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The Walking Dead: Season 1: Alle Episoden im Test

Blutig, mitreißend und emotional – mit der fünften und finalen Episode No Time Left steuert The Walking Dead mit vollem Karacho auf das Ende zu. Wir haben uns für Euch durch alle Episoden geschwitzt, gezittert und gekämpft und verraten in unserem Test, warum Telltale Games Zombie-Adventure trotz des Comic-Stils ganz sicher nicht für schwache Nerven zu empfehlen ist. Am 21. November erschien die fünfte und somit finale Episode des Zombie-Adventures The Walking Dead. Dank der mittlerweile rasant angestiegenen Beliebtheit bei Fans wurde sogar eine zweite Staffel angekündigt. Anfangs war die Skepsis groß, ob ein Erscheinen in Episodenform sinnvoll sei und der Entwickler es schaffen würde, ein solch ernstes und düsteres Szenario glaubwürdig darzustellen. Schließlich werkelte Telltales in der Vergangenheit eher an humorvollen Adventures wie Monkey Island und Sam & Max. Trotzdem hätte die Ausgangslage nicht besser sein können. Basierend auf einem Comic sowie der gleichnamigen Serie des amerikanischen Fernsehsenders AMC war das Zombie-Szenario neben Spielen wie Left 4 Dead, Resident Evil, Killing Floor oder Filmen wie Dawn oft the Dead und 28 Days Later in allerbester Gesellschaft.

A New Day

Der Beginn der Handlung zeigt sich zunächst harmlos, allerdings auch nur für uns, denn unsere Spielfigur, Lee Everett, sitzt mit Handschellen gefesselt in einem Polizeiwagen auf dem Weg in das West Central Prison in Georgia. Was wir genau getan haben, erfahren wir zunächst nicht, doch auch im späteren Spielverlauf schweigt sich das Spiel in großen Teilen über unsere Vergangenheit aus. Während wir noch versuchen, den Polizisten am Steuer von unserer Unschuld zu überzeugen, erkennen wir aus dem Augenwinkel eine Gestalt, die scheinbar lebensmüde über den Highway schlurft und den Kopf nicht einmal in unsere Richtung bewegt. Bevor wir den Officer warnen können, haben wir die Gestalt auch schon erreicht. Mit einem ohrenbetäubenden Knall trifft der Körper auf die Windschutzscheibe und lässt diese bersten. Der Wagen bricht durch die Leitplanke der Straße, überschlägt sich mehrfach und bleibt schließlich in einem kleinen Wäldchen am Rande einer Wohnsiedlung auf der Seite liegen. Willkommen in der Zombie-Apokalypse.

First Blood

Kaum sind wir wieder halbwegs zu uns gekommen, sehen wir uns mit einem weiteren wandelnden Untoten konfrontiert. Wobei wandeln eigentlich falsch ist, kriechen trifft es da wohl eher. Mit unserem Rücken an die total zerstörte Türe des Autos gelehnt, kriecht eine der Kreaturen fast wie in Zeitlupe auf uns zu und trotzdem bleibt nur wenig Zeit zum Handeln. Hier offenbart The Walking Dead seine Spielmechanik. Wir blicken nach links, schnappen uns durch einen Klick der linken Maustaste die Schrotflinte des Polizisten, merken, dass uns Munition fehlt, drehen uns nach rechts, erblicken eine Patrone, klicken wiederholt mit der linken Maustaste auf diese und laden durch. Keinen Moment zu früh: Der Untote hat uns beinahe erreicht, wir können sein total entstelltes Gesicht erkennen. Wir klicken mit der linken Maustaste auf den Kopf des Zombies, ein Symbol erscheint und wir drücken den Abzug. Der Untote bleibt tot auf dem Boden liegen, hoffentlich steht er nicht noch einmal auf.

Gemeinsam gegen den Rest der Welt

Um The Walking Dead möglichst kurz zu beschreiben, wäre der Ausdruck interaktiver Comic wohl am treffendsten gewählt. Denn obwohl es sich um ein Adventure handelt, können wir im Grunde nur recht wenig interagieren und trotzdem schafft es das Spiel mit Quick-Time-Events wie vorhin, dass zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommt. Zwar gibt es keine Rätsel oder Knobeleien, um unsere grauen Zellen zum Rattern zu bringen, dafür ziehen uns die verschiedenen, gut ausgearbeiteten und emotionalen Charaktere innerhalb kürzester Zeit in das düstere Setting. Vor allem ein kleines Mädchen, auf der Suche nach ihren Eltern, ließ in uns den Beschützerinstinkt aufblitzen und wir fühlten uns gleich verantwortlich für die Kleine mit den großen Augen. Wenn Clementine uns dann unschuldig und schüchtern nach unserer Familie und Vergangenheit fragt, können wir gar nicht anders, als ihr die Wahrheit zu erzählen, natürlich nur in kindgerechter Form, obwohl sie schon im jungen Alter recht clever zu sein scheint – die Kleinen werden ja so schnell erwachsen.

Der Mensch ist ein Rudeltier und auch in The Walking Dead sind wir nur selten alleine unterwegs. Schon früh im Spiel treffen wir auf die kleine Clementine. Auf der Suche nach ihren Eltern stellt sie die größte Motivation des Spiels dar. Denn fortan sieht sich Lee als ihr Beschützer und Freund. Lange bleiben wir allerdings nicht alleine. Denn während der spannenden und wendungsreichen Handlung laufen uns allerhand verschiedene Charaktere über den Weg. Ob diese uns mögen oder nicht, hängt in den meisten Fällen davon ab, wie wir handeln, welche Entscheidungen wir treffen oder wie ehrlich wir auf ihre Fragen antworten. Besonders wichtig: Einmal geäußerte Aussagen werden nicht einfach wieder vergessen, sondern können in späteren Situationen und sogar späteren Episoden noch eine entscheidende Rolle spielen. Wenn wir beispielshalber nach Strich und Faden lügen, werden wir früher oder später entlarvt und fortan nicht mehr ernst genommen. Es gilt wie im richtigen Leben: Ehrlichkeit zahlt sich aus. Gelegentlich müssen wir uns sogar zwischen einzelnen Personen entscheiden und können mitunter auch lieb gewonnene Spielpersonen dauerhaft an die Untoten verlieren, was eine hohe Dramatik, aber auch einen hohen Wiederspielwert zur Folge hat. Solche Entscheidungen sind nie leicht zu treffen, gerade wenn uns wieder ein Zombie im Nacken hängt.

Hochspannung bis(s) zum Finale

Uns begegnen in The Walking Dead nicht nur allerhand verschiedene Charaktere, auch die Schauplätze ändern sich regelmäßig. Ein genaues Ziel gibt es nicht, keiner kann mit Gewissheit sagen, wo garantierte Sicherheit zu finden ist oder ob es solch einen Ort überhaupt noch gibt. Meist hat die Gruppe schon genug damit zu tun, am Leben zu bleiben. Denn das Gefühl der ständigen Gefahr und der rastlosen Suche nach einem ruhigen Ort ist immer und überall gegenwärtig. Während wir uns zu Beginn auf einer Ranch sicher wähnen, suchen wir später in der Handlung Unterschlupf und Nahrung in einem verlassenen Motel. Doch ist das Gefühl der Sicherheit zu jeder Zeit ein trügerisches. Nahrungsknappheit und Gruppenzwistereien verschärfen die Situation zunehmend. Wohin die Reise letztendlich führt, verraten wir an dieser Stelle selbstverständlich nicht, nur so viel – es ist ein riskantes Unterfangen. Und wer denkt, dass das obligatorische Finale im Hinblick auf die vorherigen, grandiosen Episoden nicht mithalten kann, dem sei gesagt: doch und wie!

Das sich hier auch sehr komplexen und sensiblen Themen angenommen wird, die dem einen oder anderen nicht gefallen dürften, dient weniger der Effekthascherei als vielmehr der Konsequenz des ausgewählten Szenarios. Es wird über moralische Werte nachgedacht und die Frage aufgeworfen, was einen Menschen noch menschlich erscheinen lässt, wenn er beginnt, diese Werte abzulegen. Inwieweit unterscheiden wir uns dann noch von den untoten Kreaturen? Ist es rechtens über Leben und Tod zu entscheiden? Darf man Selbstjustiz walten lassen, nur weil sich die Welt um uns herum verändert hat? Muss ich mich auch verändern und an die Situation anpassen? Und gibt es überhaupt eine klare Grenze zwischen Menschlichkeit und dem, das mich erwartet, wenn ich beginne, Regeln, gesellschaftliche Konventionen und moralische Werte zu missachten? Oder verläuft die Verwandlung nahezu fließend? Eine klare Antwort bleibt uns das Spiel schuldig, regt dadurch aber zum Nachdenken an. Und ist das nicht eine besondere Eigenschaft für ein Videospiel?

Zombie-Adventure für Erwachsene

Wenige Spiele haben es bisher geschafft, solch komplexe und tiefgründige Charaktere zu formen wie die von Lee und der kleinen Clementine. Vielzählige und vielschichtige Entscheidungsmöglichkeiten in Kombination mit gelungenen Dialogen ergeben einen unglaublich starken Mix. Und trotz der Ernsthaftigkeit des Szenarios und der angegangenen Themen bleibt auch der Humor nicht auf der Strecke. So wird die fast durchgehend ernst betrachtete Situation an manchen Stellen angenehm aufgelockert. Der gewählte Comicstil passt hervorragend in das Setting und vertuscht geschickt technische Mängel. Einzig die teils matschigen Texturen und die hölzernen Animationen trüben das Gesamtbild ein wenig. Die Comic-Optik sollte allerdings keineswegs von der Tatsache ablenken, dass The Walking Dead eindeutig auf das erwachsene Publikum zugeschnitten ist und abseits der teilweise sehr brutalen Splatter-Szenen auch auf der Meta-Ebene nicht für Kinder geeignet ist. Wenn Ihr einen geeigneten Controller besitzt, solltet Ihr erwägen, auf Eure geliebten Peripheriegeräte zu verzichten und Lee per Stick durch das zombieverseuchte Land zu schicken. Die Steuerung geht so deutlich angenehmer von der Hand. Die etwas störrische Kamera hat uns mitunter allerdings das Leben erschwert. Oft ist durch die jeweils gewählte Perspektive nur schwer zu erahnen, wo unser Charakter gerade hinläuft.

Einen großen Pluspunkt verdienen die allesamt auf hohem Niveau angesiedelten Sprecher. Zwar ist die Synchronisation bisher ausschließlich auf Englisch verfügbar, bietet aber beste Unterhaltung. Gerade Emotionen werden klasse vertont. Dezente Hintergrundmusik untermalt die Atmosphäre und erzeugt eine bedrohliche Stimmung. Nie war es so dramatisch, einer Gruppe Überlebender über die Schulter zu schauen und jede noch so schmerzliche Entscheidung hautnah mitzuerleben. Was soll man da noch zu sagen als: Die verdammten Zombies sind einfach nicht totzukriegen.

Patrik Hasberg

Schreiberling, Spieleentdecker, praktizierender Perfektionist und Mann fürs Grobe. Außerdem laufender Freizeit-Hobbit, der Katzen liebt. – Hunde gehen auch. „Auch sonst eigentlich ganz ok“.
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