Warum ist Wolfenstein II: The New Collosus der beste Singplayer-Shooter des Jahres geworden? Wir gehen dieser Frage auf den Grund und sehen uns das Zusammenspiel der einzelnen Kunstformen im postmodernen Ego-Shooter an, die allesamt ein großes Ganzes ergeben.
Wolfenstein II: The New Collossus darf sich einmal mehr zu der führenden, konventionellen Shooter-Riege gesellen, die sich seit geraumer Zeit durch den Publisher Bethesda herauskristallisiert. Neben dem Erfolg des Reboots von DOOM und beispielsweise Wolfenstein: The New Order ist sich die Fachpresse erneut einig, dass es sich beim Sequel des Wolfstein-Reboots um den besten Singleplayer-Shooter des Jahres handelt. Aber warum hat Wolfenstein II diese fast schon inflationäre Schlagzeile verdient?
Die große Frage lautet also: Was macht Bethesda richtig? Ist es etwas, woran es anderen Unternehmen aus der Spielebranche womöglich noch mangelt? Die scheinbar goldene Formel der Singleplayer-Shooter, vorausgesetzt es gibt sie überhaupt, umfasst viele Elemente des modernen Game-Designs. Und dennoch ist ein perfektes Shooter-Erlebnis, das auf den einzelnen Spieler und seiner Selbst ausgerichtet ist, stets etwas, das es anzustreben gilt, aber womöglich nie wirklich erreicht wird. Doch der große Knackpunkt ist nicht das Streben nach Perfektion in dieser Hinsicht, sondern die relative Zeit und technische Präsenz in der postmodernen Spieleenwicklung.
Shooter-Zeitsprung
Vor etwas mehr als 20 Jahren gab es bereits die ersten 3D-Shooter, wie wir sie heute als Ego-Shooter kennen. Id Software hat seinerzeit mit Catacomp 3-D oder beispielsweise Duke Nukem 3D wahre Pionierarbeit geleistet. Hier wurden für heutige Verhältnisse auf einfachste Animationen und 2D-Sprites zurückgegriffen, um dem Spieler ein dreidimensionales Shooter-Erlebnis zu simulieren. Eine Simulation und gleichermaßen eine emotionale Stimmulation, die der Spieler der alten Tage trotz minimalistischer Grafikelemente als solche wahrnahm. Die Eingabegeräte Tastatur und Maus oder ein Joypad gewährten eine direkte Umsetzung der gedanklichen Befehle des Anwenders am Computer. Der Spieler konnte sich erstmals in einer 3D-Umgebung bewegen. Und als wäre das nicht schon genug, gab es auch noch passende, eingängige Soundeffekte und oft sogar eine musikalische Untermalung obendrauf. Diese neuartigen Gegebenheiten waren bahnbrechend und ermöglichten erstmals das menschliche Eintauchen in eine digitale Umgebung aus der Ego-Perspektive. In dieser Zeit reichten wenige Stilmittel aus, um hier vorerst den Grundstein für ein ganzes Genre zu legen.
Wir befinden uns heute in einer anderen Zeit mit anderen technologischen Voraussetzugnen. Der Spieler ist – im gedanklichen Sinne – alt geworden, denn er hat schon vieles gesehen und gehört, er durfte in zigtausende Welten eintauchen, er hat sich emotional auf diesen Umstand eingestellt. Und auch die Entwicklerstudios sind keineswegs stehengeblieben. Im Normalfall benötigt es hier innovative Spielkonzepte und Ideen, um den durchschnittlichen Spieler bei der Stange zu halten. Der sogenannte Einheitsbrei geißelt die Spieleindustrie und sorgt für unruhigen Schlaf bei den Zockern. Das Ego-Shooter-Genre in puncto Singleplayer ist bereits in die Jahre gekommen. Hierbei handelt es sich um einen Umstand, den nicht nur die Spieler spüren. Auch die Studios mussten sich demnach mit der Zeit entwickeln, um den Ansprüchen überhaupt noch gerecht zu werden.
Ein Ego-Shooter besteht aus diversen Grundelementen und bedient sich einfacher Mittel, die den Menschen und sein Einfühlungsvermögen ansprechen sollen. Das funktioniert auch heute noch, genauso wie vor 20 Jahren, allerdings bedarf es hier und da ein paar Anpassungen, um einen anhaltenden Effekt zu gewährleisten. Simples Staunen durch das virtuelle Schießen und den Abschuss eines animierten 2D-Sprites versprechen zwar den Sieg über den Feind respektive das Spiel, allerdings mussten die Mechaniken, die zu diesem Positivgefühl verhelfen, im Laufe der Zeit stetig angepasst werden. Am Ende dürfen wir uns früher wie heute über den gewonnenen Wettkampf oder eine gemeisterte Herausforderung freuen. Bethesda beweist hier scheinbar den entsprechenden Durchblick. Sie schaffen es mit ihrer führenden Hand, dass alle aktuellen Titel mit erforderlichen Stärken auftrumpfen können. Doch was zeichnet diese Top-Titel hier schließlich aus?
Kompositionen der Kunst
Auf der visuellen Ebene dürfen wir in jedem Jahr stets ein paar Verbesserungen erwarten. Schönere Welten, detaillierte Figuren, neuartige Effekte. Jedes Jahr ein kleines Stückchen mehr vom Grafikkuchen, damit sich beim Spieler auch in unabsehbarer Zeit diesbezüglich noch kein Sättigungegefühl einstellt und er etwas Neues für sich entdecken kann. Doch eine futuristische oder malerische Grafik allein sind nicht ausreichend, um den Spieler ein einmaliges Erlebnis zu schaffen. Aber genau darauf kommt es an!
Der Mensch, der seine Lebenszeit in einen Titel investiert, möchte auch beim 30. Durchlauf seiner liebgewonnenen Spielemarke noch neue Erfahrungen sammeln können, er möchte etwas zurückbekommen. Wir sind von Haus aus Entdecker und unsere Seelen schmachten nach dem Unbekannten, so ist das menschliche Wesen konzipiert. Deswegen müssen die visuellen Umgebungen in Spielewelten nicht nur toll aussehen, sie müssen auch individuell sein und einen Wiedererkennungswert haben. Weniger ist da manchmal mehr, denn wo weniger Quantität herrscht, ist oftmals mehr Platz für detailiertere, einzigartige Schauplätze, die ein Spieler nie zuvor betreten hat. Das Reboot von Wolfenstein hat hier die goldene Mitte gefunden und bietet diese unvergesslichen Schauplätze an. Als Beispiel dient hier ein zerstörtes Manhatten einer alternativen Zeitlinie der Menschheitsgeschichte – ein "Neu York" der Sechzigerjahre, in Trümmern und durch eine Atombombe zerstört. Unvorstellbar, aber eindringlich, nahezu unvergesslich. Gleichermaßen könnten wir dies vom Setting in New Orleans behaupten.
Sogar ein Zuhause ist verbaut worden, zu dem wir immer wieder zurückkehren können, in dem wir uns wohlfühlen und entschleunigen dürfen. Wenn auch nur für kurze Zeit, bevor die Action wieder losgeht. Viele Rollenspiele hingegen verwenden hier oft generische Elemente, um möglichst viel Spielfläche auf einer gigantischen Karte anzubieten. Open World scheint das Zauberwort zu heißen, das nicht nur als Antrieb für den Käufer seitens des Marketings verwendet wird, es spiegelt oft auch viel zu große, nicht ausreichend detaillierte Umgebungen in einer lieblosen Welt wider. Ein Ego-Shooter kann auf diese Größe zum Glück verzichten, da der Fokus zumeist auf eine kurze und prägnante Erfahrung gelegt ist. So sind die durchschnittlichen Spielstunden mit 12 bis 14 an der Zahl vollkommen ausreichend, um wie in Wolfenstein II: The New Collossus eine unvergessliche Erfahrungen zu schaffen.
Die kunterbunte Mixtur
Als besonderen Bonus dürfen die Enwickler das Zuhause des Spielers, was in dem Fall das Hammerfaust-U-Boot ist, sogar als narratives Fundament zweckentfremden. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine zeitgemäße Erscheinung, denn ein gutes Narrativ ist heute der Grundbestandteil eines guten Ego-Shooters. An dieser Stelle wird deutlich, dass ein postmoderner, konventioneller Shooter eine Mixtur aus vielerlei Kunstformen zu sein scheint. Und der Schein trügt in diesem Falle nur herzlich wenig. Das hat sich schlichtweg im Laufe der Jahrzehnte so ergeben. Heute sind Videospiele nicht nur stumpfe Pixelballerei auf einem Arcade-Automaten, sie können diverse Kunstformen zu einer neuartigen Spielekunst vereinen und anheben.
Die zuvor beschriebene, einzigartige Umgebung kann sogar malerische Kunst beinhalten, sodass ihr selbst in einem Wolfenstein II einmal innehalten möchtet und euch die zerklufteten Welten eines zerstörten Amerikas für mehrere Minuten anseht. Doch neben wundervollen Gemälden erhalten wir auch musikalische Kompositionen, die in dem Fall von Mick Gordon, der bereits für DOOM eine bemerkenswerte Arbeit an den Tag legte, erschaffen wurde. Doch der allgemeine Klang, der sich in kleinsten Soundeffekten oder der vertonten Stimme einer Figur verstecken kann, muss genauso individuell und einzigartig inszeniert sein, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Witzigerweise gibt es diesbezüglich sogar Erinnerungen an den allerersten Wolfenstein-Ableger, den wir als Spieler heute immer noch im Gedächtnis tragen. Und auch hier könnten wir die Sprachvertonung als solche herausziehen und sie als Kunstform deklarieren. Denn die Phonetik einer Sprache und des gesprochenen Wortes könnte von jemanden als solche interpretiert werden. Bethesda hat an keinen Ecken gespart, was uns schließlich zu einem zeitgerechten Narrativ führt.
Ohne eine gut geschriebene Geschichte kommen Singleplayer-Shooter heute kaum noch aus. Bereits zu den allerersten Ego-Shootern gab es Textpassagen, die den Spieler in das entsprechende Setting werfen sollten. Doch im postmodernen Ego-Shooter können solche Schriftstücke ebenfalls als Vertiefung in einen geschichtlichen Rahmen dienen. In Wolfenstein II hilft sogar jedes noch so kleine Schriftstück, um in die alternative Zeitlinie, in der das Regime den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat, einzutauchen und es als gegeben zu akzeptieren. Es verhilft zum Verständnis für die Rahmenhandlung.
Doch solche Textpassagen reichen heute nicht mehr aus, um den Ansprüchen der Kinofilm-artigen Videospiele gerecht zu werden. Deswegen müssen die Entwickler heute auf ausgeklügelte Figuren zurückgreifen – in Wolfenstein II sehen wir B.J. Blazkowicz als Hauptfigur, die sogar noch zahlreiche Bindungen zu anderen Charakteren innehält, wie zum Beispiel zu seiner schwangeren Frau. Ihnen darf es keineswegs an Motiven fehlen. Und hier wird auch im Vergleich zu Wolfenstein: The New Order erst richtig deutlich, dass der Protagonist viel ausgearbeiteter und mit mehr Tiefgang im Sequel auftritt. Es gibt sogar mehrere Figurenkonstellationen, neben der innigen Liebe Blazkowicz zu seiner schwangeren Frau, in denen selbst Nebenfiguren korpulieren oder sich beispielsweise gegenseitg in Wortgefechten an den Hals springen, um schließlich mit individuellen Geschichten ein großes Ganzes zu erschaffen. Auch sehr beliebt ist es die Grenzen von Gut und Böse verwischen zu lassen, Graustufen aufzuzeigen – selbst in einem Spiel wie Wolfenstein, wo es augenscheinlich nur darum geht, stupide auf Regime-Soldaten zu feuern – um schließlich ein Gefühl des Hinterfragens beim Teilnehmer zu manifestieren. Motive sind für glaubwürdige Figuren ungemein wichtig. Das, was für den Spieler am Ende nachvollziehbar ist, stellt sich am Ende als mehr Tiefgang einer emotionalen Reise heraus. Die Kunst des Geschichtenerzählens fand schon vor geraumer Zeit Einzug in das sich entwickelnde Genre Singleplayer-Ego-Shooter. Doch dass es ein Spiel der Wolfenstein-Reihe so gut meistern würde, hätten viele Spieler womöglich gar nicht gedacht, bevor MachineGames und Bethesda das Ruder in die Hand nahmen.
Zeitgerechter Tarantino-Humor
In Wolfenstein II erhalten wir sogar einen vielseits geliebten Humor, der direkt aus den Filmen von Quentin Tarantino entsprungen zu sein scheint. Die Dialoge sind zweifelsohne, sagen wir, tiefgehend, nahezu poetisch. Und wenn ein Entwicklerstudio damit sogar noch einen Zeitgeist trifft, umso besser. Doch das Geschichtenerzählen hat noch einen weiteren Vorteil. Menschen können durch ein Narrativ bewegt werden und das auf unterschiedlicher Art und Weise.
Beispielsweise kann es Unbehagen auslösen, da eine Situation, in der ihr euch als Spieler in einem Moment befindet, jenes Gefühl schlicht hervorruft. Die bekannte Erdbeermilch-Szene, die im Grunde den Protagonisten Blazkowicz betrifft und euch als Ego-Shooter-Spieler für einen kurzen Moment vergessen lässt, dass ihr im Grunde einen Prototyp-Amerikaner mit einer Atombombe in der Hand spielt, schafft es tatsächlich überwältigendes Unbehagen auszulösen. Der positive Effekt in der Ego-Perspektive, dass ihr alles aus Sicht der Hauptfigur seht. So verwischen die Grenzen von Figur und Spieler. Das Spiel schafft an dieser Stelle durch diverse Stilmittel und einem wunderbaren Zusammenspiel von Protagonist und Antagonist einen emotionalen Moment, der nachhaltig im Gedächtnis bleiben wird.
So beweist auch MachineGames, ein Entwicklerstudio, das sich unter Bethesdas Flagge neben anderen Studios wie id Software oder den Arkane Studios versammelt hat, in diesem Jahr abermals ein kreatives Zusammenspiel all jener Kunstformen. Sie zeigen ganz klar auf, dass das Ego-Shooter-Genre im Singleplayer-Bereich immer noch viel zu bieten hat. Vorausgesetzt die einzelnen Faktoren führen zu jenen Erlebnissen, dass der Mensch am Ende einen reellen Mehrwert aus dem "Videospiel" für sich zieht. Denn das hat diese neuartige Kunstform zu bieten. Die Entwickler müssen nur gekonnt auf ihre Facetten zurückgreifen und dürfen an keiner Seite Einsparungen vornehmen. Wir sind uns sicher, dass wir auch in Zukunft noch einiges an Ego-Shooter-Kost seitens Bethesda erwarten dürfen.