefallen, eine Wahl oder gar ein Mitspracherecht haben wir nicht. Doch es führen viele Wege nach Rom und auch die Entstehung eines künstlerischen Werkes ist selten linear. So gibt es verschiedene Objekte, aus denen Wilma Inspiration ziehen kann. Bücher, Briefe, Geräusche aus der Umwelt, die Worte anderer oder die eigene völlige Übermüdung haben ihre ganz eigene Melodien, die Wilma dank ihres außergewöhnlichen Talents zu Papier bringen kann. Wir treffen dabei für die junge Frau die eine oder andere wichtige Entscheidung. Hören wir auf unsere menschlichen Bedürfnisse oder treiben wir uns selbst weit über unsere Grenzen hinaus? Isolieren wir uns oder lassen wir uns auf menschlichen Kontakt ein? Aber auch über uns selbst müssen wir uns Gedanken machen und uns auf das besinnen, was uns wirklich wichtig ist. Liebe, Familie oder Erfolg sind dabei alles legitime Entscheidungen, solange wir nur voll hinter ihnen stehen. Konfrontiert werden wir mit diesen noch einmal am Ende, als uns die offenbar relevanten Entscheidungen aufgelistet werden. Hier erfahren wir auch, wie sich andere Spieler entschieden haben und dass es offenbar an manchen Stellen Optionen gab, die uns so gar nicht bewusst waren.

Minimalistische Umsetzung

Technisch gesehen ist der Titel ziemlich einfach gehalten. Eine in eher dunklen Farben gehaltene Pixelgrafik mit einer handvoll verschiedenen Hintergründen führt uns durch das narrative Point & Click-Adventure. Wir interagieren dabei über die Maus mit verschiedenen Gegenständen oder Gesprächsoptionen und unsere Entscheidungen haben Auswirkungen auf den Verlauf des Spiels, zumindest kündigte dies der Entwickler so im Vorfeld an. Um zu testen, wie viel Vielfalt der Titel wirklich bietet oder ob jede Option die gleiche Reaktion hervorbringt, spielen wir ihn dreimal durch und stiften ein weiteres leidenschaftliches Spielerherz dazu an, selbst zu experimentieren. Und tatsächlich: Wir können nicht nur je nach Spielweise Verschiedenes über Wilma und ihre Umwelt erfahren, nein, manche Optionen bleiben uns als Folge unseres jeweiligen Verhaltens sogar verwehrt. Immer wieder fallen uns neue Optionen und Kombinationen auf, alle Steam-Trophäen haben wir am Ende aber trotzdem nicht freigeschaltet. Ob unsere Entscheidungen auch wie versprochen einen Einfluss auf die kommenden Episoden haben, können wir natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht beurteilen.

Stille als stilistisches Mittel

Die simple Grafik wird ergänzt durch eine fehlende Vertonung der Mono- und Dialoge. Abgesehen von einer sanften Hintergrundmusik oder – mal mehr, mal weniger lauten – Geräuschen der Umwelt, schlägt uns während der gesamten Spielzeit eine fast eiserne Stille entgegen. Erst etwas bedrückend wirkend, entpuppt sich das Ganze schnell als durchaus sinnvolles stilistisches Mittel, das den Fokus ganz auf Wilmas Ängste und die in ihr rotierenden Gedanken lenkt. Auditive Störquellen nehmen auch wir schnell als unangenehm wahr und versuchen so gemeinsam mit der jungen Komponistin über die Herstellung einer äußeren Stille auch der Integrierung einer inneren Ruhe näherzukommen. Trotz minimalistischer Grafik und wenig Animationen gelingt es dem Entwickler, die Emotionen der Protagonistin einfühlsam und authentisch zu vermitteln. Obwohl wir uns pro Durchgang nur etwa eine Stunde lang in der Welt der Stille bewegen, fühlen wir uns den Charakteren – je nach Spielweise – am Ende doch ziemlich nah. Hierzu mögen auch die durchaus liebevoll gestalteten Dialoge beitragen, die – nach den ersten, sich zu aufgesetzt anfühlenden Minuten – neben der Musik das tragende Element des Titels sind.

Träume: Spiegel der Seele

Neben dem gezielten Einsatz der Musik und Geräuschkulisse, wählt Mi'pu'mi Games noch einen anderen, recht außergewöhnlichen Weg, uns die Innenwelt des Hauptcharakters unaufdringlich näherzubringen: ihre Träume. Hier manifestieren sich Wilmas Ängste und zeichnen das Bild einer erschöpften, unsicheren Frau, die gefallen will und sich auf der Suche nach Anerkennung selbst verloren hat. Im Spiel auch direkt auf den Psychoanalytiker Siegmund Freud hinweisend (welcher u.a. der Auffassung war, dass Träume der Schlüssel zu den unbewussten Konflikten eines Menschen sind), lässt der Entwickler uns eine gewisse Freiheit, Wilmas Träume zu deuten, ohne uns eine scheinbar richtige Antwort in Form ein paar konkreter und erklärender Zeilen vorzusetzen. Das macht es berührender, nachdenklicher und… ja, fast ein wenig intim.

Eine Geschichte über Kreativität und Erfolgsdruck 

Geeignet ist der Titel nicht nur für Indie- und Adventurefans, sondern besonders auch für kreative Menschen. Ob nun musisch, schreiberisch oder mit Stift oder Pinsel arbeitend, die meisten von uns haben bereits Erfahrungen mit einer entsprechenden Blockade gesammelt. Kreativität als vielfältiges, aber nicht unendlich verfügbares Gut mit den verschiedensten Regenerationsquellen, Freuden, aber auch dem Druck durch andere und vor allem sich selbst einmal in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen, ist eine interessante und sich in diesem Titel authentisch umgesetzt anfühlende Idee. Wie Wilmas Geschichte in den Kontext von The Lion's Song passt und ob der Einfluss unserer Entscheidungen auf das finale Ende tatsächlich so groß sein wird wie Mi'pu'mi Games im Vorfeld versprach, bleibt abzuwarten. Schließlich fehlen noch drei Episoden, bevor die Geschichte der drei Protagonisten zu Ende erzählt ist.

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